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Keine Zeit für Depressionen

Chico Trujillo feiern auf „Mambo Mundial“ die global gewordene „Nueva Cumbia“
Britt Weyde

Auch wenn die Cumbia-Welle hierzulande schon vor gut zehn Jahren heranschwappte und die einstige Euphorie mittlerweile ein wenig abgeebbt sein mag, erscheinen doch stets neue Alben, die begeistern. So auch im Fall des jüngsten Albums von Chico Trujillo, des üppigen „Cumbia Nueva“-Orchesters aus Chile, das nun nach fünf langen Jahren neues Material vorstellt. Die 11-köpfige Combo rund um Mastermind und Sänger Aldo Asenjo, aka „Macha“, ist 1999 in Valparaíso entstanden, als Ableger der Punk-Ska-Band „La Floripondio“. In den letzten Jahren hat sie sich mit bis zu 50 Konzerten pro Jahr in Europa und über 100 Konzerten zuhause den Ruf einer exzellenten, exzessiv tourenden Liveband erspielt. Ihr 20-jähriges Jubiläum krönen Chico Trujillo nun mit einem neuen Album und einer zweimonatigen Europatour.

Im Sound von Chico Trujillo werden neben der Cumbia viele weitere (Latin)Styles gepflegt und gewürdigt: Merengue, Bolero, Tango, Hiphop, Ska, Balkan. Gerade die langsamen, dramatischeren Genres sind ein Steckenpferd von Bandleader Macha. In anderen musikalischen Projekten, wie etwa demjenigen mit dem schönen Namen „Bloque Depresivo“, rettet er Boleros und andere Klassiker vor dem Vergessen. Mit der Band Chico Trujillo hingegen ist die Musik partyorientiert und fast hundertprozentig tanzbar.

An „Mambo Mundial“ sind viele Gäste beteiligt, was die musikalische Vielfarbigkeit noch erhöht. Da ist zum Beispiel das absolut erwähnenswerte Featuring der Brüder Gamba aus Mexiko-Stadt. Unter dem Namen „Son Rompe Pera“ widmen sie sich der Pflege der mexikanischen Marimbamusik, was auch in dem Track „Pájaro Zinzontle“ zu hören ist, eine druckvolle Cumbia mit, – eben – Marimba-1 und Call-and-Response-Gesang. Erster Lieblingstrack auf dem Album! Die chilenischen Hiphopbrüder von „Rebel Díaz“ aus der Bronx steuern im Song Teclitas y Niños englische Raps bei, was ebenfalls ziemlich frisch und geschmeidig tönt. El Eléctrico ist ein Merengue-Cumbia mit Hammond-Orgel und prägnanter elektrischer Gitarre im Chicha-Style.

Ein weiteres Highlight: Amor y Libertad, das zusammen mit den kolumbianischen Cumbia-Urgesteinen „Los Gaiteros de San Jacinto“ aufgenommen wurde, inklusive der für die traditionelle Cumbia so typischen Flöte. Hinzu kommt wieder der warm-perkussive Marimba-Sound der bereits erwähnten Brüder von „Son Rompe Pera“ (deren Debütalbum bei ZZK Records für Februar 2020 und deren erste Europatournee für Sommer 2020 angekündigt sind – wachsam bleiben lohnt sich!). Pobre Caminante ist zusammen mit den rüstigen Musikern JM und Juanín entstanden. Die beiden Oldies bewahren den Vintage-Sound der 50er-Jahre vor dem Vergessen: Boleros, Tangos und Cuecas. In ila 397 begeisterte sich Rod González von den „Ärzten“ über den Bolerosänger JM aus Valparaíso: „Diese Leute tragen einen so großen musikalischen Schatz mit sich herum! Wenn die nicht mehr sind, ist das alles weg! Macha versucht, diese Musik mit Chico Trujillo in die neue Zeit zu übertragen. Die Texte schildern Beziehungstragödien: Der Mann gibt der Frau das Messer, damit sie dich endlich abstechen kann, weil du untreu warst. Wenn ein Typ wie Macha diese schmachtenden Texte singt, hat das eine ganz andere Wirkung. Das finden die jungen Leute dann geil.“

Der Track Fisurados ist eine Co-Produktion mit den trotzkistischen Cumbia-Punks „Las Manos de Filippi“ aus Buenos Aires. Begleitet von fetten Bläsern singt Manos-Frontmann „El Cabra“ über seinen Cuerpo Fisurado, von dem er den ganzen Morgen, den ganzen Tag, die ganze Woche, den ganzen Monat, den ganzen Sommer, den ganzen Herbst, ja das ganze Jahr über geplagt ist. Sein Körper ist geschunden, permanent sitzt es ihm in den Knochen – Ausdruck für ein erschöpfendes Leben in einem anstrengenden Land, wie es das Argentinien von heute ist. A mi negra ist eine treibende Chicha mit psychedelisch flirrender Hammondorgel. Hier wirkt Camilo Salinas mit, ein italienisch-chilenischer Musiker, der unter anderem an den bekannten chilenischen Bands „Los Tres“ und „Inti Illimani Histórico“ beteiligt gewesen ist und der am Schluss des Songs einige Zeilen auf Italienisch beisteuert. Der Bolero Cosas que no te han dicho, das Instrumentalstück Caballo Carioca und der Track mit dem bemerkenswerten Titel Vives pensando en la droga runden das Album (mit insgesamt elf Tracks) ab.

Mambo Mundial ist nicht nur wegen der gelungenen Featurings ein wahrhaft globales Jointventure, auch in mehreren Studios weltweit – Berlin, Mexiko-Stadt, Bogotá und Santiago de Chile – wurde an dem Album gefeilt und abgeschmeckt. Und der Brei ist dabei beileibe nicht verdorben. Im Gegenteil.

Chico Trujillo, „Mambo Mundial”, flowfish records/Broken Silence, VÖ: 27. September 2019

Chico Trujillo live on Tour

22.10 Essen, Zeche Carl 23.10 Köln, CBE 24.10 CH – Genf, L’Usine 25.10 Darmstadt, Centralstation 26.10 Stuttgart, Wizemann 27.10 Karlsruhe, Tollhaus 29.10 Freiburg, Jazzhaus 02.11 CH – Basel, Kaserne 03.11 Ulm, Roxy 05.11 Hannover, Pavillon 06.11 Hamburg, Grünspan 07.11 Berlin, Festsaal Kreuzberg 08.11 Berlin, Festsaal Kreuzberg 09.11 Dresden, Scheune 10.11 Bremen, Schlachthof

  • 1. Holz-Xylophon, das auf afrikanische Vorläufer wie das Balafon zurückgeht.