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„Kutimuy“ – Zurückkehren

Die Chola im ecuadorianischen Cuenca: Exotische Süßwassernixe oder prekarisierte Arbeiterin?

Von Zeit zu Zeit erscheinen in den Lokalblättern Südecuadors Anzeigen über den Tod oder das Verschwinden von Migrant*innen im Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko. Diese Nachrichten folgen in der Regel diesem Schema: Name und Vorname des Opfers, der entsprechenden Dorfgemeinschaft sowie ein paar Zeilen der Familie, die sich Sorgen um die Hinterbliebenen und den hinterlassenen Schuldenberg, meist bei einem Chulquero1, machen. Häufig wird der Text vom Foto einer Bäuerin begleitet: Hut und Rock, die Trauer steht ihr ins Gesicht geschrieben. Diese Nachrichten werden in Ecuador ohne Aufschrei zur Kenntnis genommen, denn der Süden des Landes wird seit Jahrzehnten von einem Exodus seiner Bevölkerung bestimmt. Dieses Phänomen kann jedoch nur begriffen werden, wenn die Geschichte der Frauen erzählt wird, die ihrerseits in die Städte migriert sind.

  • 1. Kreditgeber, Gläubiger
Liz Zhingri

Die Stadt Cuenca, im Süden Ecuadors in der Provinz Azuay gelegen, ist in den letzten Jahren exponentiell gewachsen. Bis 1995 erreichte das Stadtgebiet eine Fläche von 5500 Hektar, weshalb die Dörfer Ricaurte, Sayausí, San Joaquín, Turi und Baños eingemeindet wurden. Diese Phase der Expansion fiel mit dem Ende der ersten ecuadorianischen Landflucht zusammen. In deren Verlauf emigrierten zwischen 1960, beginnend mit der Panamahut-Krise1, und 1995 die meisten jungen Männer aus den östlichen, ländlichen Gemeinden der Region ins Ausland (meist in die USA), während die Frauen die ländlichen Dorfgemeinschaften für die schnell wachsenden Städte zurückließen.

Diese Frauen migrierten jedoch nicht alleine, sondern mit ihren kleinen Kindern und anderen von ihnen abhängigen Angehörigen. Dieser Exodus geschah nicht von heute auf morgen, dem endgültigen Umzug ging eine Zeitspanne voraus, in der die Frauen zwischen Land und Stadt pendelten und dabei auf eigene Faust oder im Austausch mit anderen Frauen nach Arbeit und bezahlbarem Wohnraum suchten, mit Grundversorgung wie Warmwasser oder Strom (was der ecuadorianische Staat auf dem Land nicht bereitgestellt hat, häufig bis heute nicht). Diese Bedingungen unterscheiden schließlich diesen ecuadorianischen Migrationsprozess von anderen: „Internationale Migration ist, anders als interne Migrationsprozesse, keine Überlebensstrategie, weil sie nicht auf das Erfüllen des Grundbedürfnisses nach familiärer Reproduktion ausgerichtet ist, sondern auf eine Reihe von sozialen und ökonomischen Bedürfnissen abzielt, die im lokalen oder nationalen Kontext nicht befriedigt werden können.“2

Während also die internationale Migration den jungen Männern ermöglichte, in den USA zu arbeiten, um ihre Schulden für Immobilien oder Autos zu begleichen, war das Überleben der Binnenmigrantinnen an gleich drei Formen der Arbeit geknüpft, jede davon so zeitaufwändig wie ein normaler Lohnarbeitstag: produktive Arbeit, reproduktive Arbeit sowie gemeinnützige Arbeit. Darüber hinaus bestimmten einige Vorbedingungen die Ausbeutung und den Missbrauch der internen Migrantinnen, unter anderem ihr sozialer Status als junge Bäuerinnen, die häufig nur zur Grundschule gegangen waren.

