Während wir an dieser ila arbeiten, spitzt sich in zwei Staaten Lateinamerikas und der Karibik die Situation kontinuierlich zu und es ist unklar, wie lange sich deren Regierungen noch halten können. Unterdessen verschlechtert sich in beiden Ländern die Lage der Bevölkerung dramatisch, die medizinische Versorgung wird immer prekärer und es gibt täglich Demonstrationen frustrierter und wütender Menschen, die die Nase voll haben von der himmelschreienden Korruption und dem Mangel sowie den fehlenden Perspektiven auf eine Verbesserung. Die Rede ist von Haiti und Venezuela.

Während wir die Lage der Bevölkerung in beiden Ländern als dramatisch ansehen, verhalten sich die Regierungen der USA und Europas gegenüber beiden Machthabern extrem unterschiedlich. In Venezuela sehen sie einen Tyrannen an der Macht und streben mit aller Macht einen Regime-Change an. In Haiti unterstützen sie zur selben Zeit den Präsidenten, der für das ganze Chaos verantwortlich ist, bringen allerdings vorsorglich einen Teil des Personals ihrer Botschaften und deren Angehörige außer Landes.

In Venezuela hat eine sich sozialistisch nennende Clique von Politikern und Militärs das Land autonom in die Misere geführt. In Haiti haben die letzten beiden rechten Präsidenten und ihr Umfeld den sogenannten „Wiederaufbau“ betrieben, real das Land ausgeplündert und die Restrukturierung autoritärer Herrschaftsverhältnisse betrieben. Sie wurden in der Zeit aber von allen westlichen Regierungen, von Militärs aus zahlreichen lateinamerikanischen Ländern sowie einer riesigen Blase internationaler Nichtregierungs- und Hilfsorganisationen unterstützt.

An politischen Lösungen, die die aktuellen Krisen in beiden Ländern entschärfen könnten, etwa durch die Bildung breiter Übergangsregierungen und mit allen Akteur*innen abgestimmte Hilfsprogrammen, scheint derzeit niemand ein Interesse zu haben.*

Doch nun zur aktuellen ila: Von Korruption ist derzeit viel die Rede und immer schwingt da Empörung, ja Abscheu mit. In Wahlkämpfen betonen Politiker*innen aller Couleur, dass sie die Korruption bekämpfen oder noch besser „mit Stumpf und Stiel“ ausrotten wollen. Konsequenzen hat das in der Regel keine, nur manchmal und auch nur vorübergehend ist nach Wahlen ein leichter Rückgang der Korruption zu vermelden.

Korruption ist aber auch ein schlimmes Wort, impliziert es doch Käuflichkeit und Ehrlosigkeit. Sehr viel schöner soll es in den zwanziger Jahren der Kölner Oberbürgermeister und spätere bundesdeutsche Kanzler Konrad Adenauer ausgedrückt haben: „Mer kennt sich, mer hilft sich.“ Ob er es genauso gesagt hat, ist nicht belegt, aber genauso funktionierte über viele Jahrzehnte die Stadt Köln und ihre Kommunalpolitik. Die für ihren Sprachwitz berühmten Kölner*innen prägten dafür den Begriff „Kölscher Klüngel“.

Nun ist Konrad Adenauer nicht in erster Linie durch „seine Schwäche für die persönliche Nutzung wirtschaftlicher Vorteile durch Ausnutzung seines Amtes“ (Wikipedia-Eintrag zum „Kölner Klüngel“) in die Geschichte eingegangen, sondern weil er über lange Zeiträume ein erfolgreicher und kluger Politiker war. Und zu seiner Klugheit oder besser Schlitzohrigkeit gehörte maßgeblich, wie er den „Kölschen Klüngel“ handhabte. Eines seiner herausstechenden Kennzeichen war/ist, dass möglichst alle an einem Projekt Beteiligten etwas davon haben, also Anteile an den Provisionen/Bestechungsgeldern bekommen können. Wenn nur einige gierig zulangen und andere nichts bekommen, besteht die Gefahr, dass die leer Ausgegangenen die Korruption zum Thema machen. Wenn man aber alle oder zumindest möglichst viele korrumpiert, ist das gleichzeitig ein Herrschaftsinstrument. Von dem Moment an, wo jemand die Hand aufgehalten hat, ist er verwundbar und damit auch erpressbar.

Dies haben nicht nur Konrad Adenauer, sondern auch viele lateinamerikanische Politiker*innen und diejenigen verstanden, die diese schmieren, um Großaufträge und Genehmigungen für umstrittene Projekte zu bekommen. Am eindrucksvollsten hat das der Vorstand und das Management des brasilianischen Baukonzerns Odebrecht praktiziert, der über zwei Jahrzehnte „politische Landschaftspflege“ betrieb und Politiker*innen aller Parteien „unterstützte“. Heute laufen in zwölf lateinamerikanischen Ländern Verfahren gegen Politiker und Manager von Odebrecht wegen Vorteilsnahme und Bestechung.

Wir haben uns in dieser ila erstmals über einen ganzen Schwerpunkt mit dem Thema „Korruption“ beschäftigt. Je mehr wir dazu recherchierten und je länger wir in der Redaktion diskutierten, desto klarer wurde uns, wie komplex dieses Thema ist und welche unterschiedlichen Facetten es hat. Der vorliegende ila-Schwerpunkt spricht viele dieser Aspekte an und ist doch nur eine erste Annäherung an das Thema.