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Schweinchenbucht gescheitert

US-kolumbianische Putschversuche verschärfen Kriegsgefahr und Wirtschaftskrise in Venezuela

Seit der Selbsternennung Juan Guaidós zum venezolanischen „Gegenpräsidenten“ im Januar 2019 reißt die Welle der erfolglosen militärischen Umsturzversuche gegen Amtsinhaber Nicolás Maduro nicht ab. Am 30. April 2019 war in Caracas ein von der US-Regierung mitgetragener Putschversuch Guaidós an mangelnder Unterstützung im venezolanischen Militär- und Staatsapparat gescheitert. Und nun die „Operation Gideon“: Regierungskräfte vereitelten die Anlandung einer Gruppe von 50 desertierten venezolanischen Soldaten unter der Führung von zwei ehemaligen US-Elitesoldaten, die am 2. Mai in Kolumbien aufgebrochen waren. Sechs Invasoren starben bei dem waghalsigen Versuch, den venezolanischen Präsidenten zu entführen, auf den die Trump-Regierung erst am 26. März ein Kopfgeld von 15 Mio. US-Dollar ausgesetzt hatte. 66 weitere Personen wurden seitdem verhaftet, darunter zwei US-Söldner, deren Aussagen in Videoverhören in Venezuelas Staatsfernsehen gezeigt wurden. Ebenfalls öffentlich ist der 48-seitige Vertrag zwischen Guaidó und der US-Söldnerfirma Silvercorp: Das vom Chef der Söldnerfirma selbst geleakte Beweisstück mit einer Rechnungssumme von über 220 Millionen US-Dollar löste prompt den Rücktritt von Guaidós wichtigsten Beratern aus.

Simon Ernst

Es geht ums Geld. Viel Geld. Während die Maduro-Regierung in Lateinamerikas „Schatztruhe“ Venezuela für kurzfristige Kredite und Militärhilfe im Rekordtempo die Schürfrechte für die größten Erdöl- und Goldreserven des Kontinents an Russland, China und auch die Türkei eintauscht, stützt sich das Regime-Change-Lager der in Kolumbien und den USA ansässigen Gegenregierung Guaidós auch bei der Putschfinanzierung auf konfisziertes venezolanisches Staatsvermögen im Ausland, auf US-„Entwicklungshilfe“-Töpfe sowie auf Mittel internationaler Multimillionäre aus dem westlichen Lager.

Westliche Konzerne, Gläubigergruppen und ihre Regierungen haben schließlich ein starkes Interesse an der Rückgewinnung der Kontrolle über das Land, das im 20. Jahrhundert einst das Juwel und Kernstück des US-Hinterhofs in Südamerika repräsentierte und nun mit der astronomischen Summe von über 120 Milliarden US-Dollar verschuldet ist – zu einem großen Teil bei neuen Investoren aus dem Osten: Maduros Amtsvorgänger Hugo Chávez, gegen den Anfang des Jahrtausends zwei US-gestützte Putschversuche gescheitert waren, hatte den Bruch mit Washington mit einer neokolonialen Unterordnung unter dessen größte Rivalen erkauft, die in Venezuela keinen Sozialismus, aber eine Eingangstür für die Expansion in Lateinamerika und der Karibik vorfanden.

Die Bevölkerung des mit großen Naturreichtümern gesegneten 30-Millionen-Einwohner-Landes leidet nun seit Jahren unter der schlimmsten Wirtschaftskrise der lateinamerikanischen Geschichte, die sich bei jedem neuen Zusammenstoß zwischen den global wie national verfeindeten Lagern weiter vertieft. Neokoloniale Wirtschaftsstrukturen und kapitalistische Krisen haben die Erdölindustrie, einzige Basis von Außenhandel und Staatsfinanzen Venezuelas, seit 2014 an den Rand des Zusammenbruchs gebracht, und mit ihr das gesellschaftliche Leben. Seitdem sind die Reallöhne um mehr als 80 Prozent gefallen, flächendeckende Versorgungsausfälle bei Importprodukten aller Art, Nahrungsmitteln, Medikamenten und zunehmend auch Benzin stehen auf der Tagesordnung, zudem tagelange Unterbrechungen bei Wasser und elektrischem Strom, Blockaden, Störungen bei TV und Internet sowie der Verfall von Krankenhäusern und Schulen. Die seit 2017 stufenweise eingeführten Sanktionen von US-Regierung und EU haben diese Verwüstung der venezolanischen Volkswirtschaft erheblich verschärft und den Leidensdruck in der Bevölkerung unermesslich gesteigert, auch in der Armee. Unter den Millionen von venezolanischen Flüchtlingen, die das Nachbarland Kolumbien seit Beginn der Krise aufgenommen hat, sind zahlreiche desertierte Soldaten, denen Guaidó eine neue Regierung, ein neues Parlament und ein neues Venezuela versprochen hatte – und natürlich einen Sold.

