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Vom Schrecken der Erinnerung zur Erinnerung des Schreckens

Gedenkstätten und Museen in „Authentischen Orten“ der Repression in Lateinamerika

In den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts führte der französische Historiker Pierre Nora den Begriff der „Erinnerungsorte“ ein. Wer einen Blick in sein siebenbändiges Sammelwerk Les lieux de mémoire wirft, findet dort nebeneinander Aufsätze zum Eiffelturm oder zu Verdun, aber auch zur Tour de France oder zu „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Ein Erinnerungsort im Sinn von Nora kann also einerseits ein konkreter, materieller, geografischer Ort sein, aber genauso ein immaterieller Kristallisationspunkt, der symbolisch markiert, was in der Erinnerung einer Gemeinschaft – bei Nora ist es die französische Nation – wichtig erscheint. Schnell fand Noras Erfindung der Erinnerungsorte auch Eingang in die weltweite Diskussion um angemessene Formen der Erinnerung an schwere Menschheitsverbrechen unter Diktaturen oder in Kriegen. Weltweit, gerade auch in Lateinamerika, entstanden an Orten, in denen Menschen gequält und ermordet wurden, Gedenkstätten und Museen der Erinnerung

Rainer Huhle

In meinem Beitag konzentriere ich mich auf die Erinnerungsorte in Lateinamerika, die direkt an den Orten der Repression gestaltet wurden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass es in der überaus vielfältigen lateinamerikanischen Erinnerungslandschaft neben Gedenkstätten und Museen auch viele andere materielle Orte gibt: Denkmäler, Skulpturen, Wandmalereien, Fotografien, Bibliotheken, Archive mit audiovisuellen und Printmedien, Erinnerungstafeln, Stolpersteine und vieles mehr. Wichtig ist auch, zu verstehen, dass die Grenzen zwischen all diesen Formen von Erinnerungsorten fließend sind: Ein Erinnerungsmuseum kann viele dieser anderen Erinnerungsorte enthalten, aber es kann auch selbst mobil sein, ebenso wie die Medien, die es ausstellt.

Eine weitere Einschränkung muss angesprochen werden. Die Erinnerungsorte, um die es im Folgenden geht, beziehen sich ausschließlich auf die Erinnerung an Repression in der jüngeren Vergangenheit. Erinnerungsorte an die Eroberung und Zerstörung indigener Völker und Kulturen, wie zum Beispiel die Kirche/Pyramide von Cholula in Mexiko oder die Festung von Sacsayhuamán in Cusco, wären ein eigenes großes Thema.

Museen der Erinnerung sind heute in fast ganz Lateinamerika sehr präsent, doch sie unterscheiden sich auch untereinander erheblich. Grob kann man mindestens drei große Gruppen unterscheiden: erstens eroberte und umgewidmete Orte des Schreckens, zweitens unabhängig von einem direkten Ortsbezug entstandene Museen wie beispielsweise das Museo de la Memoria y los Derechos Humanos in Santiago de Chile oder der Lugar de la Memoria, la Tolerancia y la Inclusión Social in Lima und drittens Museen des Widerstands und der Volkskämpfe.

Die beiden großen Museen in Santiago und Lima können aus Platzgründen hier nicht näher betrachtet werden. Über sie liegt eine ausgezeichnete deutschsprachige Monografie vor.1 Ein kurzer Beitrag über Erinnerungsorte des Widerstands findet sich an anderer Stelle in diesem Heft.

An dieser Stelle soll es also nur um einige Erinnerungsorte gehen, die von Orten des Terrors zu Gedenkstätten wurden. Die Gedenkstätten auf dem Gelände ehemaliger Konzentrationslager in Deutschland und den von Deutschland besetzten Gebieten in Mittel- und Osteuropa gelten weltweit als exemplarischer Umgang mit dem Horror des Nationalsozialismus. Doch ihre heutige Gestalt ist das Ergebnis einer langen Entwicklung voller Widersprüche bezüglich ihrer Konzeption und Konflikten über ihre Trägerschaft.

