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Der Kolonialismus in den Köpfen

In seinem Buch „Unser Raubgut“ fordert Moritz Holfelder neue Ansätze im Umgang Europas mit seiner Vergangenheit
Helmut Schaaf

Das Buch „Unser Raubgut“ gibt im Wesentlichen die französische und deutsche Debatte um den Umgang mit dem geraubten Kulturgut aus der Kolonialzeit wieder, überwiegend mit Blick auf Afrika. Für den Autor Moritz Holfelder ist die Forderung eindeutig: Alles Geraubte muss zurückgegeben werden. Gleichzeitig wird aber deutlich, dass es um mehr geht als um einen materiellen Transfer des vor gut 100 Jahren aus Afrika und anderen Kolonialreichen geplünderten Guts. Letztlich geht es um die Aufarbeitung des Kolonialismus, bei der das deutsche Kaiserreich zwar spät, aber gründlich versuchte, sich – etwa in „Deutsch Südwest“ – noch einen Teil der Welt untertan zu machen. Klar wird auch, welche immer noch rassistischen Denkblockaden Rückgaben immer noch entgegenstehen: 1. Die Afrikaner*innen hätten keine Infrastruktur, um Kunstobjekte konservatorisch betreuen oder öffentlich ausstellen zu können. 2. Bei Rückgaben bestehe immer die Gefahr, dass Objekte in den Kunstmarkt eingespeist und zu Geld gemacht werden. 3. „Wir“ hätten ganze Kulturen vor ihrem Verschwinden bewahrt. 4. Alles, was wir besitzen, sei auf legalem Weg zu uns gekommen. 5. Würden alle Forderungen erfüllt, könnten unsere Museen zumachen.

Um hier eine Veränderung in Gang zu bringen, sieht Holfelder einen großen Nachholbedarf darin, etwas über diese Herkunftsländer zu erfahren. Museen dürften dabei nicht länger als Häuser des einseitigen Behütens begriffen werden. Sie sollten Institutionen sein für globale Geschichte, Kultur und Kunst, in denen eine eben doch gemeinsame Erzählung unter Aufgabe der üblichen europäischen Deutungshoheit dargestellt wird. Museen müssen von gut verwalteten Verwahrungsspeichern zu vitalen Umschlagplätzen werden, zu Orten des geistigen und materiellen Austauschs, an denen sich Menschen und Kulturen endlich aktiv begegnen. Die Forderung und die Diskussion um die Rückgabe sei, so Holfelder, dabei ein Mittel zum Zweck. Dabei darf man es vielleicht als Schritt in die richtige Richtung werten, wenn sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und die Staatsministerin für auswärtige Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, Michelle Müntefering (SPD), darin einig zeigen, dass „für Museen und Sammlungen kein Weg mehr daran vorbei[führt], bei der Ausstellung von Kulturgütern aus kolonialen Kontexten deren Herkunftsgeschichte darzustellen (…) Die Debatte über die historische Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit muss (…) über die Museen hinausgehen; sie muss weiterreichen als die Diskussionen in den deutschen Feuilletons. Sie gehört in die Hörsäle, in die Schulbücher und ins Fernsehprogramm. Es geht um nicht weniger als darum, eine erinnerungs- und kulturpolitische Gedächtnislücke zu schließen.“ Außerdem wünschen sich die beiden Politikerinnen die absolute Bereitschaft zur Rückgabe, internationale Zusammenarbeit, einen Prozess auf Augenhöhe im Dialog mit afrikanischen Partner*innen, konkrete Kooperationen sowie Versöhnung im Sinne einer gemeinsamen besseren Zukunft. Das sind wohlklingende Worte, die aber noch mit beiden Beinen fest in den Wolken hängen.

Holfelder zeigt, dass davon ebenso wenig in die Praxis geflossen ist wie nach der gewaltigen Rede von Macron zu diesem Thema im Jahr 2017. So wird etwa ein Arbeitsprozess mit Expert*innen aus Europa und den Herkunftsländern angekündigt, ohne dass es einen konkreten Zeitrahmen gibt.

Was also tun? Holfelder schlägt in seiner Mischung aus Reportage, Essay und Analyse vor, was man eben machen muss, wenn man mehr als nur eine Schlagzeile haben will. Etwa wenn man Nofretete mal wieder „nach Hause“ schicken will. Ich erinnere mich noch gut, wie einfach es war, eine Schlagzeile im Kölner Stadtanzeiger zu bekommen, als ich in meiner kurzen Zeit als Grünen-Parteivorsitzender in Köln Anfang der 90er-Jahre diese Forderung stellte und nicht nur das Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum, sondern auch die grüne Kulturbeauftragte „Kopf stand“ und „Realismus“ und „Rücksicht“ forderte, natürlich für die Kölner Gegebenheiten.

Holfelders Vorschläge zum Umgang mit der kolonialen Ver­gangenheit sind Aufklärung, Kennenlernen, Austausch mit den Her­kunfts­gesellschaften, Museen sowie postkolonialen Initiativen und Denker*innen aus den ehemaligen Kolonialgebieten, im Sinne kooperativer Projekte, in denen die europäische Deutungshoheit nicht mehr im Vordergrund steht. Dies müsse dann auch in verpflichtenden, überprüfbaren und umsetzbaren internationalen Abkommen zur Rückgabe von kolonialem Raubgut münden. Dabei wünscht sich Holfelder, dass ethnologische Sammlungen zu relevanten Orten für historische Reflexion und neue Denkprozesse werden. Er sieht die Museen in der Pflicht, gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen und neue Narrative zu finden, in experimentellen, sinnlichen und anregenden Ausstellungen, provozierend und im Handeln offensiv.

Gibt es nicht? Doch, das zeigt eine Reise zu den Museen, die es hinbekommen. Am Ende seiner insgesamt sieben Thesen formuliert er die Idee eines gemeinsamen Welterbes. In einem universalen Weltverständnis gäbe es keine Einbahnstraße der Restitution. Eine solche entspreche nur auf fatale Weise dem alten kolonialen Konzept der Eigentümerschaft. Dies könnte Menschen wie Objekte ganz grundsätzlich vom Besitzdenken befreien. Es wäre eine Manifestation der Commons, des geteilten Erbes, wenn wir an einer Welt arbeiten würden, in der sich alle Menschen und Dinge frei bewegen könnten.

Das bedeute dann aber auch einen anderen Umgang mit Besitz und Eigentum. Und es bedeute, dass Kunstgegenstände grenzenlos zirkulieren müssten , und zwar nicht nur geraubte Objekte aus Afrika, sondern das gesamte Erbe der Menschheit. Als Gedankenspiel würde das bedeuten: Alles gehört ab sofort allen, auch die Mona Lisa, Nofretete, Gemälde der französischen Impressionisten und des deutschen Blauen Reiters. Lassen wir uns die Idee mal durch den Kopf gehen und prüfen wir auch bei uns selbst das immer noch vorhandene koloniale Denken.