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Der Geist der Kollektive

Ein ganz besonderes Buch über menschenfeindliche Großprojekte und diejenigen, die sich dagegen wehren
Friederike Habermann

Die Enteignungen der Gemeingüter von Dorfgemeinschaften Mittelamerikas, zumeist indigener, werden häufig angeführt als Beispiele heutiger ökonomischer Ungerechtigkeiten. Ebenso bekannt sind ihre Kämpfe dagegen. Doch selten wird genau belegt: Wie funktionieren diese Methoden der Enteignung? Und wie sehen die Formen des Widerstands aus? Die „Karawane Mesoamerika für das Buen Vivir“ besuchte in einem Zeitraum von über einem Jahr, vom Mai 2015 bis zum Juli 2016, 17 solcher Gemeinden in sechs Ländern. Ihr als „Kollektive in Aktion“ herausgegebenes Buch „Die Welt sind wir“ (Unrast-Verlag 2019) gibt einen wohl einmaligen Einblick in Gemeinsamkeiten wie auch in die spezifischen Umstände. Die Auswirkungen der „Imperialen Lebensweise“ auf marginalisierte Menschen in Lateinamerika, aber auch der Versuch ihrer Abwehr durch lokale Basisbewegungen werden auf diese Weise eindrücklich deutlich. Zudem: Da die Beispiele in der Regel Auswirkungen der Green-Growth-Variante der Imperialen Lebensweise darstellen, wird offensichtlich, wie hinfällig diese Wirtschaftsausrichtung wird, wenn es um das gute Leben für alle geht.

Eindrücklich und ungewöhnlich ist bereits das Erscheinungsbild des Buches, welches auf Hochglanzpapier gedruckt wurde; durch farbige Zeichnungen und Drucke gleicht es teilweise einem Kunstband. Poetisch gar wirkt beispielsweise die, ebenfalls farblich unterschiedene, Einteilung der Berichte der Verteidigung von Boden und Bergen, Flüssen und Meeren, dem Dschungel und der Vielfalt seiner Lebewesen in Feuer, Erde, Wasser und Luft. Dies wird noch verstärkt durch die Untertitel, wenn es bei „Feuer“ nicht nur um die Ausbeutung von Energie, sondern auch um die „Flammen des Widerstandes“ geht, oder die Eindämmung des Wasser mit der Eindämmung von Freiheit in Verbindung gebracht wird, die mit dem Verlust des freien Zugangs zu Trinkwasser einhergeht. Erfahrungen mit dem Gemeinschaftlichen runden den Band ab, grundlegende Information zu Mesoamerika und dem dortigen Extraktivismus bilden das Auftaktkapitel.

Von den Organisationsprozessen als Karawane wird sparsam berichtet, aber doch genug, um nicht Gefahr zu laufen, im Sinne eines „omnipotent eye“ scheinbar objektiv über den Berichten zu schweben. Doch sowieso ist besonders, dass die Zusammensetzung der Reisegruppe nur aus jeweils einer Person aus Europa bzw. den USA bestand, und ansonsten nur aus Menschen, die aus den betroffenen Ländern kamen, insbesondere Mexiko. Und wenn das Buch auch von einer hiesigen Unterstützungsgruppe mit zusammengestellt bzw. übersetzt wurde: Es geht nicht um Romantisierungen von privilegierten Menschen aus dem Globalen Norden. Die Darstellungen beruhen auf den unzähligen Gesprächen mit den betroffenen Menschen. Neben dem Abdruck einiger Texte von solidarischen Wissenschaftler*innen oder akademischen Betroffenen wird aus zahlreichen Gesprächen zitiert.

Es sind Monokultur, Wasserkraft-, Windkraft- oder Bergbauprojekte, welche die lokalen Gemeingüter bedrohen. Die Methoden der Enteignungen aber gleichen sich. Samantha César Vargas von der „Frente de Pueblos en Defensa de la Tierra y Agua Morelos“ in Puebla/Mexiko fasst sie eingangs zusammen: Es beginnt mit Nichtinformation der Gemeinden, und das noch während Soziolog*innen, Anthropolog*innen oder Biolog*innen nicht nur das begehrte Territorium kartieren, sondern häufig auch die lokalen sozialen Organisationsformen. Nur scheinbar von den Unternehmen unabhängige NRO bestätigen die Unbedenklichkeit des anvisierten Großprojekts: Institutionelle Rechtmäßigkeit gehört ebenso zu den Methoden wie Repression, Verleumdung, Kriminalisierung und Inhaftierung der sichtbarsten Aktivist*innen oder wie das Ausnutzen bestehender Konflikte durch Schmiergelder und materielle Begünstigungen für jene, die keinen Widerstand leisten. Durch das Schaffen von Wettbewerb und Gehorsam wird die Organisation des gemeinschaftlichen Lebens untergraben, werden gemeinschaftliche Handlungsräume geschwächt. Selbst dort also, wo der Widerstand trotz Terrortruppen, Folter und Morden gewinnt, bleiben soziale Folgen zurück. Teilweise, wie in Monte Olivio in Guatemala, wo erfolgreich der Bau eines Staudamms verhindert werden konnte, nahmen Gewalt, Vertreibungen u.a. noch danach massiv zu, bis hin zum Mord an Kindern.

Das Buch ist vielleicht einmalig in seiner Mischung von Impressionen, O-Tönen, Zeichnungen, „Geschichten am Rande der Karawane“ (mal selbst erlebt, mal ihnen mitgegeben) oder Bezügen zur Spiritualität als ein Element widerständiger Kraft. Doch fehlt es nicht an Quellen, und nicht an der Einhaltung wissenschaftlicher Standards.

Es bleibt auch nicht bei dem Blick auf Unrecht und Widerstand sowie den damit verbundenen Lebensformen in fernen Ländern, sondern die Autor*innen bemühen sich, das Wissen, welches dem Aufbau von Buen Vivir dient, nicht nur von Gemeinde zu Gemeinde, sondern auch an die Lesenden weiterzutragen. Jeder der Kernabschnitte endet mit dem Ruf „Auf zur Praxis!“ Es gibt Anregungen für energiesparendes Kochen, für natürliches Heilen oder für einen sorgsamen Umgang mit der Erde und mit Wasser. Auch in diesem Sinne durchziehen Fotos sowie Abbildungen mit praktischen Anleitungen den Band. Zudem stellt der Unrast-Verlag auf seiner Webseite weitere Fotos, Audios und Videos zur Verfügung, ausdrücklich auch, um Menschen unabhängig vom Bildungsgrad erreichen zu können.