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Compañero Estanislao

Mario Monje Molina, der Mann, der Che nicht folgte

Er findet in der Geschichtsschreibung lediglich im Zusammenhang mit seinem wesentlich bekannteren Kontrahenten Erwähnung. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach den Ereignissen, die seine politische Karriere beendeten, starb er nun auf einem anderen Kontinent: Mario Monje Molina, geboren 1929 in Irupana unweit von La Paz, war Parteichef der bolivianischen Kommunisten, während Che Guevara versuchte, in Bolivien einen „revolutionären Herd“ zu schaffen. Im Januar 2019 verstarb er in Moskau.

Ewgeniy Kasakow

Die kommunistische Bewegung in Bolivien war schon bei ihren Anfängen in den 1930er-Jahren mit einer Reihe von spezifischen Problemen konfrontiert, die letztendlich die Anerkennung durch Moskau verhinderten und die Gründung der eigenen Partei erschwerten. Die 1940 gegründete PIR (Partido de la Izquierda Revolucionaria – Partei der Revolutionären Linken) bekannte sich zwar zu Sowjetunion und Marxismus, doch das Lateinamerikabüro der Kommunistischen Internationale misstraute dem Gründer José Antonio Arze und dem aus bürgerlichen Verhältnissen stammenden Gründungskreis der Partei und verweigerte die offizielle Aufnahme. Bolivien wurde zu einem der wenigen Länder, wo die trotzkistische Fraktion einflussreicher als die moskauorientierte war. Die PIR befand sich zudem noch in einem Dilemma, wie es sich in den 1930er-Jahren für viele KPs Lateinamerikas stellte. Die potenziellen Bündnispartner im antiimperialistischen Kampf, die nationalreformistischen Kräfte, im Fall von Bolivien vor allem durch die MNR (Movimiento Nacionalista Revolucionario – Nationalrevolutionäre Bewegung) repräsentiert, waren von diversen Spielarten des europäischen Faschismus inspiriert und standen zu Beginn des Zweiten Weltkrieges mit ihren Sympathien unverhohlen auf der Seite der Achsenmächte. Für die Kommunist*innen bedeutete die Loyalität zur UdSSR, im Zweifelsfall ein Bündnis mit den Parteien der alten Oligarchie zu schließen, die sich an die USA und Großbritannien anlehnten.

In Bolivien bedeutete diese Entscheidung den Eintritt der PIR in die Regierung der konservativen Oligarchenparteien und das Mittragen der Entscheidungen zur blutigen Niederschlagung der Arbeiterproteste, aber auch aktive Beteiligung am gewaltsamen Sturz des einerseits sozialreformerischen, andererseits profaschistischen Diktators Gualberto Villarroel (1943-1946), der mit Unterstützung der MNR regierte. Während die trotzkistische POR (Partido Obrero Revolucionario – Revolutionäre Arbeiterpartei) in den Folgejahren sich mit der nun oppositionellen MNR verbündete und in der Arbeiterbewegung Fuß fassen konnte, blieb die PIR im Bündnis mit den Oligarchen und verlor zunehmend sowohl die Unterstützung der Arbeiter als auch ihre linke Ausrichtung. Von dem ursprünglichen Programm blieb lediglich die außenpolitische Sympathie für die Sowjetunion, die jedoch keine Erwiderung fand. Allerdings unterhielt die PIR noch Kontakte zur KP in dem benachbarten Chile und ließ ihre Nachwuchskader an der dortigen Parteischule ausbilden. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit war die Abspaltung der Parteijugend und die Gründung der PCB (Partido Comunista de Bolivia – Kommunistische Partei Boliviens) unter der Führung von Simon Reyes Rivera im Januar 1950. Der junge Lehrer Mario Monje gehörte zu den Mitbegründern der von nun an in der Illegalität agierenden Partei.

