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Die neue Realität Uruguays abbilden

Der Kriminalroman „Krokodilstränen“ von Mercedes Rosende
Klaus Jetz

Die 1958 in Uruguays Hauptstadt Montevideo geborene Autorin Mercedes Rosende legt mit ihrem Krimi „Krokodilstränen“, der gerade im Züricher Unionsverlag erschienen ist, ihren ersten Roman in deutscher Übersetzung vor. Der spannend erzählte Krimi spielt in ihrer Heimatstadt, schildert den Überfall auf einen Geldtransporter, der in ein blutiges Massaker, eine Orgie der Gewalt mündet. In Rückblicken liefert Rosende weitere Verbrechen, Taten von Kleinkriminellen und Machenschaften mafiöser Drogenbosse und gekaufter Polizeikräfte, allesamt Aktivitäten, die zum Teil mit einer gehörigen Portion Humor erzählt werden. Ihnen gegenüber stehen machtlose Ordnungshüter, eine hilflose Kommissarin, überforderte Richter. Alles andere als ein schmeichelhaftes Bild, das Mercedes Rosende von ihrem Land zeichnet. Ich traf sie in Frankfurt auf der Buchmesse und sprach mit ihr über ihren clever aufgebauten, packenden Roman, der durch Plot, Atmosphäre und nicht zuletzt die starke Psychologisierung seiner Charaktere besticht.

Uruguay sei anders als Argentinien oder Brasilien. „Wir leiden nicht unter neofaschistischer Politik oder ultrakonservativen Politiken“, so Rosende. „Unser Land ist seit Jahren eher fortschrittlich. Das heißt aber nicht, dass wir keine Verbrechen oder Frauenmorde hätten. Auch bei uns gibt es noch immer Männer, die glauben, die Frau und ihr Körper seien Eigentum des Mannes.“

Nein, Frauenliteratur oder besser Literatur von Frauen oder über Frauen brauche keine besondere Unterstützung oder Förderung. „Was wir brauchen ist ein neues Rollenverständnis von Frauen in der Literatur. Ich schreibe über Frauen am Rande der Gesellschaft, über Frauen, die anders leben als noch vor einigen Jahrzehnten. Wir Autorinnen müssen ein neues Narrativ schaffen, weibliche Rollen aufzeigen, die stärker sind als die männlichen Protagonisten. Das versuche ich in meinem Roman.“

Der wirkliche Verbrecher in ihrem Roman sei zwar ein Mann, dessen professionelles Handeln und brutales Vorgehen die Leser*innen erschreckten. Doch auch ihre Protagonistin Úrsula sei mit allen Wassern gewaschen, eine mehrfache Mörderin, die auch ihren Vater ins Jenseits befördert hat. Sie sei aber einfach netter als die männlichen Figuren, verfüge über Humor und Raffinesse, eine Figur, die geeignet sei, die Sympathie der Leser*innen zu gewinnen, obwohl sie tatsächlich eine skrupellose Mörderin ist. „Ich will über Frauenkörper schreiben, über dysfunktionale Wesen, über ihre Probleme, aber keine medizinische Abhandlung. Was die Männer angeht, so schreibe ich, wie es ist: Doktor Antinucci hat einen Sauberkeitsfimmel und der eher harmlose Kriminelle Germán leidet an Panikattacken, das lasse ich so nebenbei einfließen, ich gebe aber keine Diagnose ab.“

Frauen seien in ihren Romanen die wichtigeren Figuren. In „Krokodilstränen“ eben die übergewichtige, an Essstörungen leidende Úrsula, aber auch die Kommissarin Leonilda Lima, „von der man nicht behaupten kann, dass sie eine schöne Frau wäre“, die, vom Leben enttäuscht, „Trost in ihrer Arbeit sucht“. Sie schreibe über Frauen und ihre Körper, „die nicht dem Bild entsprechen, das uns von Frauen vorgesetzt wird, wie ihre Körper zu sein haben. Úrsula leidet an Bulimie, ich benenne das aber nicht, oder gebe medizinische Erklärungen, denn ich will kein Pamphlet, sondern eine gute Geschichte schreiben.“ Manchmal komme sie aber um einige Details nicht herum, so gebe sie zu den Waffen, die im großen Finale zum Einsatz kommen, ein paar technische Angaben, die sie sich besorgt habe. „In meinem ersten Roman sind mir diesbezüglich einige Fehler unterlaufen und schon bald gab es Hinweise von Chemikern und Physikern aus der Universität.“