Das Privileg, eigene Lebensentscheidungen zu treffen und zu planen, war für sie also nicht vorgesehen. Die interne Migration der Bäuerinnen brachte ihnen keinen echten Fortschritt im Hinblick auf ihre Rechte als Frauen im Allgemeinen oder als indigene Bäuerinnen im Besonderen. Im Zuge der Wirtschaftskrisen (sprich der Modernisierung der kapitalistischen Wirtschaft) als Auslöser dieser Migrationswellen hatten sowohl das westliche als auch das kommunitäre Patriarchat bereits ihre Zukunft definiert und die Bedingungen für die Kontrolle ihrer Körper geschaffen. So sorgten diese machistischen und heteronormativen Zwänge für frühe, arrangierte Ehen, sie tolerierten geschlechtsspezifische Gewalt in allen Lebensbereichen, sie naturalisierten Misshandlungen und sexuellen Missbrauch gegenüber Mädchen und Jugendlichen und sie verwehrten ihnen den Zugang zu Informationen über sexuelle und reproduktive Gesundheit.

Die prekären Bedingungen migrantischer Prozesse sind also das Ergebnis struktureller Gewalt, die insbesondere gegen die Körper und Leben von Mädchen, Jugendlichen, Bäuerinnen und indigenen Frauen ausgeübt wird. Da sie in ihren Herkunftsgemeinden kein Leben in Würde führen konnten, sahen sie sich gezwungen, wegzugehen: eine unausgesprochene Vertreibung. Aber auch die Städte waren kein sicherer Ort für die Verstoßenen. Diese Fluchtbewegungen fielen mit einer städtischen Expansion zusammen. Die privilegierten Familien der Elite bewohnten einst das historische Zentrum von Cuenca (das auch das koloniale Machtzentrum darstellt); nun zogen sie von dort weg und die hinterlassenen Altbauten wurden an zugezogene, arme Familien verpachtet, die dort unter schwierigen und sehr beengten Bedingungen lebten. „Die Verslumung des historischen Zentrums wurde durch den kontinuierlichen Wegzug der Eliten seit den 1950er-Jahren hervorgerufen. Marginalisierte Bevölkerungsgruppen vom Land, aus anderen Regionen und Städten kamen ins Zentrum, um in den ehemaligen Herrenhäusern zu wohnen und sich zu mehreren die nun parzellierten Wohnungen mit nur wenigen Bädern zu teilen und unter dementsprechend unhygienischen Bedingungen zu leben.“3

Die Wohnmöglichkeiten für diese Frauen waren also denkbar schlecht. Ein Beispiel für die struk­turellen Verschiebungen ist die Plaza San Francisco, die nun in eine Attraktion für Tourist*innen umgestaltet wurde. Die kleinen Geschäfte im Umfeld des Platzes erinnern an die popularen Bevölkerungsschichten Cuencas. Dieser Prozess spiegelt sich in der gesamten Altstadt wider. Das allmähliche Wachstum der Stadt und ihre Anerkennung als UNESCO-Weltkulturerbe im Jahr 1999 haben diese Orte ins Blickfeld der politischen und ökonomischen Eliten sowie privater Investoren gerückt, die im Tourismus ein rentables Geschäft sehen. Aber die Familien aus den popularen Schichten sind wegen der hohen Lebenshaltungskosten, die der Tourismus mit sich bringt, aus dem Zentrum vertrieben worden.

Die Wohnungsfrage ist insofern wichtig, als die Bäuerinnen bei ihrer Ankunft in den Städten beibehalten haben, wie sie mit ihrer Umgebung in Beziehung treten. Die Verhältnisse in der Landwirtschaft veränderten sich in dem Moment, als die dort tätigen Arbeitskräfte das Land verließen. So wie die inzwischen zur Erinnerung verblassten Elemente der popularen Kultur auf der Plaza San Francisco inszeniert werden, mussten die Bäuerinnen ihre alltäglichen Abläufe verändern, um sich der urbanen Welt anzupassen, ohne dabei ihre Erinnerung an die Scholle zu verlieren. Die soziale Ungleichheit, mit der sie sich konfrontiert sahen, war deswegen sowohl materieller als auch symbolischer Natur. Auch die lokalen Eliten bemerkten diese Transformationsprozesse und drückten der Stadt, ihrem Erbe, ihrer Geschichte und Identität ihre eigenen Diskurse auf.