Zwei Jahre später, im April 1952, begannen in Bolivien Massenproteste, die in Ereignissen mündeten, die nach der Terminologie der PCB „die zweite bürgerliche Revolution in Lateinamerika“ nach der mexikanischen darstellten. Die Armee wurde faktisch aufgelöst. Die MNR unter Víctor Paz Estenssoro kam an die Macht, unterstützt durch die POR und die mächtige Bergarbeitergewerkschaft FSTMB sowie den Gewerkschaftsdachverband COB. Die alte PIR hörte bald auf zu existieren, die neue KP konnte legal agieren und unterstützte zunächst die Reformen der MNR-Regierung unter Paz Estenssoro. Die Bergbauindustrie wurde verstaatlicht, doch die Basis der April-Revolution, die Minenarbeiter, war bereit weiterzugehen. Die unter der Kontrolle der COB stehenden Arbeitermilizen ersetzten weitgehend die Armee und mancherorts die Polizei. Gegen den Willen der MNR, die eher auf die „nationale Versöhnung“ setzte, verfolgten sie die ehemaligen Militärs und Anhänger des alten Regimes, teilweise richtete die COB „Arbeitslager“ für die „Konterrevolutionäre“ ein. Die Gewerkschaften waren nicht nur stärker und radikaler als alle Parteien, sie waren auch bereit, die Kontrolle über die Wirtschaft zu übernehmen und als Alternative zur Staatsgewalt zu agieren. Der trotzkistisch angehauchte Anführer der COB, Juan Lechin, sah die Revolution als „Volksrevolution“, die weder proletarisch noch bürgerlich sei, und rief zur Zusammenarbeit mit der MNR auf. Entgegen der üblichen Vorgaben für die prosowjetischen KPs sah sich die PCB gezwungen, mit der trotzkistischen POR, die wesentlich mehr Einfluss auf die Gewerkschaften hatte, zu kooperieren. Diese gab jedoch den eigenen Parteiaufbau zugunsten der entristischen Taktik (Eintritt in bestehende Parteien, um dort einen antikapitalistischen Flügel aufzubauen bzw. zu stärken – die Red.) in den linken Flügel der MNR auf. Auch die PCB hatte bereits bei den Wahlen 1951 den MNR-Kandidaten Paz Estenssoro unterstützt. Letztendlich einigten sich die PCB und die POR auf die de facto syndikalistische Forderung „Alle Macht der COB“. Die Gewerkschaften benannten Minister, übernahmen die Verwaltung einiger Minengruben und verlangten flächendeckende direkte Arbeiterkontrolle.

Die MNR blieb für die Linke allerdings ein problematischer Partner, nicht nur, weil die frühere Sympathie mit Nazideutschland Spuren hinterlassen hatte (Paz Estenssoros erste Rede nach der Rückkehr aus dem Exil schlug eine deutlich antisemitische Richtung ein und provozierte pogromartige Ausschreitungen), sondern auch weil der rechte Flügel sofort nach dem Sieg der Revolution versuchte, die Macht der Gewerkschaften einzuschränken. Der Nationalismus der MNR war auf die wirtschaftliche Selbstständigkeit Boliviens ausgerichtet und brachte die neue Regierung mit der indigenen Landbevölkerung in Konflikt. Bei den Debatten um die Landreform bevorzugte die PCB zunächst eine Lösung nach dem chinesischen Vorbild. Zwar schienen sich alle Fraktionen auf die Enteignung der Latifundien zu einigen, aber in den Parteien war vor allem die kreolische und mestizische Bevölkerung vertreten, was die Verständigung mit den indigenen Landbewohner*innen erschwerte. Die MNR machte deutlich, dass die Subsistenzwirtschaft der indigenen Gemeinden für die von ihr angestrebte wirtschaftliche Unabhängigkeit schädlich sei und setzte auf die Zerschlagung der Dorfgemeinde zugunsten der überschussproduzierenden bäuerlichen Betriebe. Es wurde versucht, auf dem Land Gewerkschaftsorganisationen zu gründen, was von den Gemeinden als paternalistisches Kontrollinstrument der MNR und der COB betrachtet wurde. 1953 kam es zu den Massakern indigener Bauern gegen die Stadtbevölkerung und Kämpfen mit den Arbeitermilizen. Ein Bündnis von Arbeitern und Bauern kam nicht zustande, während der rechte Flügel der MNR zunehmend versuchte, den Einfluss der COB, der POR und der PCB zurückzudrängen. Trotz des Widerstands der Linken wurden Arbeitermilizen entwaffnet und erneut eine Berufsarmee aufgebaut, was später auch für die MNR zum Verhängnis wurde.

Mario Monje wurde auf dem I. Parteitag der PCB 1959 zum Generalsekretär gewählt. Die Partei sah sich inzwischen mit neuen Schwierigkeiten konfrontiert. Die regierende MNR bemühte sich um die Verbesserung der Beziehungen zu den USA und schloss sich der Boykottpolitik gegen das revolutionäre Cuba am. Gegen die Linken wurde zunehmend ein Repressionskurs gefahren – im Herbst 1963 wurde Monje zusammen mit der ganzen Parteispitze zeitweilig inhaftiert. Gleichzeitig wurden die historischen KPen des Subkontinents durch den cubanischen Führungsanspruch herausgefordert. Während Havanna darauf pochte, dass die eigene Guerilla-Erfahrung wegweisend für die Linke auf dem Kontinent sei, sträubten sich die Veteranen der Komintern (Kommunistische Internationale – die Red.) gegen die Perspektive des bewaffneten Kampfes. Außer den KPs von Guatemala und Kolumbien verfügte ihre Mitgliedschaft nicht über Erfahrung im bewaffneten Kampf, zudem war niemandem entgangen, dass die historische kubanische KP (PSP – Partido Socialista Popular, Sozialistische Volkspartei) nach der Zwangsvereinigung mit Castros Rebellen kaum noch eine Rolle spielte.