Das ist in Lateinamerika nicht anders. Auch hier waren es in erster Linie die direkten Opfer von Repression und ihre Familien, die den Erhalt der Orte forderten, in denen die Organe des staatlichen Terrors gefoltert, gemordet und Menschen hatten „verschwinden lassen“. Dabei ging es vor allem um zweierlei: Zum einen waren diese Orte wichtig als Beweismittel in den Prozessen gegen die Täter. Ähnlich wie die SS etwa in den Vernichtungslagern von Sobibor und Treblinka vor ihrem Abzug systematisch alle Spuren des Massenmords zu vernichten suchte, vertuschten auch lateinamerikanische Diktaturen die Spuren ihrer Verbrechen. Sie gruben Leichen wieder aus, um sie andernorts erneut zu verbergen, bauten Häuser des Terrors, die oft mitten in Wohngebieten lagen, so um, dass nichts mehr auf ihre Verwendung während der Diktatur hinwies und Überlebende sie als Zeugen nicht mehr identifizieren konnten, oder sie rissen solche Stätten einfach ab wie etwa das Geheimgefängnis „El Vesubio“ in der Provinz Buenos Aires, in dem u.a. die deutsche Aktivistin Elisabeth Käsemann gefoltert wurde. Bisweilen, wie etwa im Fall der uruguayischen Gefängnisse „Libertad“ und des Frauengefängnisses „Punta Rieles“, oder einer Reihe von Folterzentren in der argentinischen Provinz, betrieben die Behörden diese Institutionen auch einfach weiter und verschleierten so die düstere Vergangenheit dieser Orte. Die beiden Gefängnisse in Uruguay sind inzwischen allerdings immerhin als Gedenkorte markiert.

Den Überlebenden ging es aber nicht nur um die Sicherung gerichtsfester Beweise, sondern auch um den Erhalt von Zeugnissen ihres Leides und des dafür verantwortlichen Terrors als Mahnmal für die Zukunft. Aus Stätten des Grauens sollten „Orte der Erinnerung“ werden. Dies gelang vor allem da, wo es einen deutlichen Bruch mit einer vorangegangenen Diktatur gab, in erster Linie also in Argentinien und Chile, wobei sich die unterschiedlichen Transitionsprozesse in beiden Ländern auch in der Erinnerungspolitik bemerkbar machten.

Während der argentinischen Diktatur 1976-1983 betrieben Polizei und Militär über 500 geheime Haft- und Folterzentren. Ein kleiner, aber symbolisch bedeutsamer Teil von ihnen sind heute Gedenkstätten, nicht nur in Buenos Aires. Das international bekannteste darunter ist die ehemalige Marineschule ESMA, gelegen an einer vielbefahrenen Ausfallstraße im gutbürgerlichen Norden von Buenos Aires. Dort sollen während der Diktatur ca. 5000 Menschen gefangen, gefoltert und getötet beziehungsweise „verschwunden“ worden sein. Es gibt nur etwa 200 Überlebende. Das weitläufige Gelände besteht aus einer Reihe freistehender Gebäude, darunter das die Straßenansicht beherrschende Eingangsgebäude mit den vier pseudogriechischen Säulen. Das eigentliche Folterzentrum war das Casino am Rand des Geländes, das heute als Museum dient.

Dies führt uns zu der Frage, wer eigentlich den Umgang mit der ESMA seit dem Ende der Diktatur 1983 bestimmt. Die ersten, die sich Zugang zu dem streng abgeschirmten Gelände verschafften, waren die Mitglieder der CONADEP, der Nationalen Kommission über die Verschwundenen, die 1984 aufgrund der von ihnen gesammelten Zeugenaussagen zusammen mit Überlebenden die ESMA besuchten und so erstmals die finstere Rolle dieser Institution sichtbar machten. Doch die Marine blieb weiter Herr des Geländes, bis Präsident Menem ihr 1998, also 15 Jahre nach Ende der Diktatur, einen neuen Standort zuwies und zugleich verfügte, dass die Gebäude abgerissen und auf dem Gelände stattdessen ein Park als Symbol der nationalen Einheit entstehen solle. Dazu kam es aufgrund von Protesten der Menschenrechtsorganisationen zwar nicht, aber es dauerte noch bis 2007, bis die Marine tatsächlich das Gelände verließ und seine Umgestaltung in einen „Raum der Erinnerung und der Förderung und Verteidigung der Menschenrechte“ begann.