In diesem Kontext war es eines der erfolgreichsten rassifizierenden Projekte der lokalen Eliten, das Bild von der indigenen Bäuerin zu erschaffen. Dies begann bereits Ende des 19. Jahrhunderts und manifestierte sich dann konkret in den 1970er-Jahren, als die Chola Cuencana4 zum ikonischen Symbolbild der Stadt auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene wurde. Die Ausbeutung dieser Figur bedeutete einerseits eine touristische Positionierung von Cuenca auf dem internationalen Markt, andererseits vollzog sich so eine Entpolitisierung der charakteristischen Elemente der Cholas: bestickte Westen, Schals, ein Stoffhut, zwei Zöpfe sowie der unverwechselbare Rock (Pollera).

Seitdem gibt es für bäuerliche oder indigene Frauen, die vom Land in die Stadt migriert sind und die unter ungerechten und anstrengenden Arbeitsverhältnissen leiden, auf den ersten Blick keine Anerkennung mehr. Über die Lebensrealitäten der Cholas Cuencanas weiß die übrige Stadtbevölkerung eigentlich nichts, obwohl sie deren Bild ausbeutet: die Chola mit einem Baby auf dem Rücken, die Chola, die am Fluss Wäsche wäscht, die Chola als Marktverkäuferin, die Chola, die auf ihrem Feld die Aussaat macht, alles idyllische Bilder einer Stadt, die dadurch touristisch aufgewertet wurde. Gleichzeitig werden die so erzielten Gewinne in der Stadt nicht so umverteilt, dass die Lebensbedingungen der Cholas verbessert würden. Sie leben in den dicht bewohnten Wohnblocks in der urbanen Peripherie, und um das Überleben ihrer Familien zu sichern, sind sie weiterhin dazu gezwungen, im Drei-Schichten-Betrieb zu arbeiten.

Die Cholas, die mit der ersten Migrationswelle als junge Frauen in die Städte kamen, bauten sich dort ein Leben auf, das praktisch ausgelöscht wurde, oder besser gesagt: Sie bauten eine Stadt mit auf, die sie dann genau in dem Moment auslöschte und verjagte, als ihre Arbeitskraft und Lebensenergie nicht noch mehr enteignet werden konnten, sei es, weil sie alt oder krank wurden, oder einfach verschwanden. Als die Lokalmedien versuchten, die Geschichten dieser Frauen aufzugreifen, landeten sie schnell bei denselben kolonialen und patriarchalen Stereotypen, die diese Frauen zu Bürgerinnen zweiter (oder dritter oder gar keiner?) Klasse macht, aufgrund der patriarchalen Schieflage in den Schulen für Journalismus des Landes. In diesen Berichten kamen sie auch nicht mit ihren Forderungen, Bedürfnissen und eigenen Gefühlen zu Wort. Selbst auf dem Höhepunkt dieser Migration wurden sie nur als Mütter, Töchter, Ehefrauen oder Liebende porträtiert, die sich um die anderen kümmern und für sie leiden. Und obwohl dies ein integraler Bestandteil ihres Lebens war, kam niemals die Frage auf, wie diese Frauen es fertigbrachten, für andere zu sorgen, wer denn für sie selbst sorgte und wie sie sich trotz aller Schicksalsschläge aufrechterhalten konnten.