Auf diese Art angeworbene Deserteure der unteren Ränge der venezolanischen Armee in Kolumbien waren aber nur das Kanonenfutter für die vermeintlich wahren Experten in Militärberatung, Training, „asymmetrischer Kriegsführung“ und Logistik, die Guaidós Schattenkabinett über die Söldnerfirma Silvercorp in Florida rekrutierte. Der Firmengründer, der ehemalige US-Elitesoldat Jordan Goudreau, war so bereits bei Guaidós Provokation an der kolumbianischen Grenze am 22. Februar 2019 für die „Sicherheit“ bestellt worden. Mit einem Konzertspektakel sollte angeblich dafür gesorgt werden, dass die „humanitäre Hilfe“ für Venezuelas Bevölkerung ins Land gelange, eigentliches Ziel war jedoch das gewaltsame Eindringen ins Nachbarland. In die Vorbereitungen waren nachweislich die kolumbianische Drogenbande der „Rastrojos“ und die kolumbianische Regierung direkt verwickelt. Mit einer brennenden Grenzbrücke am Ende des Tages rückte ein Krieg in Südamerika in greifbare Nähe. Auf der von Goudreau bewachten Bühne, die unter anderem der britische Milliardär Richard Branson bezahlt hatte, warben vor dem venezolanischen Flüchtlingspublikum US-Vizepräsident Mike Pence und der kolumbianische Präsident Iván Duque gemeinsam mit Guaidó für den Regime Change.

In den Wochen nach dem gescheiterten Putschversuch vom 30. April 2019 war es dann nach Angaben der Nachrichtenagentur AP Trumps langjähriger Leibwächter Keith Schiller, der Guaidó in den USA mit Goudreau zusammenbrachte. Anlass waren „Spenderkonferenzen“ von Guaidós Beauftragtem für „humanitäre Hilfe“, Lester Toledo. Guaidó, sein Chef-Stratege Juan José Rendón sowie sein Stabschef Sergio Vergara unterzeichneten schließlich am 16. Oktober 2019 einen im Mai 2020 von der Washington Post verifizierten und publizierten 7-seitigen Vertrag nebst 41-seitigem Anhang, der die Rekrutierung der Invasionstruppe für die Entführung von Maduro und die Absicherung des Hauptstadtflughafens in Gang setzte; 300 Kämpfer sollten mit Kriegswaffen bewaffnet, trainiert und von Kolumbien nach Venezuela geschafft werden, bei stufenweiser Zahlung von Millionenbeträgen.

Außer einer Anzahlung von 50 000 US-Dollar durch Guaidó-Berater Rendón ist aber (nach Angaben von Goudreau und Rendón) kein Geld der Gegenregierung an Silvercorp geflossen. Vor seiner Rolle als Guaidós Bluthund war Rendón Kampagnenchef von Politikern wie Peña Nieto in Mexiko sowie von Álvaro Uribe und Juan Manuel Santos in Kolumbien – eine zentrale Figur also im Politikbetrieb lateinamerikanischer Narco-Staaten. Sein persönlicher Anwalt Manuel Retureta, als „Zeuge“ ebenfalls Unterzeichner des Goudreau-Vertrags, hat eine lange Geschichte als Rechtsverdreher lateinamerikanischer Kartellchefs und Paramilitärs wie Salvatore Mancuso und Dámaso Lopez.

Neben der Anwerbung der Ex-US-Elitesoldaten Luke Denman und Airan Berry als Ausbilder und Kommandeure – letzterer wohnhaft bis zum Putsch in Schweinfurt – setzte Goudreau auf die unmittelbar verfügbare Menge an venezolanischen Flüchtlingen und Deserteuren im Nachbarland Kolumbien, das seit Jahrzehnten als Exportweltmeister für Drogen, Basis des US-Militärs in Südamerika und Experimentierfeld faschistischer Paramilitärs bekannt ist.

