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Naturschutz und interne Kolonisierung

Olaf Kaltmeiers Buch zur Geschichte der Nationalparks in Argentinien
Christoph Joppich

Nationalparks gelten als besonders erhaltenswerte Naturschutzgebiete. Sie können, so das allgemeine Verständnis, bedrohte Fauna und Flora bewahren und den Menschen als Erholungsgebiet verfügbar gemacht werden. Ob Naturschutz oder Artenerhalt, die Wertesysteme, welche Nationalparks legitimieren, scheinen kapitalistischer Logik der Unterwerfung der Natur im Prinzip antagonistisch gegenüber zu stehen.

Nun hat der Historiker Olaf Kaltmeier die Monographie „Nationalparks von Nord bis Süd. Eine transnationale Verflechtungsgeschichte von Naturschutz und Kolonialisierung in Argentinien“ publiziert, welche diesen Antagonismus nicht nur in Frage stellt, sondern Wechselbeziehungen zwischen aristokratischem „Nationbuilding“ und der Etablierung von Nationalparks vermutet. Im Verlaufe dieser „Imagination der Nation“ spielen Nationalparks laut Kaltmeier eine entscheidende Rolle, sie haben aktiv zur gewaltsamen Integration der argentinischen Peripherie beigetragen. Dabei ist das „Nationalparkregime“ ein Instrument rassistischer Distinktion, internationaler Grenzsicherung und biopolitischer Ökonomisierung.

Die Genealogie dieser widersprüchlichen Logik findet ihren Ursprung im späten neunzehnten Jahrhundert. Die „Wüstenkampagne“ des liberalen Präsidenten Roca, die vor allem die Vertreibung oder Ausrottung der indigenen Bevölkerung und der Hirtennomaden (Gauchos) bedeutete, hat das argentinische Staatsgebiet auf seine heutige Größe ausgeweitet. Die Integration und Sicherung dieser Frontiers wird nun das erklärte Ziel argentinischer Regierungspolitik. Dabei ist das Bild der eigenen Nation von einem rassistischen Dualismus aus „zivilisierter Küste“ und „barbarischer Wüste“1 geprägt. In dieser Ambivalenz entsteht innerhalb der herrschenden Klasse ein aristokratischer „Baumkult“, welcher sich durch gesteigertes Interesse an den Waldregionen um die Iguazú-Fälle im Nordosten und dem Nahuel-Huapi-See im Südwesten sowie der Gründung einer eigenen Sociedad Forrestal zeigt.

Im Zuge dieser Paradigmenverschiebung werden die Iguazú-Fälle und der Nahuel-Huapi-See Objekt wissenschaftlicher Begierde. Verschiedene Forscher aus transnationalen Kontexten beginnen mit der Ausarbeitung von Ideen und Plänen, um die Institutionalisierung von Nationalparks zu realisieren. In den folgenden Jahren kommt es dann zu politischen Artikulationen seitens aristokratischer Kreise gegenüber den konservativen Regierungen, welche die zügige Gründung mehrerer Parks beabsichtigen. Sie sollen den Erhalt der Baumbestände leisten, die ökonomische Nutzbarmachung für den Agrarsektor vorantreiben, schwache Infrastrukturen durch Touristifizierung ausbessern, Argentinien eine bessere Position in den jeweiligen Grenzkonflikten2 verschaffen sowie zum Wohlergehen der Nation durch neue Erholungsgebiete beitragen. Diese ersten Ideen für zwei argentinische Nationalparks wurden nicht zuletzt durch akademische Debatten beeinflusst, wobei insbesondere die transnationale Verflechtung mit nordamerikanischen Nationalparks und mitteleuropäischen Gartenanlagen konstituierend für das argentinische Modell waren.