Die migrantischen Cholas waren mit einer seit Hunderten von Jahren etablierten Ordnung konfrontiert, die ihr Verhältnis zu ihren Arbeitgebern im Besonderen (Eigentümer der Hacienda oder des Hauses) und Männern im Allgemeinen (Patrone in verschiedenen Lebensbereichen: Priester, Väter, Ehemänner, Nachbarn, Freunde, Bekannte und Fremde) betraf: das Heteropatriarchat, das von den Männern jeder Gemeinschaft erhalten und legitimiert wurde. Die Entscheidung der Cholas zu bleiben oder wegzugehen, war eine Überlebensfrage, nicht nur, weil es in der Stadt einige (wenn auch nicht ausreichende) Perspektiven gab, die auf dem Land noch weniger erreichbar waren. Sie blieben auch dort, weil die Stadt ein neues Mindestmaß an Unabhängigkeit und Freiheit mit sich brachte. Das bedeutet nicht, dass die städtische Prekarisierung nicht auch neue Abgründe aufgetan hätte, vielmehr ermöglichte eine bestimmte Distanz zur paternalistischen und moralischen Kontrolle der Männer einen gewissen Grad an Autonomie.

Die indigenen Frauen migrierten mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen. Dazu gehören das Wissen über die Behandlung verschiedener Krankheiten, Tricks zur Kältebekämpfung oder zur Prävention von Augeninfektionen bei Babys, die Fähigkeit, bestimmte Heilkräuter zu erkennen, ein genaues Gespür dafür, Veränderungen am Himmel zu beobachten, die Geschicklichkeit ihrer Hände, das Land so zu bestellen, dass es im Einklang mit Flora und Fauna steht. Diese und viele andere Kenntnisse, die aus der eigenen Intuition und Erfahrung gewachsen sind, begleiteten den Transit vom Land in die Städte.

Diese Hexis5 ging einher mit einer patriarchalen Sozialisation, die fest in ihren Erinnerungen gespeichert war. Da geschlechtsspezifische Gewalt in ländlichen Gebieten explizit toleriert wird, hinterließ sie traurige Bilder auf den Körpern und im Leben derer, die überlebten. Öffentliche Bestrafungen an Frauen und Mädchen, Genitalverstümmelung und brutale Feminizide sind nur einige der disziplinierenden Techniken, mit denen das Patriarchat diese Körper kontrolliert und verfügbar macht. Angesichts von so viel Barbarei blieb die Widerstandsfähigkeit.

Mit all ihren früheren Erinnerungen im Gepäck stehen sie einer städtischen Welt und deren Eliten gegenüber, die sie zu verzierenden Objekten machen und ihnen vermeintliche Wesenszüge der indigenen Bäuerin zuschreiben. Die Chola Cuencana hatte auf eine bestimmte Art und Weise beschaffen zu sein, damit sich die Elite ihrer rassistischen Überlegenheit gewiss sein konnte. So lobten sie bestimmte Eigenschaften der Bäuerinnen, etwa ihren Wert als Arbeitskraft; ihre Schönheit wurde mit Blumen und Flüssen verglichen6, während sie gleichzeitig das Leben dieser Frauen prekarisierten, stigmatisierten und kriminalisierten.

Während die Chola Cuencana als Trägerin von Identität und Kultur verkauft wurde, kämpften die südecuadorianischen Frauen in Wirklichkeit um ihr Überleben und versuchten zu einer neuen Sinnstiftung in der Stadt zu gelangen, indem sie ihre eigenen Erfahrungen wertschätzten und menschenwürdige Lebensbedingungen sowie den Zugang zu Ernährung, Bildung und Gesundheit einforderten.

