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Stolpersteine und Konfliktfelder

Der erste Monat der Regierung Bolsonaro in Brasilien

Moralische Herabwürdigung, Diffamierung und Delegitimierung des politischen Gegners, das ist das übliche Repertoire von Rechtspopulisten und so auch vom demokratisch gewählten Präsidenten Brasiliens, Ex-Hauptmann Jair Messias Bolsonaro. Das kennen wir auch in Deutschland, politische Gegner sind unpatriotisch, Volksverräter. Bei seiner Facebook-Rede kurz nach dem Wahlsieg kündigte er bereits an, die „roten Banditen der PT“ (der Arbeiterpartei des Ex-Präsidenten Lula), die „Kommunisten“, sollten im Knast verrotten oder ins Exil gehen. Die Erwartung mancher liberal-konservativer Kommentator*innen, die gedacht hatten, erstmal im Amt, würde Bolsonaro seine aggressive Rhetorik dämpfen, erfüllte sich keineswegs.

Luiz Ramalho

Die hasserfüllte Atmosphäre des Wahlkampfes, die diskriminierenden Botschaften der Evangelikalen und die aufgeheizte Stimmung der Intoleranz haben bereits vor und nach der Machtübernahme Bolsonaros Wirkung gezeigt. Einige Beispiele:

• Allein in der Stadt São Paulo vervierfachte sich die Anzahl der gemeldeten „hate crimes“, 16 pro Tag, seit dem Wahlkampf und der Wahl Bolsonaros. Bei diesen Verbrechen „aus Intoleranz“ (dies ist die Bezeichnung bei der Erfassung), handelt es sich meist um homophobe und rassistische Attacken. Die Tendenz bleibt steigend. Ähnliche Tendenzen werden aus anderen urbanen Ballungsräumen gemeldet.

• Auf dem Land vervielfachen sich die Angriffe gegen Aktivist*innen von Nichtregierungsorganisationen und Kirchen. Vielen ziehen sich zurück oder wechselten in anonyme Adressen. Gebäude und Ausrüstungen der Umweltbehörde IBAMA wurden und werden angegriffen und abgefackelt. Im Bundesstaat Roraima/Nordbrasilien fielen um die 40 Invasoren ins Territorium des Uru-Eu-Wau-Wau-Stammes ein und bedrohten die Indigenen. „Ihr habt kein Recht mehr auf dieses Land, nachdem unser Präsident gewonnen hat.“ Die Indigenen flüchteten, die Invasoren „waren sehr selbstsicher“. Sie wollen mit weiteren 200 Menschen zurückkommen und das Gebiet besetzen.

• Eine bezeichnende Anekdote: Die Agrarministerin Tereza Cristina, Lobbyistin der Sojabarone, selbst Großgrundbesitzerin und bekannt als die rainha do veneno (Giftkönigin) wegen ihrer Präferenz für Pestizide, griff die Medienikone Giselle Bündchen an, weil sich das brasilianische Supermodel gegen die Entwaldung in Brasilien engagiert. Bündchen sei eine schlechte Brasilianerin (übrigens eine typische Bezeichnung aus der Zeit der Militärdiktatur), Brasilien sei das Land, das am meisten gegen Entwaldung vorgehe (dabei nahmen die Entwaldungszahlen in Brasilien bereits in der Zeit des Wahlkampfs um über 100 Prozent zu). Bündchen konterte per Facebook souverän: „Schlechte Brasilianer sind diejenigen, die den Wald zerstören.“

• Der frisch gewählte Parlamentsabgeordnete Jean Wyllys von der linkssozialistischen PSOL setzte sich ins unbekannte Ausland ins Exil ab. Bekannt als  Homosexueller und LGBTI-Aktivist, stand er, insbesondere nach der Ermordung seiner Parteigenossin Marielle Franco, permanent unter Mordandrohung, wurde ständig diffamiert und beleidigt und musste aufwändig mit Personenschutz leben. Zuletzt musste er zur Kenntnis nehmen, dass der Sohn des Präsidenten Flavio Bolsonaro (nach der Nomenklatur des Präsidenten Sohn 01) in seinem Abgeordnetenbüro in Rio de Janeiro die Mutter und die Frau eines bekannten Milizenführers, der unter Verdacht steht, just an der Exekution von Marielle Franco am 14. März 2018 beteiligt gewesen zu sein, angestellt hatte. Jean Wyllys: „Ich möchte mich nun um mich kümmern und mich am Leben halten.“

