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Von Mesoamerika in die Welt

Produktion und Nutzung des Maises in der globalen Wirtschaft

Mais ist heutzutage das meistproduzierte Getreide der Erde. 2018 wurden weltweit 1,14 Milliarden Tonnen auf 193 733 568 Hektar angebaut, das ist die fünffache Fläche Deutschlands. Nur ein kleiner Teil davon ist für die menschliche Ernährung bestimmt, obwohl Mais für 900 Millionen Menschen das wichtigste Grundnahrungsmittel ist.

Santiago Penedo

Die Domestizierung des Maises, also seine Nutzung als Kulturpflanze, fand vor 7000 bis 8000 Jahren im heutigen Mesoamerika (Mexiko und Zentralamerika) statt. Mais wurde aus Teocintle („Göttlicher Mais“ auf Náhuatl) gezüchtet; aus einer harten und ungenießbaren Pflanze machten die Mesoamerikaner*innen eine essbare Frucht mit riesigen Kolben. Diese Umwandlung ermöglichte die Entstehung der mesoamerikanischen Zivilisation. Die Wichtigkeit dieser Pflanze wird in den Mythen und Göttern der verschiedenen Kulturen (z.B. Olmeken, Maya, Azteken, Tolteken, usw.) dargestellt (vgl. die ersten Beiträge dieses Dossiers). So wie in Ägypten die ersten Kalender mit den Zyklen des Nils entstanden, waren sie in Mexiko mit den Zyklen des Maises verbunden.

Nach der Eroberung von Mexiko wurden die dort angebauten Pflanzen in die Welt verbreitet. Dazu gehörten Tomaten, Vanille, Kakao, Avocados, Dahlien und Chilis, aber keine davon spielt eine solche Rolle wie der Mais. Mais wurde in wenigen Jahrzehnten auf jeden Kontinent gebracht und angepflanzt. Zur weltweiten Bedeutung des Maises sagte der mexikanische Literaturnobelpreisträger Octavio Paz: „Die Entdeckung des Maises durch die Mexikaner ist nur vergleichbar mit der Entdeckung des Feuers für den Menschen.“

Heute sind die USA, China, Brasilien, Argentinien und die Ukraine – in dieser Reihenfolge – die TOP-5-Maisproduzent*innen weltweit. Alleine in diesen Ländern werden knapp 80 Prozent der gesamten globalen Produktion geerntet.

Obwohl die Domestizierung von Mais in Mesoamerika für Nahrung gedacht war, sieht der heutige Verbrauch anders aus. Weltweit werden 55 Prozent der gesamten Produktion für Tierfutter, 22 Prozent für Industrie und Kraftstoffe, nur etwa 14 Prozent für Ernährung und der Rest für Saatgut und Sonstiges gebraucht. Der zunehmende globale Fleischkonsum erfordert immer mehr Futter für Tiere. Mit seinen Eigenschaften wie schnellem Wachstum und hohen Erträgen spielt der Mais dabei eine wichtige Rolle. Die erhöhte Maisproduktion hat die konzentrierte Tierfütterung in den letzten 100 Jahren massiv befördert, wo die Tiere zuvor nur Gras gefressen hatten. Durch die Zufütterung von „Kraftfutter“ wie Mais, Soja usw. wurden das Wachstum der Tiere beschleunigt und die Erträge, etwa die Milchproduktion pro Kuh, deutlich erhöht.

Trotz der großen Nachfrage nach Futtermais führte die hochsubventionierte Agrarpolitik in den USA zu einer Überproduktion von Mais. Dafür mussten Wissenschaftler*innen eine Lösung finden und kamen auf die Idee, Kraftstoff aus Mais zu produzieren. Auch in Europa wurde Mais aufgrund einer problematischen Förderpolitik verstärkt zur Energieproduktion genutzt, was aber zumindest in Deutschland und anderen EU-Staaten inzwischen wieder zurückgefahren wird (vgl. den Beitrag „Problem erkannt“ in dieser ila).

Stark zugenommen hat international auch die Produktion von Süßstoffen auf Maisbasis. Bereits 1957 wurde die Herstellung von Maissirup (auch HFCS von englisch „High Fructose Corn Syrup“) entwickelt. Ab den 1980er-Jahren wurde Maissirup als Süßungsmittel für Erfrischungsgetränke eingesetzt. Heute sind solche Süßstoffe in einer Vielzahl von verarbeiteten Lebensmitteln – von Erfrischungs- und Fruchtgetränken bis hin zu Joghurt, Brot, Konserven und verpackten Produkten – in großem Umfang enthalten. HFCS hat im Vergleich zu Saccharose für die Lebensmittelindustrie viele Vorteile. Deshalb ist HFCS heute nach Ethanol das wichtigste Industrieprodukt aus Mais. Sein Nährwert und sein möglicher Beitrag zu einer Zunahme von Diabetes und Bluthochdruck in Ländern, die mehr HFCS als Saccharose verwenden, werden inzwischen kritisch diskutiert.