Wenn irgendein Aristokrat aus Cuenca diese Zeilen vor 20, 30 oder 40 Jahren gelesen hätte, so wäre er überrascht gewesen zu erfahren, dass die Cholas Cuencanas nicht als Süßwassernixen in Flüssen lebten und dass ihre Priorität auf keinen Fall darin bestand, sich für diese oder jene Candongas7 zu entscheiden. Die Bäuerinnen in der Stadt mussten vielmehr die Haus- und Sorgearbeit für die Mittelschicht Cuencas übernehmen oder die Abfälle auf öffentlichen Plätzen beseitigen; gleichzeitig mussten sie in den Vorstädten ihre eigenen Häuser errichten und sich schließlich ihrem Identitätsdilemma stellen: die Pollera ablegen oder nicht? Dieses Detail ist wichtig, schließlich ist die Pollera von Seiten der Eliten Cuencas umgedeutet und kulturell angeeignet worden: Nun handelt es sich nämlich um ein teures Kleidungsstück, das unmöglich von armen Bäuerinnen getragen werden kann. In welche Richtung entwickelt sich also ihre Identität? Geht sie verloren? Entwurzeln wir uns und landen dabei in den Ketten der Globalisierung?

Da Kultur und Identität nicht statisch sind, können wir diese Fragen mit „Nein“ beantworten. Die Identität dieser Frauen geht nicht verloren, allerdings ist deren Transformation verleugnet worden, eben weil sie dem romantisierten Bild der Chola Cuencana entgegensteht.

Das kulturelle Gedächtnis der Bäuerinnen formt sich in ihren Beziehungen zu den Welten, die sie umgeben, in der Art und Weise, wie sie mit anderen Menschen zusammenarbeiten und wie sie mit ihrer Arbeit die Nutzung des Landes bestimmen. Das kulturelle Gedächtnis der Bäuerinnen verbirgt sich nicht in ihren Schals, Ohrringen oder anderen prächtigen Kleidungsstücken, die von der Elite jedes Jahr am 3. November (an dem der Unabhängigkeitstag in Cuenca gefeiert wird) als Trends im Namen der Identität in Hochglanzbroschüren ausgestellt werden; vielmehr liegt es in ihren Händen. Sie erschaffen das kulturelle Gedächtnis mit ihren Taten und Erzeugnissen. Diese Objekte existieren nicht erst seit dem Beginn der Landflucht, es gab sie bereits in den ursprünglichen Gemeinden der Cholas. Nun stellen sie allerdings eine Bedrohung für die Zierde der Stadt und für die Stadtplanung dar. Zumindest haben es die Behörden so vermittelt, als sie mit Verordnungen gegen die Ackerflächen und das Halten von kleinen Nutztieren in der „Stadt“ vorgegangen sind (auf den peri-urbanen Arealen, die noch nicht zugebaut sind). Letztlich werden diese politischen Maßnahmen von einem rassistischen Paradigma geleitet, das die Chola und den Indio dazu verdammt, auf dem Land zu leben, mit ihren Tieren, ihrer landwirtschaftlichen Arbeit, stigmatisiert und unsichtbar gemacht.

Die Macht, einen Landstrich zu bearbeiten, ohne vorherige Planung und lediglich aus purer Notwendigkeit und dem Gedächtnis heraus, ist eine Praxis, durch die die indigenen Migrantinnen ihren Aufenthalt in der Stadt gestalten und in Kommunikation mit anderen treten. Ein Rundgang durch diese Siedlungen offenbart die Beschaffenheit dieser Objekte/Erinnerungsstücke, in Form von Gärten, Schuppen und manchmal dem Rauch einer Feuerstelle. Ein Garten wird insofern zum kulturellen Gedächtnis, als eine Saat nicht nur an das reine Bedürfnis zu essen geknüpft ist, sondern eben jene ausgesäten Samen und produzierten Nahrungsmittel Inbegriff der Ernährungssouveränität der indigenen Bevölkerung sind. Was hier wächst und gedeiht, ist grundlegend für das Hauptgericht auf dem Familientisch, eine einfache Zwiebel wird zum Gewürz, zu einer bestimmten Art des Kochens, was wiederum die Erinnerung nährt. Das Gleiche gilt für Arzneipflanzen: In Erinnerung daran, was bereits geheilt wurde, wird gesät; was bereits Schmerzen gelindert und Wunden desinfiziert hat, wird auch ausgesät.