Nur in ganz wenigen Ländern Lateinamerikas bildeten die Kommunistischen Parteien Anfang der 60er-Jahre die stärkste Fraktion innerhalb der Linken. Im Falle eines siegreichen Partisanenkrieges wäre den KPen bestenfalls die Rolle eines Juniorpartners zugefallen. Auch aus Moskau war keine Unterstützung für das „cubanische Szenario“ zu erwarten. Die UdSSR sammelte in der 1960er-Jahren allmählich Erfahrungen mit gemäßigt-linken Regierungen in Lateinamerika, die auch ohne kommunistische Machtbeteiligung zur Forcierung der diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit der Sowjetunion bereit waren.

Monje, der zu den jüngeren KP-Führern auf dem Kontinent gehörte, zudem einer der wenigen legal agierenden KPs vorstand, geriet zwischen alle Feuer. Einerseits verdächtigte ihn zum Beispiel der Anführer der argentinischen KP, Victorio Codovilla, der Nachgiebigkeit gegenüber den cubanischen Ambitionen, andererseits wuchs in der PCB selbst die Opposition gegen einen zu gemäßigten Kurs. Es formierte sich ein pro-chinesischer Flügel um den Anführer der Jugendorganisation Óscar Zamora Medinaceli und das ZK-Mitglied Hilario Claure. Hinter dem Rücken von Monje stellten die Maoisten Kontakte zu Havanna her. Während die Monje-Fraktion auf ein Bündnis mit der MNR-Linksabspaltung PRIN setzte, zeigte der maoistische Flügel Bereitschaft, zusammen mit den Militärs gegen Paz Estenssoro aufzutreten. Auf dem II. Parteitag in Frühling 1964 eskalierte der Konflikt, die Maoisten wurden ausgeschlossen und begannen mit dem Aufbau einer eigenen Partei.

Gleichzeitig blieben die PCB und Monje ein wichtiger Ansprechpartner für Havanna auf dem Kontinent. Monje begleitete Castro bei seiner ersten Visite in der Sowjetunion. Die PCB zögerte lange mit einer Stellungnahme zu den sowjetisch-cubanischen Differenzen. 1962 baten die Cubaner Monje um Hilfe für Ernesto „Che“ Guevara, um eine Gruppe von Guerilleros über Bolivien nach Peru einzuschleusen. Bolivien wurde zunächst lediglich als Transitland betrachtet, da Cuba um eine Verbesserung der Beziehungen zur MNR-Regierung bemüht war. Bolivien wiederum befand sich mit Peru seit der Revolution von 1952 im Streit. Doch im November 1964 putschte die Armee unter General Barrientos gegen die MNR und Präsident Paz Estenssoro. Zugleich erlitt die guevaristische Guerilla in Peru eine herbe Niederlage. Der cubanische Blick auf Bolivien begann sich zu ändern.

1966 fuhr Monje nach Havanna, um über die cubanische Haltung zur maoistischen Abspaltung von der PCB zu reden. Dort bat man dem Chef der immer noch legalen PCB erneut um die Unterstützung für Che. Angeblich sollte es wieder um Transit über bolivianisches Gebiet gehen. Monje erfuhr auch, dass einige bolivianische Kommunisten eine militärische Ausbildung auf der Insel durchliefen, woraufhin er den Wünsch äußerte, selbst eine solche Ausbildung zu erhalten. Bevor er die genehmigte Ausbildung begann, reiste Monje alias Compañero Estanislao nach Moskau und informierte den ZK-Sekretär der KPdSU Boris Ponomarjew, der die Internationale Abteilung des ZK für die Kontakte mit den KPen der kapitalistischen Länder leitete, über die Beziehungen seiner Partei zu Cuba.