In der Produktion von Mais gibt es zwei gegensätzliche Ansätze: als Monokultur, das heißt Felder mit nur Mais und nichts anderem (oft als Hybrid1 oder genetisch veränderter Mais), oder als Mischkultur, wobei Mais zusammen mit anderen Pflanzen (z.B. Kürbis, Bohnen, Tomaten, Hirse usw.) angebaut wird. (vgl. dazu den Beitrag „Absolut gegensätzliche Modelle“ in dieser ila) Die USA, wo 40 Prozent der Weltproduktion angebaut werden, sind ein gutes Beispiel für das erste Produktionssystem. Kooperationen zwischen Universitäten und Unternehmen kombiniert mit der Förderpolitik der Regierung führten zur Entwicklung von Hybridmais und dann auch zu gentechnisch verändertem (GV-) Mais. Seit Mitte der 1990er-Jahre wird in den USA GV-Mais kommerziell angebaut, inzwischen auf über 95 Prozent der Anbaufläche. 62 Prozent des weltweit verfügbaren GV-Maises werden heute in den USA produziert. Beim GV-Mais geht es vor allem um Resistenz gegen das Roundup-Pestizid Glyphosat (das dann alle Pflanzen mit Ausnahme des GV-Mais zerstört, wobei es inzwischen immer mehr glyphosatresistente Unkräuter gibt) und gegen verschiedene Insekten. Dadurch konnten die Erträge in den USA im Laufe der Jahre ständig gesteigert werden und liegen heute bei über zehn Tonnen pro Hektar.

Obwohl der Ertrag oft als einziger Leistungsindikator der Landwirtschaft benutzt wird – je höher desto besser –, sollte nicht vergessen werden, dass die Landwirtschaft eine multifunktionale Aktivität ist, wo auch die Umwelt und die Menschen berücksichtigt werden müssen. Die sogenannten Externalitäten (negative Auswirkungen, für die niemand bezahlt) können enorm sein. Der Maisgürtel (wo die meiste Maisproduktion in den USA stattfindet) ist ein deutliches Beispiel dafür. Die Übernutzung von Dünger hat eine negative Auswirkung auf Wasserressourcen. Große Mengen Nährstoffe (vor allem Phosphate und Nitrate) gelangen in die Gewässer und beschleunigen das Wachstum der Wasserpflanzen. Wenn diese absterben und massenhaft absinken, reicht der vorhandene Sauerstoff nicht für deren Abbau. Faulige Gerüche kennzeichnen das Umkippen von Ökosystemen. Das ist bereits teilweise der Fall im Golf von Mexiko, wo der Mississippi mündet, nachdem die Abwässer des Maisgürtels in den Fluss gelangten. Als Konsequenz gibt es im Golf von Mexiko eine sogenannte „Tote Zone“ so groß wie Nordrhein-Westfalen ohne jedes Leben. Keine Fische, keinerlei Organismen. Eine weitere Externalität ist der Verlust der Biodiversität. Der Einsatz von Pestiziden ist mit diesem Modell in den letzten Jahrzehnten steil gestiegen. Diese chemischen Substanzen verschmutzen auch die Gewässer und bedrohen Insekten als natürliche Bestäuber extrem.

Das zweite Modell, also die bäuerliche Mischwirtschaft mit anderen Pflanzen, wird vor allem in Lateinamerika und Subsahara-Afrika praktiziert. In diesen Regionen werden etwa 60 Prozent der Maisanbaufläche noch in Mischkultur angebaut. Dieses landwirtschaftliche System ahmt die Natur nach und sucht nach symbiotischen Effekten zwischen den verschiedenen Pflanzen. Dadurch werden weniger externe Inputs wie Dünger und Pestizide gebraucht und auch die negativen Effekte für Menschen und Natur werden kleiner. Darüber hinaus ist eine höhere Agrarbiodiversität resilienter gegen Krankheiten und Klimaextreme – die wegen des Klimawandels in Zukunft häufiger werden – und fördert die Ernährungssouveränität.