Auch ein Stall gehört zum kulturellen Gedächtnis, da sein Bau aus einer Reihe von Versuchen entstanden ist, um die Tiere trocken und warm unterzubringen, um sie so zu versorgen, dass sie nicht krank werden oder sich verletzen, dass Geburten reibungslos ablaufen, um die Ernährung so zu ergänzen, dass kleine Säugetiere wie das Cuy (Meerschweinchen) überleben können. Die Erinnerungen daran, wie etwas gemacht wird, werden in diesen kulturellen Prozessen abgespeichert.

Eine Feuerstelle im Garten ist ebenfalls Teil des kulturellen Gedächtnisses, denn um die Flammen herum haben sich verschiedene Familien bei Festen kennengelernt, Geschichten wurden ausgetauscht, rauchiger Geruch weckt Erinnerungen an die Vergangenheit, an andere Familien, Geschichten und Handlungen. Das ist der Geruch von zu Hause, der sich mit dem Nebel vermischt, der sich abends über die peri-urbanen Vorstädte in den Anden legt und die Kröten weckt, und damit die Erinnerungen an die frühesten Kindheitstage.

Und die Hände, die in den Küchen, Gärten, Ställen und an den Feuerstellen gearbeitet haben, waren überwiegend Frauenhände, ob mit oder ohne Pollera. In ihrem Alltag bewahren sie jene Erinnerungen für alle anderen auf.

Dieses ecuadorianische Migrationsphänomen besitzt viele Facetten; einige davon sind hier aufgezeigt worden. Der Fokus auf die Frauen, die zwischen 1960 und 1995 in die Stadt migriert sind, ist der Tatsache geschuldet, dass diese Frage aus einer feministischen, sozialwissenschaftlichen Perspektive zuvor kaum thematisiert worden ist.

Die Romantisierung der gesellschaftlichen Prozesse hat diesen Frauen eine Nebenrolle zugewiesen. Anstatt von „Menschen zweiter Klasse“ zu sprechen, könnte ebenfalls von einer totalen Existenzverleugnung gesprochen werden. Schließlich lassen die Ausbeutung und die prekären Lebensbedingungen in keinem Moment eine respektvolle Würdigung dieser Existenz zu, erst recht nicht, wenn sie weiblich, migrantisch oder jung ist.

Kutimuy: Zurückkommen, zurückkehren; außerdem der Titel eines Liedes aus dem Album von Los Kjarkas, einer Gruppe, die meine Mutter in ihrer Jugend gehört hat.

  • 1. Die Panamahut-Krise wurde durch einen Einbruch der Nachfrage nach ecuadorianischen Hüten ausgelöst, die durch eine weltweite Trendwende in der traditionellen Männerkleidung erzeugt wurde. Die ausbleibende Produktion im ländlichen Südecuador zwang viele in die Arbeitslosigkeit.
  • 2. Carpio, P., Entre pueblos y metrópolis „La migración internacional en comunidades austroandinas del Ecuador” Quito: Abya Yala, 1992
  • 3. Mancero, M., Nobles y cholos: raza, género y clase en Cuenca 1995 – 2005. Quito: FLACSO, 2010
  • 4. Teils abwertende, teils selbstbestimmte Bezeichnung für indigene Frauen ländlicher Herkunft, die in Großstädte ziehen
  • 5. Bestimmte im Körper gespeicherte Fähigkeiten, Gesten und Gehabe
  • 6. Ein symbolisches Volkslied über die Chola Cuencana, komponiert von Rafael Carpio Abad, zeigt diese rassistische Exotisierung mit gleichzeitiger Anpassung an weiße Normen: https://www.youtube.com/watch?v=LOWZoNEuvps
  • 7. Silberne Ohrringe, die die Trachten der Cholas komplettieren

Liz Zhingri (24) hat in Cuenca studiert und engagiert sich in Bewegungen für Feminismus und Umwelt.

Übersetzung: Christoph Joppich und Britt Weyde