Seit dem Beschluss von Menem, der Marine die Gewalt über das Gelände zu entziehen, hatten die argentinischen Menschen­rechtsorganisationen mit Diskussionen begonnen, was auf dem freiwerdenden Gelände entstehen solle. Die Meinungen darüber gingen schon unter den Organisationen weit auseinander, dazu kamen dann noch die Vorschläge vieler Expert*innen und schließlich ab 2003 die der Regierungen Kirchner/Fernández, die sehr aktiv in die Bestimmung und Gestaltung des Ortes intervenierten. Das Ergebnis jahrelanger Kontroversen, spontaner Protestaktionen, Konferenzen und organisatorischer Prozesse, die hier nicht referiert werden können, ist heute ein Nebeneinander verschiedenster Nutzungen, Konzepte und Ansprüche. Das offizielle, weil vom Menschenrechtssekretariat des Justizministeriums getragene Museum ist das „Ortsmuseum der Erinnerung“ im ehemaligen Casino. Doch weitere Gebäude haben sich verschiedene Überlebendenorganisationen gesichert. So zeigen die „Mütter der Plaza de Mayo“ und die „Mütter der Plaza de Mayo – Gründungslinie“ in weit auseinanderliegenden Gebäuden, die durchaus ihre Distanz symbolisieren, ihre je eigene Version der Ereignisse und der Geschichte der Mütter der Verschwundenen. Ein weiteres Gebäude beherbergt eine Ausstellung der Großmütter der Plaza de Mayo, die die geraubten Kinder der in der ESMA und anderen Orten ermordeten Frauen suchen. Auch eine Organisation der Kinder der Verschwundenen und Ermordeten (H.I.J.O.S.) und die Organisation der Familienangehörigen von politischen Gefangenen und Verschwundenen bespielen ihr eigenes Gebäude. Dazu kommt seit 2010 das von Cristina Kirchner initiierte Kulturzentrum Haroldo Conti, das Wechselausstellungen zeigt und einen großen Konzert- und Veranstaltungssaal hat. Und schließlich hat auch „Offenes Gedächtnis“ (Memoria Abierta) auf dem Gelände seinen Sitz, eine Dachorganisation verschiedener Menschenrechts-NRO, die u.a. ein großes Archiv über die Repression unterhält.

Der historische Ort ESMA stellt in dieser Form eine wohl einmalige Mischstruktur von staatlichen Initiativen und Maßnahmen und von einer Vielfalt zivilgesellschaftlicher Organisationen dar. Ohne die entschiedene Intervention von Präsident Néstor Kirchner, der die Marine endgültig des Geländes verwies und demonstrativ die Portraits der beiden Juntamitglieder Videla und Bignone aus der Ahnengalerie des Colegio Militar entfernen ließ, wäre dieser 17 Hektar große Erinnerungsort nicht zustande gekommen, aber ohne die Vielfalt der konkurrierenden zivilgesellschaftlichen Organisationen wäre er wohl auch längst zu einem reinen Museum erstarrt.

Ein solches gibt es in unmittelbarer Nachbarschaft. Am nordwestlichen Ende des ESMA-Geländes eröffnete Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner 2014 ein pompöses Museum der Malvinen und der übrigen Inseln des Südatlantik, in dem neben den dort zu findenden Naturwundern vor allem der nationale Anspruch Argentiniens auf diese Inseln demonstriert wird, und zwar in einer gigantischen Museografie, neben der sich alles nebenan in der ESMA Gezeigte altbacken ausnimmt. Aus der ESMA vertrieben, können die Militärs hier auf dem gleichen Gelände erneut ihren Prunk entfalten und sich als Helden und/oder Märtyrer zelebrieren. Der makabre Hintergrund des Malwinenkriegs von 1983 als letztem Versuch, die Diktatur zu retten, wird nicht deutlich. Die einzige fragwürdige Brücke zur ESMA-Gedenkstätte ist ein großformatiges Foto, auf dem eine der Mütter der Plaza de Mayo zu sehen ist, auf dem Kopf das berühmte weiße Tuch, und in der Hand ein Plakat, auf dem die Doppelbödigkeit argentinischer Erinnerungspolitiken auf den Punkt kommt: „Die Malvinen sind argentinisch, die Verschwundenen auch.“

Auch in Chile bemühten sich die Organisationen der Opfer der Diktatur und ihre Familienangehörigen lange Jahre vergebens, die Orte des Schreckens zu Orten zu machen, in denen die Erinnerung an diese Schrecken sichtbar bleibt. Anders als in Argentinien gibt es in Chile keinen derart herausragenden Ort. Die Geheimpolizei DINA, der hauptsächliche Akteur des staatlichen Terrors nach dem erfolgreichen Militärputsch, und ihre Nachfolgeorganisation CNI unterhielten im Land und in der Hauptstadt eine ganze Reihe von geheimen Haft- und Folterzentren.

