ila

Der unerwünschte Erfolg

Korruptionsbekämpfung in Guatemala

Die Internationale Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala, CICIG, ist das juristisch wohl erfolgreichste Projekt der Korruptionsbekämpfung. Die Erfolge ihrer Arbeit führten zu euphorischen Massendemonstrationen, dem Sturz einer Regierung und allein zwischen September 2017 und September 2018 zu über 100 Verurteilungen hochrangiger Verantwortlicher. Nun setzt die aktuelle Regierung alles daran, die CICIG los zu werden, und zwar genau wegen ihres Erfolgs.

Eva Kalny

Doch wie kommt es dazu, dass sich eine Kommission gegen die Straflosigkeit mit dem Thema der Korruption befasst? Was macht die Stärke der CICIG aus? Welche Rahmenbedingungen sind nötig, um Korruption auf juristischer Ebene bekämpfen zu können? Und warum ist genau das nicht erwünscht?

Erste Grundlagen für die Schaffung der Internationale Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala wurden im Rahmen der Verhandlungen der Friedensverträge gelegt, die den Bürgerkrieg im Dezember 1996 nach 36 Jahren beendeten. So sah das Rahmenübereinkommen der Menschenrechte, das 1994 zwischen der damaligen Regierung und der Guerillaorganisation URNG geschlossen wurde, vor, dass illegale und geheime Sicherheitsapparate innerhalb des Staates aufgelöst und bekämpft werden sollten. Diese kriminellen Strukturen blieben aber weiter bestehen und waren auch in den Folgejahren für Gewaltverbrechen und die Verfolgung von Menschenrechtsaktivist*innen und Vertreter*innen der Justiz verantwortlich. Dies führte letztendlich dazu, dass sich der Staat Guatemala bereit erklärte, eine UN-basierte Kommission mit der Bekämpfung dieser illegalen Einheiten und der Prävention ihrer Neubildung zu beauftragen. Die Kommission sollte investigativ tätig sein, das Justizsystem stärken und Reformvorschläge machen. Zehn Jahre nach Ende des Bürgerkriegs und nach zahlreichen Diskussionen unterzeichneten die UNO und die Regierung Guatemalas Ende 2006 das entsprechende Übereinkommen und die Kommission begann ihre Arbeit am 4. September 2007. Die CICIG wird von internationalen Geldgebern finanziert, verfügt über weitgehende Autonomie in ihren inneren Angelegenheiten. So hat die Regierung Guatemalas keinen Einfluss auf die Auswahl der Leitungspersönlichkeit, ist aber bei der Ergreifung rechtlicher Schritte vom guatemaltekischen Justizsystem abhängig. Tatsächlich war die Kommission in ihren ersten Jahren für die Öffentlichkeit wenig sichtbar. Die Veränderungen, die sie mit angestoßen und bewirkt hatte, wurden ab dem Frühjahr 2015 bemerkbar.

Es war der Fall La Línea, der die CICIG mit einem Schlag berühmt machte: In einer gemeinsamen Pressekonferenz der damaligen Generalstaatsanwältin Thelma Aldana und dem CICIG-Vorsitzenden Iván Velásquez Gómez präsentierten beide am 16. April 2015 Hintergrundinformationen über ein Korruptionsnetzwerk, das systematisch Gelder aus dem nationalen Steuer- und Zollsystem abzweigte und hohe politische Entscheidungsträger*innen involvierte. Der nächste große Fall und die damit verbundene gemeinsame Pressekonferenz vom 20. Mai 2015 betraf Korruption im Gesundheitssystem. Dieser Fall umfasste auch die Vergabe eines Vertrags für Dialysegeräte an ein Unternehmen, das nicht über die dafür nötigen Kompetenzen verfügte. Dutzende schwere Erkrankungen und mehr als zehn Tote waren die Folge und so wurde deutlich: Korruption tötet. Die schwachen staatlichen Strukturen, die für weite Teile der verarmten Bevölkerung die einzige Möglichkeit sind, an grundlegende Dienstleistungen im Bereich von Gesundheit, Bildung, Sicherheit oder Rechtsstaatlichkeit zu gelangen, sind durch strukturell verankerte Korruption bedroht beziehungsweise dysfunktional. Die zahlreichen weiteren, sehr komplexen Fälle und Pressekonferenzen bis in den Herbst 2015 lösten eine umfangreiche Protestbewegung gegen die Regierung aus. Die weiterführenden Ermittlungen im Fall La Línea führten zu der Erkenntnis, dass der damalige Präsident Otto Pérez Molina und Vizepräsidentin Roxana Baldetti an der Spitze des weitverzweigten Korruptionsnetzwerks standen und an jeder Steuerhinterziehung und jeder Hintergehung des Zolls verdienten, also an jeder diesbezüglichen Reduktion der Einnahmen des Staates.

Das emphatische Eintreten des CICIG-Vorsitzenden Iván Velásquez Gómez für Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit mit der wiederholten Klarstellung, dass Korruption die Dienstleistungen an den Ärmsten und damit deren Rechte beschneidet, sowie das Vorliegen von Beweisen, Zahlen, Namen und Daten von Überweisungen, Geldübergaben und Absprachen und die Inhaftierungen von Verdächtigen schafften ein Klima der Hoffnung und des Aufbruchs. Die regelmäßigen Versammlungen von Protestierenden im Zentrum von Guatemala-Stadt und darüber hinaus hatten im besten Sinne des Wortes Partycharakter, sie waren fröhlich, kreativ, ganze Familien nahmen teil und drückten ihren Unmut aus. Der Rücktritt von Präsident Otto Pérez Molina im September 2015 führte zu einer ausgelassenen nächtlichen Feier im Stadtzentrum und bedeutete damit auch die Aneignung des öffentlichen Raums durch die Bevölkerung in einem Gebiet, das man sonst aus Sicherheitsgründen nach Einbruch der Dunkelheit besser meidet.