Monje sagte später, erst als Che nach Bolivien kam, habe er erfahren, dass in seinem Land ein neuer revolutionärer Fokus geschaffen werden sollte. Zum Jahreswechsel 1966/76 traf Monje alias „Genosse Estanislao“ Che in seiner Basis, doch zur Einigung kam es nicht mehr. Seitdem haftete Monje der Ruf desjenigen an, der Che im Stich ließ, wenn nicht gar auf Geheiß Moskaus verriet. Dabei machte Monje die cubanischen „Exporteure der Revolution“ auf wesentliche Aspekte aufmerksam. Das Regime von Barrientos bemühte sich erfolgreich um die Unterstützung der indigenen Bauernbewegung, die sich von dem Modernisierungskurs der MNR, der COB und der Linken nicht repräsentiert sah. Barrientos verkündete den „Militär-Bauern-Pakt“ (Pacto Militar Campesino), betonte seine eigenen indigenen Wurzeln, bereiste entlegene Dörfer und appellierte an die Ängste der durch die Landreform an Land gekommenen Bauern vor sozialistischen Enteignungen.

Daher sah Monje, wie die Ereignisse von 1967 gezeigt haben, zu Recht keine Chancen für die Guerilla auf dem Land, während die Arbeiterbewegung in den Städten bereits zurückgedrängt war. Ebenfalls erwies sich Monjes Hinweis auf die Qualität der hochmotivierten bolivianischen Armee als richtig. Den PCB-Mitgliedern wurde gestattet, sich individuell Ches Ejército de Liberación Nacional (ELN) anzuschließen, aber eine Unterstützung der Partei erhielt die Guerilla nicht. Guevaras Unternehmen blieb ohne organisierte Unterstützung der bolivianischen Linken. Lediglich die zahlenmäßig unbedeutenden Maoisten, Teile der Minenarbeitergewerkschaft und eine Fraktion der trotzkistischen POR unter Hugo González Moscoso waren bereit, Guevaras Guerilla-Konzept mitzutragen.

In der Geschichte bleibt Monje wohl für immer der Mann, der Che im Stich ließ.1 Nachdem die PCB 1967 verboten wurde, verließ er das Land. Ein Jahr nach Ches Tod gab er seinen Posten offiziell ab. Den Rest seines Lebens verbrachte er in Moskau, wo er im Institut der Akademie der Wissenschaften für Lateinamerika arbeitete. Von dort beobachtete er, wie unter dem Nachfolger von Barrientos, General Alfredo Ovando Candía, die PCB wieder legalisiert wurde und die Beziehungen Boliviens zum Ostblock und zu Cuba sich besserten. Bald darauf begann 1970/71 ein erneuter Aufschwung der linken Bewegung unter der Herrschaft des linksgerichteten Generals Torres, als die sogenannten Volksversammlungen (Asambleas Populares) kurzzeitig faktisch die Macht in Bolivien übernahmen. Aus der sowjetischen Sicht waren Bündnisse der progressiven Militärs und der Linken eine wesentlich erfolgversprechendere Strategie als der bewaffneter Kampf, der stets mit den Risiken einer militärischen Intervention der USA oder der Hegemonie der sowjetkritischen Linken verbunden war. Während der kurzen Zeit unter Torres sprach man offen von der Entstehung einer Rätemacht in Bolivien, doch die PCB agierte vorsichtig und wirkte auf die COB eher mäßigend.

Monje musste aus seinem Exil mitverfolgen, wie die MNR im August 1971 einen neuen rechten Putsch von Hugo Banzer mitinitiierte und wie die Kommunisten nach dem Ende der Militärherrschaft als ein Teil des Bündnisses UDP (Unidad Democrática y Popular – Demokratische und Volkseinheit) für die Jahre 1982-1985 nun doch an die Macht gelangten. Die linke UDP-Regierung scheiterte am Widerstand der Wirtschaft und des Parlaments, in dem sie keine Mehrheit besaß. Die folgende MNR-Regierung begann mit radikalen Marktreformen und brach den Widerstand der COB. Weder die PCB noch die POR, die die UDP von links kritisierte, spielten danach noch eine nennenswerte Rolle in der bolivianischen Politik. Die urban-mestizische Linke in Bolivien war erledigt, die Geschichte der indigen-ruralen begann erst.

Gelegentlich gab Monje Interviews, bis zuletzt verurteilte er Ches Entscheidung, Bolivien ohne Einverständnis der KP zum Kriegsschauplatz zu machen: „Ich bereue es nicht, nicht mit Che gefallen zu sein.“ Am 19. Januar 2019 starb Mario Monje Molina im Alter von 89 Jahren in Moskau.

  • 1. Noch 1963 half Monje auf persönliche Bitten von Fidel Castro und Che Guevara der Guerillagruppe von Jorge Masetti, einem Freund von Che, die Grenze nach Argentinien zu überqueren. Die dortige KP hatte sich stets strikt gegen den bewaffneten Kampf ausgesprochen und verweigerte jegliche Unterstützung. Die Gruppe wurde 1964 zerschlagen, Masseti blieb verschollen.

Ewgeniy Kasakow ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Comparative History and Political Studies (CCHPS) der Universität Perm.