Das größte dieser Geheimgefängnisse war die „Villa Grimaldi“ am östlichen Rand Santiagos, einst ein herrschaftliches Villengrundstück, bis es 1973 von den Militärs übernommen wurde. Die Berichte von Überlebenden der Villa Grimaldi gehören zu den grauenvollsten aus der Zeit der Diktatur. Ab 1991, im zweiten Jahr der Rückkehr zur Demokratie, versuchten Überlebende, das inzwischen verlassene und versperrte Gelände in einen Erinnerungsort zu verwandeln. Doch die für die Verbrechen Verantwortlichen taten alles, um das zu verhindern. Das Hauptgebäude, die eigentliche Villa, rissen sie gleich nach dem Plebiszit von 1988 ab und das gesamte Gelände wurde an eine Gruppe von Privatleuten aus dem Umfeld des letzten Chefs der CNI überschrieben, die alle Spuren des Terrors eliminieren und neu bebauen wollte. Nur der gemeinsame Protest der Nachbar*innen, der Überlebenden und der Menschenrechtsorganisationen konnte das Projekt blockieren. Der betrügerische Kauf wurde vor Gericht angefochten, und 1990 kam es mit Hilfe von Abgeordneten des neuen Parlaments zu einer ersten Begehung des Geländes. Auch dank des Engagements von Lokalpolitikern gelang es, zumindest weitere Veränderungen auf dem Gelände zu verhindern. Zugleich begannen heftige Diskussionen unter den verschiedenen Organisationen über das Konzept einer künftigen Nutzung des parkartigen Geländes und der wenigen erhaltenen Bauten. Wie auch an anderen Orten lagen die Vorstellungen weit auseinander. Während eine Gruppe für eine Rekonstruktion aller Einrichtungen plädierte, um den Terror während der Diktatur anschaulich zu machen, wollten andere lieber alles niederreißen und einen neuen Ort der Reflexion in einem Park des Friedens schaffen.

Durchgesetzt hat sich schließlich 1997 eine mittlere Lösung: Was noch an das Folterzentrum erinnerte, wurde erhalten und in Teilen sogar rekonstruiert, dazu kamen nach und nach eine Reihe von Mahnmalen und ein kleines Dokumentationszentrum und Museum, in dem die Geschichte des Ortes und der Tausenden von Personen, die durch die Villa Grimaldi geschleust wurden und zum Teil dort auch ermordet wurden, so genau wie möglich dargestellt ist. Die Spannungen zwischen der Regierung und den beteiligten Organisationen der Zivilgesellschaft, aber auch innerhalb der verschiedenen Überlebendengruppen, blieben gleichwohl bestehen, auch nach der Gründung einer zivilgesellschaftlichen, jedoch öffentlich finanzierten Trägerorganisation für den jetzt „Park des Friedens“ genannten Ort. Zu einer profunden Krise kam es 1998 nach der Festnahme Pinochets in London, als der damalige Präsident Frei sich um dessen Freilassung und Rückkehr bemühte und die Trägergesellschaft daraufhin nicht mehr mit dem Staat zusammenarbeiten wollte. Jahrelang tat sich kaum noch etwas auf dem Gelände. Erst nach der Veröffentlichung des Berichts der Valech-Kommission über die Folter in Chile und unter der ersten Regierung von Michelle Bachelet, die 1975 zusammen mit ihrer Mutter selbst einige Tage in die Villa Grimaldi verschleppt worden war, wurde das Gelände nach und nach zu der würdigen Gedenkstätte, als die es Menschen aus aller Welt heute erleben.