In Mexiko und Zentralamerika wird Mais von den Kleinbauern und -bäuerinnen im Milpa-System zusammen mit anderen Pflanzen, vor allem Tomaten und Chilis, angebaut (vgl. den Beitrag „Milpa – Die Kultur des Maises“ in diesem Dossier). Solche Systeme werden fast nur von Kleinbauern und -bäuerinnen betrieben, da sie sehr arbeitsintensiv sind. Diese Bauern und Bäuerinnen nutzen die Ernte in erster Linie für die eigene Ernährung und vermarkten ihre Ernte gar nicht oder nur zu kleinen Teilen. Es wird geschätzt, dass für 900 Millionen Menschen auf der Welt Mais die Hauptnahrungsquelle ist. Deswegen macht der für die menschliche Ernährung bedeutsame weiße Mais nur vier Prozent des international gehandelten Maises aus, während 96 Prozent gelber Mais sind, der hauptsächlich für die Viehzucht sowie die Energieproduktion und die HFCS-Industrie bestimmt ist.

Der Maismarkt zeigt, was passiert, wenn Agrarprodukte weltweit vermarktet werden. Die US-Landwirtschaft als Hauptproduzent bestimmt die Produktionsform, und über den Weltmarktpreis des Getreides wird an der Börse von Chicago entschieden.

Seit dem Inkrafttreten des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA ist Mexiko abhängig von Maisimporten aus den USA, während hunderttausende mexikanischer Kleinbauern und -bäuerinnen aufgeben mussten, weil sie nicht gegen den hochsubventionierten Mais aus den USA konkurrieren können. Dies verursachte eine große Migrationswelle von Bauern und Bäuerinnen in die Städte Mexikos und auch in die USA.

Ein anderes Beispiel ist die sogenannte mexikanische Tortilla-Krise von 2007. Wegen der starken Nachfrage nach Ethanol in den USA erreichten die Maispreise an den internationalen Rohstoffmärkten einen sehr hohen Stand. Die Maisernte floss dahin, wo das Geld war, also in die Energieproduktion. Das führte dazu, dass sich in Mexiko-Stadt der Kilopreis für Tortillas innerhalb weniger Wochen von umgerechnet 40 auf 75 Euro-Cent fast verdoppelte. Das war für die Mexikaner*innen eine Katastrophe – insbesondere für die 60 Prozent Armen bedeutete dies Hunger und Ernährungsunsicherheit.

Das Beispiel des Maises zeigt auf, wie die globalisierte Landwirtschaft heute funktioniert und welche Interessen sie bestimmen. Themen wie Saatgutkontrolle, Produktionssysteme und Nutzung von Pflanzen sind extrem relevant. Wenn wir die Agrarwende erreichen wollen, bedarf es großer Anstrengungen. Es gibt Maßnahmen, die auf den unterschiedlichen politischen Ebenen entschieden werden müssen, aber wir können auch individuelle Entscheidungen treffen, die nachhaltigere Systeme unterstützen. Die Kleinbauern und -bäuerinnen sind sehr wichtig für den Erhalt der Biodiversität und der globalen Ernährungssicherheit, denn sie sind es, die zwischen 60 und 70 Prozent der Nahrungsmittel weltweit produzieren. Viele kleine Produzent*innen im Süden der Erde, aber auch in den Industriestaaten, leben in prekären Verhältnissen. Daran wird sich nichts ändern, solange der Wert der Agrobiodiversität für die Märkte und die Gesellschaft unsichtbar bleibt und nicht angemessen kompensiert wird. Das gilt auch und gerade für die Maisproduktion, wo es die Kleinbauern und -bäuerinnen sind, die die lokalen Maissorten erhalten. Es gibt mehrere unabhängige Initiativen in Afrika und Lateinamerika, die solche kleinen Produzent*innen bei der Maisproduktion unterstützen. Die geben Hoffnung und sollten auch von uns hier aus Deutschland gefördert werden.

 

  • 1. Hybride entstehen aus zwei oder mehr Inzuchtlinien, die durch erzwungene Selbstbefruchtung möglichst reinerbig sind. Deren kontrollierte Kreuzung bringt in der nachfolgenden Pflanzengeneration durch den so genannten „Heterosiseffekt“ erwünschte Eigenschaften hervor. wie zum Beispiel hohe Erträge, große Kolben. Quelle: www.bantam-mais.de/warum-bantam/haeufig-gestellte-fragen.html

Santiago Penedo, Umweltwissenschaftler und Menschenrechtsaktivist, Mitglied im kollektiv tonalli und Mitwirkender im Projekt MAIZ