Bolsonaro, gerade mal drei Wochen in Amt, konnte es nicht lassen, sich in Davos vor der Weltöffentlichkeit zu blamieren. Seine sechsminütige, abgelesene Rede (er hatte 45 Minuten zur Verfügung) unter dem Motto „Gott über alles“ krönte er mit dieser Perle: „Das erste Mal in der Geschichte hat ein Präsident in Brasilien ein Team von qualifizierten Ministern zusammengestellt.“

Nein, vielmehr stellte er ein Kabinett zusammen, das zwar das adäquat hässliche Gesicht seiner Kandidatur und seiner Ansichten darstellt, aber bereits jetzt explosiven Zündstoff und unzählige Konfliktfelder enthält. Von den 22 Ministern (im Wahlkampf hieß es „maximal 15“), dabei zwei Frauen und fünf Generäle (mehr als zu Zeiten der Militärdiktatur), stehen bereits neun vor Gericht wegen unterschiedlicher Vergehen oder werden demnächst angeklagt. Im Folgenden werden die bereits jetzt sichtbaren Konfliktfelder benannt.

• Chicago Boys gegen Militärs I: Das ultraliberale Programm des Paulo Guedes, Superminister für Wirtschaft, sieht eine massive Privatisierung, gegebenenfalls den Verkauf staatlicher Unternehmen auch an ausländische Investoren vor. Aber dem Ausverkauf nationaler Kernunternehmen, die zum Teil zur Zeit der Militärregierung entstanden sind, widersetzt sich das Militär. Bolsonaro selbst äußerte sich bereits gegen den Verkauf beispielsweise des Flugzeugbauers EMBRAER (bereits privatisiert) an Boeing.

• Chicago Boys gegen die Militärs II: Die Rentenreform ist das erste und größte Vorhaben zum Regierungsstart. Dazu gehört endlich eine Reduzierung der grotesken Privilegien des Militärs und der Polizei. Und dagegen kündigen sich die ersten Warnungen der bewaffneten Kräfte, die stark im Parlament und insbesondere in der Partei Bolsonaros PSL vertreten sind, an.

• Außenministerium gegen Agrar- und Wirtschaftsministerium: Die ideologischen Hasstiraden des Außenministers Ernesto Araujo, eines völlig unbekannten Jungdiplomaten, gegen China und für Israel ärgern die Wirtschafts- und Agrarministerien. China ist der wichtigste Handelspartner Brasiliens. Der demonstrative Schulterschluss mit der aktuellen israelischen Regierung, vor allem die angekündigte Verlegung der brasilianischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem, verprellt arabische Kunden, die bislang in großen Mengen brasilianisches Fleisch importieren. Auch die völlige Unterordnung Brasiliens unter Trump bringt Brasilien radikal in Interessenkonflikte mit den BRICS, insbesondere mit China und Russland, beispielhaft aktuell im Konflikt um Venezuela. Im Übrigen wurde der Bolsonaro-Vorstoß, US-amerikanische Militärbasen (!!!) in Brasilien zuzulassen, sofort von den Militärs gestoppt.

• Justizminister Moros Glaubwürdigkeit: Als oberster Korruptionsbekämpfer steht er gleich auf den Prüfstand, nachdem nicht nur Präsidialminister Onyx Lorenzoni nun zum zweiten Mal mit dem Vorwurf von Schwarzgeldzahlungen konfrontiert wurde, sondern auch der Sohn Bolsonaros, der bereits erwähnte 01, ganz offensichtlich bei verdächtigen Finanztransaktionen von der Steuerbehörde erwischt wurde und von der Bundespolizei näher untersucht wird. Moro schweigt.

Dies sind nur die ersten Anzeichen innerer Spannungen im Kabinett. Zu befürchten ist, dass der Kulturkampf gegen Gender und den „kulturellen Marxismus“ sowie andere ideologische Fronten bei ausbleibenden Erfolgen immer mehr in den Mittelpunkt rücken könnten. Aber die Erwartungen der Wähler*innen sind groß und die Geschwindigkeit der internen Reibungen hoch. Entscheidend wird aber sein, ob sich die internationale Wirtschaftskonjunktur verbessert, damit die brasilianische Wirtschaft durch Export einen Wachstumsimpuls erhält, so die Hoffnung der Chicago Boys und Lobbyisten. Angesichts sich verlangsamender internationaler Konjunktur eine ungedeckte Wette.