Die Bemühungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, einige andere berüchtigte chilenische Folterzentren als Gedenkorte sichtbar zu machen, hatten sehr unterschiedlichen Erfolg. Neben der Villa Grimaldi ist in Santiago vor allem noch das elegante Stadthaus in der Calle Londres im Herzen des Stadtzentrums zu nennen, in dem einmal die Sozialistische Partei ihren Sitz hatte (in deren nicht weit davon gelegenem heutigen Sitz ebenfalls ein kleiner Gedenkort installiert ist). Das Haus war das erste bedeutende geheime Haft- und Folterzentrum nach dem Putsch. Um dies zu vertuschen, änderten die Machthaber vor Ende ihrer Herrschaft die Nummer des Hauses und übergaben es einer militärnahen Institution. Gerade auch wegen seiner zentralen Lage war es für die Überlebenden wichtig, diesen Ort als Gedenkstätte zu gewinnen, die Behörden weigerten sich jedoch lange Zeit. Erst nach einer langen Geschichte von Konflikten, Besetzungen eingeschlossen, wurde das Haus Londres 38 schließlich zum nationalen Monument erklärt. 2011 wurde es ähnlich wie die Villa Grimaldi einem Verbund von zivilgesellschaftlichen Organisationen übergeben, die das Haus seither betreuen, Führungen anbieten und ein wichtiges Dokumentationszentrum nicht nur über die Geschichte des Hauses, sondern die ganze Zeit der Diktatur unterhalten.

Vor einigen Jahren gelang es auch, das Haus in der Straße José Domingo Cañas 1367 im Stadtteil Nuñoa von Santiago zu einer kleinen Gedenkstätte zu gestalten. Das Haus gehörte einst der Botschaft von Panama, die nach dem Putsch dort vorübergehend Verfolgte des Regimes beherbergte, bis ihre Ausreise organisiert werden konnte. 1974 übernahm es die DINA. Heute betreut es eine zivilgesellschaftliche Stiftung. Weniger erfolgreich waren bisher die Bemühungen, ein weiteres emblematisches Folterzentrum im Stadtteil Macul als Gedenkstätte zu gestalten, das unter den Namen „Die Diskothek“ oder „Venda sexy“ bekannt ist. In diesem Haus mit eigenem Swimmingpool wurden vor allem Frauen gefoltert. Auch hier verhinderte ein undurchsichtiger Verkauf an einen Geschäftsmann die Umwandlung in eine Gedenkstätte, obwohl das Gebäude seit 2016 als Nationales Denkmal gilt. Noch immer warten vor allem die Frauenorganisationen darauf, dass der Staat ihnen endlich dieses Gebäude übergibt, das einen nirgendwo sonst so drastisch dokumentierten Aspekt der Brutalität des Regimes verkörpert.

Auch außerhalb Santiagos gab es viele Bestrebungen, aus Orten der Repression Gedenkstätten zu gestalten. Zwei von beiden Enden Chiles seien stellvertretend genannt. Die historische Salzmine von Chacabuco am Rand der Atacamawüste im Norden Chiles wurde gleich nach dem Putsch als riesiges Gefangenenlager missbraucht (u.a. war dort der Sohn von Violeta Parra, Angel Parra, inhaftiert, der Chacabuco später ein Album voller bewegender Lagerlieder gewidmet hat). Chacabuco ist seit 2016 offiziell als „Erinnerungsort“ deklariert, der von der NRO Memoria Chacabuco betreut wird. In der südlichsten Stadt Chiles, in Punto Arenas gegenüber von Feuerland, bemühte sich eine Initiative von ehemaligen politischen Gefangenen viele Jahre um die Erhaltung des Gebäudes im Zentrum der Stadt, das als Folterzentrum diente und zynisch „Palast des Lachens“ genannt wird. 2016 wurde es als Nationales Denkmal deklariert, seitdem bemühen sich die Überlebenden, das leere und heruntergekommene Haus würdig zu gestalten. Den Entwurf dafür hat der Architekt Miguel Lawner erarbeitet, der selbst politischer Gefangener auf der Insel Dawson war. Auf dieser Insel in Sichtweite von Punto Arenas konzentrierte die Junta nach dem Putsch die prominentesten ihrer Gefangenen, vor allem die Mitglieder der Regierung Allende. Versuche, auch dort eine Gedenkstätte zu errichten, scheiterten, die Marine erklärt die Insel noch immer zum militärischen Sperrgebiet.