Mit dem Wahlsieg der sozialliberalen UCR, dem Ausbruch des ersten Weltkriegs und einem graduellen Machtverlust der traditionellen Eliten verebbten vorübergehend die Bestrebungen in Iguazú und am Nahuel-Huapi Nationalparks zu etablieren. Die letztendliche Gründung und Institutionalisierung beider Parks erfolgte erst in den 30er-Jahren, als eine Koalition von protofaschistischen Offizieren und konservativen Parteien im Rahmen der sogenannten Concordancia die Gewaltenteilung auflöste und Argentinien über ein Jahrzehnt per Dekrete regierte. Als 1934 die Nationalparks Iguazú und Nahuel-Huapi durch die staatliche Dirección Nacional de Parques Nacionales (DPN) offiziell eröffnet wurden, waren in ihnen nur noch wenige Vorstellungen der sogenannten Naturalistas verwirklicht. Die neue Genese argentinischer Nationalparks verfolgte die Urbanisierung ländlicher Gebiete, eine ökonomisierte Touristifizierung und eine rücksichtslose Agrarpolitik. In den entsprechenden Gebieten ansässige Mapuche und andere indigene Gemeinschaften wurden durch aggressive Repressalien kriminalisiert und vertrieben, chilenische Siedler*innen enteignet. Im Selbstverständnis der DPN wurde der „Nationalpark als wahres Instrument der Kolonialisierung“ (sic!) betrachtet und umgesetzt.

Kaltmeiers Buch bietet nicht nur eine fundierte Analyse der ersten Nationalparks in Lateinamerika, sondern auch eine präzise und deutliche Kritik des rassistischen und elitären Charakters dieser Institutionen. Es versteht die Konstituierung der Parks nicht nur als nationalen, autonomen Politikgegenstand, sondern betrachtet explizit die Wirkungsweisen der kulturellen und akademischen Einflüsse im Dreieck Argentinien-USA-Mitteleuropa. Die „rhizomatische Geschichtsschreibung“, welche das Subjekt von seiner ideellen Geburt bis hin zu seiner praktischen Institutionalisierung erklärt, vermag die Archäologie argentinischer Nationalparks angemessen sichtbar zu machen.

Mehr als die Hälfte der Arbeit wird von dieser plastischen Erzählung beansprucht, ohne dabei in banale Ereignisse oder überflüssige Ausschweifungen abzudriften. Die zweite Hälfte der Analyse greift einzelne Spannungsverhältnisse erneut auf, insbesondere werden die Entwicklungen der korrespondierenden Infrastrukturen sowie postkoloniale Herrschaftsverhältnisse zwischen Park und Natur (speziell die Zerstörung natürlicher Ressourcen durch Urbanisierung oder Jagd) aufgezeichnet.

Im Zuge dieser sehr detaillierten Beschreibung der Geschichte der Nationalparks kommen die gesellschaftlichen Bedingungen des Landes etwas zu kurz. Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts bedeutete für Argentinien gewaltige sozioökonomische Umwälzungen, die von Kaltmeier zwar erwähnt werden, jedoch nicht immer angemessen aufgearbeitet werden, um die Nationalparkerzählung darin zu kontextualisieren. Die Beziehungsweisen von politischen Prozessen und Nationalparkregime sind nicht immer deutlich herausgearbeitet, sei es zwischen der urbanen Aristokratie und den Naturalisten; zwischen den politischen Konditionen und Motiven der UCR und dem Abflauen der weiteren Institutionalisierung der Parks oder zwischen dem autoritär-nationalistischen Rollback der Concordancia und der Diskursverschiebung in der Nationalparkdebatte.

Die Sprache ist wissenschaftlich-pointiert, jedoch nicht unverständlich. Die Konstruktion der Hypothese und ihre Ausführung ist für ein akademisches Buch ausgesprochen nutzer*innenfreundlich.

Als kostenloser Download: /www.uni-bielefeld.de/cias/kipu/nationalparks_von_nord_bis_sued.html

  • 1. Als Wüste werden sowohl die Steppen Patagoniens als auch die ariden Ebenen Nordargentiniens verstanden, wobei jene symbolisch für die Lebensbereiche indigener Bevölkerungsgruppen stehen.
  • 2. Sowohl die Iguazú-Fälle als auch der Nahuel-Huapi-See waren Schauplatz verschiedener Grenzkonflikte mit Brasilien, Paraguay und Chile