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Literarische Aufklärung

Der Kriminalroman „Die Aktivistin“ von Jutta Blume
Gert Eisenbürger

Krimis deutschsprachiger Autor*innen, die in Lateinamerika spielen, gibt es einige. Oft sind darin die teilweise realen, teilweise fiktiven Länder oder Regionen, in denen die Handlungen angesiedelt sind, nicht mehr als tropisch-exotische Kulisse. Vor dieser werden die üblichen Klischees über Drogenhändler, Auftragskiller, korrupte Polizisten und andere zwielichtige Lateinamerikaner*innen aufgefahren, gegen die sich ein männlicher Deutscher behaupten muss – was dem Teutonen am Ende auch immer gelingt.

So war ich durchaus skeptisch, als ich mit der Lektüre des Romans „Die Aktivistin“ von Jutta Blume begann. Tatsächlich gibt es in dem Buch auch Drogenhändler, korrupte Militärs und einen Deutschen, der sich plötzlich mit denen konfrontiert sieht. Trotz dieses Personals ist Jutta Blumes Roman anders, denn er bedient keineswegs die bekannten Klischees. Das liegt vor allem daran, dass die Autorin Honduras, wo die Geschichte spielt, gut kennt und sich journalistisch schon lange mit diesem Land beschäftigt. Zudem ist der Roman intelligent gestrickt. Er ist nicht einfach linear erzählt, sondern wechselt zwischen den Perspektiven dreier sehr unterschiedlicher Protagonist*innen.

Da ist zunächst Ulrich. Der war einige Jahre als Fachkraft für die „Deutsche Gesellschaft“ – Assoziationen zur „Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) sind rein zufällig – in Honduras tätig. Er war also das, was man früher „Entwicklungshelfer“ nannte. Seit seiner Rückkehr nach Deutschland arbeitet der Enddreißiger in der Bonner Zentrale der „Deutschen Gesellschaft“. Während seiner Zeit in Honduras hatte er eine kurze, intensive Affäre mit Yessica, einer politisch sehr aktiven Frau aus der afro-indigenen Gemeinschaft der Garífuna, die an der Atlantikküste mehrerer Länder Zentralamerikas leben. Nach einer gescheiterten Beziehung in Bonn entschließt sich Ulrich kurzfristig, seinen Resturlaub in Honduras zu verbringen, um Yessica wieder zu treffen. Doch als er in dem Dorf an der Atlantikküste ankommt, ist sie verschwunden, und niemand von denen, die er trifft, kann oder will ihm eine Auskunft darüber geben, wo sie sich aufhält.

Die zweite Erzählperspektive ist die von Yessica. Sie erzählt, wie die Garífuna ihrer Gemeinde immer stärker unter Druck gerieten, als ihr Dorf Teil der Modellstadt „La Victoria“ wurde. „Modellstädte“oder „Sonderentwicklungszonen“ sind ein ökonomisch-politisches Projekt, das nach dem Putsch gegen den linksliberalen Präsidenten Mel Zelaya im Jahr 2009 von der ihm nachfolgenden rechtskonservativen Regierung initiiert wurde. Weitergehend als die vielerorts in Lateinamerika existierenden „Freien Produktionszonen“, in denen den dort tätigen Unternehmen weitgehende Steuerbefreiung und meist auch „Gewerkschaftsfreiheit“, also die Kriminalisierung gewerkschaftlicher Arbeit, zugesichert wird, sollen die in den Modellstädten tätigen Unternehmen beziehungsweise von ihnen eingesetzte Gremien dort auch weitgehende administrative und sogar legislative Befugnisse haben. Das heißt: Die Modellstädte sind quasi als staatsähnliche Gebilde innerhalb souveräner Staaten konzipiert.

In der Modellstadt „La Victoria“ steht der Bau eines exklusiven Tourismus- und Tagungsressorts im Mittelpunkt des Interesses der Investor*innen, in diesem Fall eines koreanischen Konsortiums. Dafür ist das Garífuna-Dorf „El Triunfo“, in dem Yessica lebt, im Weg. Die Leute sollen dem Unternehmen ihre Häuser verkaufen und wegziehen. Einige sind auf das Angebot eingegangen, andere wollen den Ort nicht verlassen.