Der ranghohe Militär der Chávez-Ära, Clíver Alcalá, der einst der vom Drogenhandel geprägten Grenzregion militärisch vorstand und seit 2011 von den USA wegen Drogenhandel gesucht wird, verfügt im Gegensatz zum Großteil von Guaidós Lager über noch aktive Verbindungen in Venezuelas Streitkräfte, die von Russland, China und Cuba abhängen. Im Jahr 2015 brach er öffentlich mit Maduro. 2018 ging der Ex-General nach Kolumbien ins Exil, an den Rand der Sierra Nevada, und begann dort nach eigenen Angaben den Aufbau einer Gegenarmee.

Laut AP sollen Clíver Alcalá und Goudreau, gemeinsam mit Guaidós Parteikollegen und „Kabinettsmitglied“ Lester Toledo, bereits im Mai 2019 die Grundzüge der später „Operation Gideon“ getauften Invasion geplant haben: im Hotel Marriott, in Bogotá, in einer zweitägigen Sitzung.

Die eigentliche Ausbildung fand demnach Anfang 2020 in drei Lagern unter ärmlichsten Bedingungen in der Sierra Nevada statt und wurde bis zum 23. März, als es zur Konfiszierung eines Waffentransports durch örtliche Polizei kam, von der kolumbianischen Regierung toleriert. Clíver Alcalá, der sich in der Zwischenzeit wieder mit Guaidó überworfen hatte, wurde allerdings am 26. März gemeinsam mit Nicolás Maduro auf die Kopfgeldliste der berüchtigten Geheimpolizei DEA gesetzt, allerdings „nur“ mit einer Summe von 10 Millionen US-Dollar. Noch am gleichen Tag bekundete er öffentlich seine angebliche Feindschaft zur „Maduro-Diktatur“, berichtete von seinen Invasionsplänen und stellte sich der DEA, die ihn wenige Tage später an die USA auslieferte. Goudreau wurde so bereits am 28. März zum Gesprächsthema im venezolanischen Staatsfernsehen: im Programm des mächtigen Militärs und Chefs der Regierungspartei PSUV, Diosdado Cabello.

Wie es letztendlich einen Monat später zu der Entscheidung Goudreaus kam, aus der sicheren Ferne in Florida und nach dem öffentlichen Bekanntwerden der Involvierung seiner Söldnerfirma weiter am Plan festzuhalten, ist unklar. Ohne vertragliche Vorfinanzierung und ohne auch nur ein Viertel der angestrebten 300 Söldner rekrutiert, geschweige denn ausgebildet zu haben, sahen viele in der „Operation Gideon“ nur eine Suicide Mission. Goudreau sei auf schnelles, großes Geld aus gewesen, so Experten aus der Söldnerbranche, möglicherweise sei es ihm allein um Kopfgelder der DEA gegangen. Cabello jedenfalls kommentierte nach dem Scheitern des Putsches in seinem Programm: „Wir wussten alles. Einige ihrer Treffen mussten wir [der venezolanische Geheimdienst] sogar bezahlen. So infiltriert hatten wir sie.“

Vielleicht hielt sich Venezuelas Regierung bei ihrer Vorbereitung auf den Putsch an Napoleons Ausspruch: „Unterbrich niemals deinen Feind, während er einen Fehler macht.“

Fulton Armstrong, ehemaliger US-Geheimdienstchef für den Bereich Lateinamerika, erklärte gegenüber der mexikanischen Tageszeitung „La Jornada“: „Die Vereinigten Staaten haben Anreize für diese Art von Operation geschaffen, ... obwohl alles darauf hindeutet, dass diese Operation nicht von Washington geleitet wurde, deutet alles auch darauf hin, dass sie dort gebilligt wurde.“ Armstrong warnte vor dem Hintergrund der großen und zuletzt noch gesteigerten US-Militärpräsenz in der Region und angesichts der Forderung des US-Außenministers Mike Pompeo nach Freilassung der inhaftierten US-Söldner in die USA, dass „ein Vorwand für eine direkte Militäraktion der Vereinigten Staaten geschaffen wird, indem sie [die US-Regierung] die gefangenen ehemaligen US-Elitesoldaten als ,Geiseln‘ bezeichnen“.