Ebenfalls gescheitert sind bisher alle Bemühungen, auf dem Gebiet der deutschen Sektensiedlung „Colonia Dignidad“, die eines der schlimmsten Folterzentren der Diktatur war, eine Gedenkstätte einzurichten. Die heute noch dort lebenden deutschen Mitglieder der „Colonia“, die sich inzwischen „Villa Baviera“ nennt und sich als Touristenzentrum etablieren will, haben in einer Scheune ihr eigenes kleines Erinnerungsmuseum errichtet, das die Kooperation der Colonia Dignidad mit dem Pinochet-Regime zwar erwähnt, der Dimension der dort verübten Verbrechen und der Rolle der kriminellen Führungsriege der Colonia Dignidad aber nicht gerecht wird und vor allem die Perspektive der chilenischen Opfer unberücksichtigt lässt.

Nicht zufällig finden sich Gedenkstätten staatlich organisierter Menschenrechtsverbrechen vor allem in Chile und Argentinien, wo nach dem Ende der Diktaturen demokratische Regierungen einen Bruch mit der Vergangenheit proklamierten. Umso bemerkenswerter ist, dass seit dem Regierungswechsel von Ende 2018 nun auch in Mexiko eine solche Gedenkstätte entstanden ist: das Haus „Circular de Morelia 8“ in der Colonia Roma im Herzen der Hauptstadt. In diesem unauffälligen Bürohaus agierte in den sechziger Jahren und bis 1978 die gefürchtete Geheimpolizei Dirección Federal de Seguridad (DFS), die während der Jahre des „schmutzigen Kriegs“ gegen die Guerillabewegungen vor allem im Süden Mexikos die staatliche Repression koordinierte. Heute befindet sich dort eine Abteilung des Menschenrechtssekretariats des Innenministeriums, die unter der Leitung des renommierten Publizisten José Revelos, der u.a. die bis heute wichtige linke Wochenzeitschrift „Proceso“ gründete, eine Ausstellung über die staatliche Repression der sechziger und siebziger Jahre erarbeitete. Sie befindet sich im Keller des Gebäudes, genau dort, wo Hunderte von Gefangenen gefoltert, ermordet und zum Verschwinden gebracht wurden. Die Opferorganisationen Eureka und H.I.J.O.S haben allein eine Liste von 562 Personen erstellt, die nach der Verschleppung an diesen Ort verschwunden sind. Auch dieser Ort wurde, u.a. wegen Schäden nach dem Erdbeben von 1985, aber auch um Spuren zu verwischen, verändert. Dennoch bildet die einfach gestaltete Ausstellung aus Fotografien, Hologrammen, Texttafeln und einem kleinen Archiv einen präzisen und beklemmenden Einblick in das Repressionssystem jener Jahre, in denen sich Mexiko der Welt als fortschrittliches Land präsentierte, während seine Polizei und Militärs einen schmutzigen Krieg gegen kritische Studierende und rebellische Bauern führte, dessen Ausmaß damals kaum bekannt wurde. Allerdings ist die Ausstellung bisher nur auf Anfrage zugänglich, offizielle Öffnungszeiten finden sich auf der Website des Ortes nicht.

Die Angehörigenorganisationen der Opfer des „schmutzigen Kriegs“ haben noch eine Reihe weiterer Orte benannt, die als Gedenkstätten gestaltet werden sollten, darunter das Gefängnis der berüchtigten Armeekaserne „Campo Militar Número Uno“, in der nach dem Untersuchungsbericht der Nationalen Menschenrechtskommission mindestens einer der Studenten von Ayotzinapa gewesen sein soll (oder jedenfalls sein Mobiltelefon). Doch während seit Beginn dieses Jahrhunderts in Mexiko zahlreiche neue Militärmuseen entstanden sind, bleiben die Stützpunkte der Streitkräfte für Erinnerungsarbeit streng verschlossen. Insofern ist die Umwandlung des Hauses Circular de Morelia 8 für Mexiko bislang ohne Beispiel. Ob es ein Präzedenzfall für künftige Gedenkstätten der Repression sein wird, bleibt abzuwarten.