Mich interessiert, warum sie kleinere oder größere Verbrechen mit dem Stilmittel des Humors verbindet. Sie nutze in ihren Romanen den schwarzen Humor, aber auch andere Mittel wie etwa die gesprochene Sprache Montevideos. „Der Humor hilft uns im Alltag, um die Herausforderungen des Lebens, schwierige und schmerzhafte Ereignisse zu bestehen und zu ertragen.“ Sie spreche aber nicht vom plumpen Witz, sondern von subtilem Humor. Der helfe auch Úrsula durchs Leben zu kommen. Und die Sprache? „Als kleines Mädchen dachte ich, unsere Sprache, die wir auf der Straße oder in der Schule sprachen, sei eine andere Sprache als das Spanisch der Bücher, es sei keine literarische Sprache. Heute nutze ich ganz bewusst unsere gesprochene Sprache in meinen Romanen, etwa die, die in unseren katastrophalen Gefängnissen gesprochen wird. Unsere Sprache macht unsere Identität aus.“

Inspiration hole sie sich vor allem bei männlichen Autoren. Was wüssten wir schon über Frauenmorde ohne den Roman „2666“ von Roberto Bolaño? Um zu erfahren, was tatsächlich geschieht, sei es womöglich besser, Romane zu lesen als die Presse, die oftmals ihre eigenen Interessen verfolge. Das sei bei der Literatur anders. Einfluss auf ihre Werke hatte sicherlich Paul Auster und seine New York-Trilogie. Daraus stamme das Motiv des nicht für ihre Protagonistin Úrsula bestimmten Anrufes, der am Beginn des Romans steht und eine ganze Reihe von Ereignissen auslöst. Der Brasilianer Rubem Fonseca sei ihr Lieblingsautor, auch ein anderer brasilianischer Krimiautor, Tabajara Ruas, gefalle ihr oder der Katalane Andreu Martín, dessen Werk einige ihrer Szenen inspiriert habe.

Literatur sei politisch. Sie liefere Meinungen, schildere Sorgen, ergreife Positionen. Zwar gehe es ihr, wie gesagt, um die Frauen, ihre Probleme, ihre Körper. Sie schreibe aber kein feministisches Manifest. Natürlich transportiere auch der Kriminalroman politische Inhalte, er sei besonders geeignet, soziale Schieflagen und Probleme zu schildern, die Korruption, die Gewalt, die Situation von Frauen und die Verschlimmerung der sozialen Lage im Land. „Die Situation ist schlimm, was ich im Roman schildere, ist nicht übertrieben. Die Drogenkriminalität hat in ganz Lateinamerika schlimme Ausmaße angenommen, auch in Uruguay. Wir müssen uns von dem jahrelang gepflegten Bild des perfekten Sozialstaates verabschieden, unsere Gesellschaft hat sich verändert, und das nicht zum Besseren“, so die Autorin. „Und deshalb müssen wir eine andere Erzählung über uns selbst pflegen, wir müssen die neue uruguayische Realität abbilden.“

Ja, das Ende des Romans sei offen. Die Leser*innen sollten schließlich auch ihre Phantasie anstrengen und sich Gedanken machen. Zudem heißt offenes Ende Fortsetzung. „In meinem nächsten Roman ist Úrsula wieder dabei, sie hat weiterhin Probleme mit ihrem Körper und ihrem Aussehen. Auch die Kommissarin Lima ist dabei, sie ist jetzt lesbisch und hat allerlei Probleme mit ihren Vorgesetzten.“

Noch vor einigen Jahren, so Rosende, habe sie als Anwältin gearbeitet, sich auch journalistisch betätigt. Doch jetzt schreibe sie nur noch Romane, das sei jetzt ihre Hauptbeschäftigung. Wir dürfen gespannt sein auf weitere Krimis aus Montevideo, auf den Fortgang der kriminellen Karriere Úrsulas, die Mafia-Machenschaften des Rechtsanwalts Dr. Antinucci und die erfolglosen Ermittlungen der lesbischen Kommissarin Leonilda Lima, die ihren Glauben an den Sieg der Gerechtigkeit nicht verlieren will.