Letzteren wird das Leben zunehmend schwerer gemacht. Die örtliche Schule wurde geschlossen und das einst auch von der „Deutschen Gesellschaft“ unterstützte kleine Gesundheitszentrum ist ebenfalls dichtgemacht worden, nachdem sich die beiden Mitarbeiterinnen, unter ihnen Yessica, geweigert hatten, das Ganze den Händen einer evangelikalen Kirche zu überlassen, welche die im Zentrum angebotene Beratung zu Sexualität und Empfängnisverhütung umgehend gestoppt hätte. Auch der kritische lokale Radiosender steht vor dem Aus, weil er keine neue Sendelizenz hat. Als dann noch handfeste Drohungen mit direkter Gewalt gegen die renitenten Bewohner*innen von
„El Triunfo“ dazu kommen, entschließt sich Yessica zum Handeln. Sie verdingt sich als Putzhilfe bei dem Unternehmen, das den Hotel- und Villenkomplex der Modellstadt „La Victoria“ verwaltet, und beginnt dort zu recherchieren, wer für die Angriffe auf ihre Gemeinschaft verantwortlich ist. Doch irgendwann fällt sie auf und muss untertauchen.

Die dritte Erzählperspektive ist die von Amaris Winwright, einer Politikerin der Republikanischen Partei aus dem US-Bundesstaat Montana, die dem „Komitee“ angehört, einer Art Aufsichtsrat der Sonderentwicklungszone „La Victoria“. Dieses aus konservativen Ex-Militärs, Politiker*innen, Unternehmern und Wis­senschaftler*innen aus verschiedenen Ländern (darunter kaum Honduraner*innen) zusammengesetzte Gremium ist quasi die Oberste Kontrollinstanz der Sonderentwicklungszone, das ohne jegliche demokratische Legitimation die dort geltenden Regeln festlegt. Während es dem Vorsitzenden des Komitees, Dwight Johnson, einem ehemaligen Militär und republikanischem Abgeordneten, vor allem um Geschäfte und Profit geht, ist Amaris Winwright eine Überzeugungstäterin. Zwar hasst sie die Atmosphäre und die Hitze der „Bananenrepublik“ Honduras, aber die Modellstadt soll für sie ein rechtes Utopia werden, ein Ort, in dem eine kleine Elite bestimmt, die lokale Bevölkerung sich nicht einzumischen und sich an die evangelikalen Vorstellungen von Moral und Sitte zu halten hat. Wer sich dagegen wehrt, muss verschwinden.

Das gilt besonders für Yessica, deren politische Renitenz sowie deren auf sexuelle Selbstbestimmung zielende Arbeit im Gesundheitszentrum der militanten Abtreibungsgegnerin Winwright ein Dorn im Auge ist. Als es kurz vor einer Pressekonferenz des Komitees zu einer Bombenexplosion kommt, bei der der wichtigste honduranische Verbindungsmann des Komitees und drei Journalist*innen getötet werden, gerät Yessica in Verdacht und die Jagd auf sie beginnt.

Unterdessen fängt auch Ulrich, zusammen mit dem kritischen US-amerikanischen Journalisten Guthrie, an, nach Yessica zu suchen, weil beide um deren Leben fürchten. Ulrich, der zunächst ziemlich naiv und leichtsinnig agiert, beginnt unter dem Einfluss Guthries langsam zu begreifen, welche Interessen mit im Spiel sind. Schmerzlich wird ihm nun klar, dass weder die deutsche Botschaft noch die „Gesellschaft“ etwas unternehmen werden, um Yessica zu schützen, obwohl sie bis kurz vor ihrem Abtauchen eine Projektpartnerin der deutschen Entwicklungszusammenarbeit war.

Es gibt also Jäger und Gejagte, wobei die Leser*innen durch den Wechsel der Erzählperspektiven mitunter mehr wissen als die handelnden Personen. So ist „Die Aktivistin“ nicht nur ein Stück gut recherchierter politischer Aufklärung, sondern auch ein spannender Roman mit einer dezidiert weiblichen Erzählperspektive, die aber zugesteht, dass auch ein weißer Mann lernfähig ist. Wenn er denn dazu bereit ist.