Was aber hatte diesen Erfolg ermöglicht? Eine zentrale Grundlage für die Korruptionsbekämpfung ist ein unabhängiges und funktionierendes Justiz- und Polizeisystem. Diese im Hintergrund geleistete Aufbauarbeit erregt nicht so viel Aufmerksamkeit und ist kaum sichtbar. Allerdings ist sie wirksam. Veranschaulicht kann sie an Hand des Falls Rosenberg werden. Am 11. Mai 2009 begann ein Video im Internet zu zirkulieren, in dem sich der am Tag zuvor ermordete Rechtsanwalt Rodrigo Rosenberg an die Bevölkerung wandte und mitteilte, Schuld an seinem Tod trügen der damalige Präsident gemeinsam mit namentlich genannten engen Mitarbeitern. Diese Behauptung stellte sich später als falsch heraus. Als die CICIG am 11. September 2009 in einer Pressekonferenz bekannt gab, die Mitglieder jener Bande seien verhaftet worden, die die Ermordung durchgeführt hatten, unterstrich der damalige CICIG-Vorsitzende Castresana, es sei als Erfolg zu werten, dass vorab keine Information an die Mörder durchgesickert sei und dass dadurch die Inhaftierungen überhaupt erst hätten stattfinden können. Bedenkt man also, dass es im Herbst 2009 noch als zu betonender Erfolg galt, dass Mitglieder einer kriminellen Bande nicht vorab von einer drohenden Inhaftierung informiert wurden, und konnten sechs Jahre später Untersuchungen bis zum Präsidenten hin durchgeführt werden, ohne dass Informationen durchsickerten, und musste dies auch nicht extra betont werden, dann wird sichtbar, wie viel sich trotz aller weiter bestehender Mängel in Polizei und Justiz geändert hatte.

Genau das jedoch widerspricht den Intentionen krimineller Strukturen. Einige der von der CICIG in Kooperation mit der Sonderstaatsanwaltschaft gegen die Straflosigkeit FECI untersuchten Korruptionsfälle betreffen genau jene Machtstrukturen, die bereits zur Zeit des Bürgerkriegs aktiv waren. Die Bündnisse zwischen Militärs, Wirtschaftsoligarchie und kriminellen Organisationen sind teilweise so eng, dass es schwierig ist, sie analytisch zu trennen. Ein aktuelles Beispiel dafür sind Audioaufnahmen, die aus dem im Februar veröffentlichten Fall illegaler Parteispenden im Jahr 2015 an die Präsidentschaftskandidatin Sandra Torres bekannt wurden. Nichten der durchaus populären Kandidatin besprachen hier mit Waldemar Lorenzano, einem der bekanntesten Kriminellen des Landes, die Verbindungen und Kooperationen zwischen der Partei und dem Organisierten Verbrechen.

Die Aufdeckung der illegalen Parteispenden während des Wahlkampfes 2015, die häufig durch das Organisierte Verbrechen erfolgt waren, treffen einen der wundesten Punkte der jungen Demokratie, nämlich die Käuflichkeit der Politiker*innen, ihre daraus resultierende Indienstnahme und die davon ebenfalls bedrohte Rechtsstaatlichkeit. Da praktisch alle Parteien, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, entsprechende Unregelmäßigkeiten zu verantworten haben, weht der weiterhin in der Bevölkerung sehr populären CICIG nun seitens der Regierung ein scharfer Wind entgegen. Der aktuelle Präsident Jimmy Morales, seine Regierung und seine Hintermänner haben aus 2015 gelernt und setzen alles daran, dass sich solch ein Fall nicht wiederholt. Nicht umsonst stellt Insight Crime fest, dass die kriminellen Strukturen Guatemalas zu den gefährlichsten und raffiniertesten der Region zählen und teilweise über jahrzehntelange Erfahrung verfügen. Und so wird nicht nur rigoros gegen die CICIG vorgegangen, sondern es werden aktuell all jene Institutionen und Strukturen angegriffen, die den Kampf gegen die Korruption möglich gemacht haben. Präsident Morales greift unter dem Vorwand, die Verfassung vor dem Verfassungsgerichtshof schützen zu müssen, jene Richter des Gerichtshofs öffentlich an, die nicht in seinem Sinne entscheiden, und veranlasste Versuche, Strafverfahren gegen diese Richter einzuleiten. Wiederholt berichten Richter*innen von Drohungen, der neu bestellte Chef des für Richter zuständigen Sicherheitssystems gilt als enger Vertrauter des Präsidenten und Richter berichten über illegale Überwachungen und mögliche Abhörung durch den Sicherheitsdienst des Präsidenten. Zahlreiche Umbesetzungen in der Nationalen Zivilen Polizei PNC untergraben die Möglichkeit, eine auf Kompetenzen beruhende Polizeikarriere zu machen, und sowohl die PNC als auch die Nationale Koordination der Katastrophenreduktion CONRED werden zunehmend militarisiert.

Ob und unter welchen Umständen die Wahlen im Juni stattfinden werden, ist sehr ungewiss. Und so zeigt der Fall Guatemala sehr anschaulich, dass Korruption nicht unabhängig von entsprechenden staatlichen Strukturen, Gewalt und der Untergrabung des Rechtsstaats stattfindet.

 

Weiterführende Links:

https://www.cicig.org/https://www.insightcrime.org/guatemala-organized-crime-news

Sin Filtro #SFSeguridadJueces vom 20.2.2019 mit aktuell bedrohten Richtern: https://www.facebook.com/GuatevisionOficial/videos/625479444588898/