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Alles über meinen Mate

Der Film „Todo sobre mi mate“ gibt unterhaltsame Einblicke in das beliebteste Genussmittel der Uruguayer*innen
Britt Weyde

Eigentlich stimmt hier der Untertitel nicht. Mate ist kein Genussmittel, sondern Grundnahrungsmittel in Uruguay. Deshalb ist die Yerba Mate auch so preisgünstig. Wenn das anders wäre, wenn Brasilien zum Beispiel ein Mate-Embargo verhängen würde, dann wäre Bürgerkrieg angesagt. Dessen ist sich der Filmemacher Nelson Scartaccini gewiss. Er ist nach über 30 Jahren in sein Land zurückgekehrt, um ein Roadmovie über den Mate zu machen. Liebhaber*innen spanischer Kinofilme haben es längst erkannt: Der Titel ist eine Anspielung auf das erfolgreiche Drama von Pedro Almodóvar aus dem Jahr 1999 – Todo sobre mi madre. Kalauer hin, Anmaßung her, der Film von Scartaccini, der im Jahr 2012 den uruguayischen Dokumentarfilmpreis gewonnen hat, bietet in nur 50 Minuten einen umfangreichen Einblick in Geschichte und vor allem Gegenwart des Mate. Der Filmemacher hat sich in Montevideo umgeschaut, in den Anbaugebieten im argentinischen Misiones und in Südbrasilien, hat sich in Asunción über die Zubereitung von Tereré schlau gemacht und nicht zuletzt mit unzähligen Mate-Expert*innen und Liebhaber*innen gesprochen.

Ausgangspunkt der Mate-Rundreise ist, wie kann es anders sein, Montevideo. Scartaccini fängt mit der Kamera gekonnt ein, wie sehr Mate-Gefäß, Bombilla und Thermoskanne ständige Alltagsbegleiter sind. Nach langer Abwesenheit von Uruguay kommt es ihm fast schon exotisch, ja extravagant vor, dass so viele Leute mit diesen unentbehrlichen Utensilien herumlaufen. „Wir haben den Mate so nah an der Nase, dass wir ihn gar nicht mehr wahrnehmen“, sinniert der Dokumentarfilmer. Mate ist bei jeder Feierlichkeit dabei, „er überwindet die Grenzen der Religion, der sozialen Klassen, der Geschlechter und überdauert sämtliche Moden“. Mate ist unverbrüchlicher Teil der uruguayischen Identität, dabei wird er gar nicht im Land selbst angebaut, sondern in Uruguays Nachbarländern.

Also begibt sich der Filmemacher auf die Reise. In der nordargentinischen Provinz Misiones beobachten wir mit ihm, wie eine Familie der indigenen Guaraní Mate für den Hausgebrauch selbst erntet, präpariert und zubereitet, so wie es wahrscheinlich schon vor Hunderten von Jahren geschehen ist. Aber Mate ist längst auch Agrarindustrie, große Player bestimmen den Markt. Doch es gibt immer noch kleinere und mittlere (Familien-)Unternehmen, die das Agrobusiness daran hindern, sich komplett breitzumachen. Zum Beispiel die Yerba-Marke „TiTrayJu“ (das Kürzel steht für Tierra/Land, Trabajo/Arbeit y/und Justicia/Gerechtigkeit), das Mate-Kraut der argentinischen Piqueteros, hergestellt von Kleinproduzent*innen, die Teil des „Fairen Handels“ sind.

In der paraguayischen Provinz Itapúa ist die Kleinbäuerin Julia besorgt über die Situation auf dem Land: „Alle verpachten ihr Land an die Sojabauern.“ Sie selbst bestellt 15 Hektar mit Mais und verschiedenen Gemüsesorten. Sie will demnächst auf Bioanbau umstellen. Eigentlich würde sie gerne Mate-Bäumchen anpflanzen, aber die Setzlinge waren ihr zu teuer. Das Gewächshaus gehörte übrigens dem Gouverneur der Provinz.

Ein kurzer Besuch bei den Überbleibseln der Jesuitenreduktionen in Misiones, dann geht es über die Uni der Provinzhauptstadt Posadas, wo sich über 40 Wissenschaftler*innen mit Mate beschäftigen und schon zahlreiche Doktorarbeiten darüber geschrieben wurden, nach Buenos Aires, einem weiteren Mate-Hotspot.

In der argentinischen Hauptstadt trifft der Filmemacher eine Mate Sommelière, die ähnlich wie die Weinexpert*innen gustatorische Einschätzungen und Empfehlungen gibt. Des Weiteren vermittelt sie unerlässliches Wissen über den Mate-Genuss, zum Beispiel über das Schlürfgeräusch beim Mate-Trinken. „Das zeigt, dass die Person, die gerade dran war, gut erzogen ist. Damit sagt sie, dass sie alles getrunken hat und der nächste dran ist.“ Ein kleiner kulturgeschichtlicher Höhepunkt ist dann der Besuch beim Goldschmied und Antiquitätenhändler Cándido. „Wir haben hier Ausnahmestücke, die 3500 Dollar kosten“, erklärt er stolz und zeigt einen mit üppigen Silberverschlägen verzierten Mate. „Diesen Mate schenkte General Rosas dem Kaziken Catriel.“ Das Gefäß ist also knapp 200 Jahre alt. Ein weiteres Silbergefäß hat einen drolligen Vorsprung auf einer Seite: „Dies ist ein mate celoso“, erläutert Cándido. „Der Jüngling, der seine Liebste im 19. Jahrhundert besuchte, musste den Mate an diesem Stängel anpacken, damit verhinderte der ‚argwöhnische Mate‘, dass der Mann die Hand der Jungfrau berührte.“ Er zeigt uns noch eine „Witwen-Bombilla“: „Hier ist das Mundstück aus Gold, das ist der eingeschmolzene Ehering der Witwe“. So hat sie die Erinnerung an den geliebten Verblichenen stets in Saugreichweite.

Als der Filmemacher eine „Mate-Bar“ im Zentrum von Buenos Aires besucht, macht sich Enttäuschung breit: Das Lokal bleibt über Stunden gähnend leer. Die Idee zündet einfach nicht. Aber es leuchtet ein, warum. Alle, die Mate konsumieren, haben ihre jeweilige Lieblingssorte, ihre Vorlieben, wie heiß das Wasser zu sein hat, ihr Lieblingsgefäß und -Bombilla, jeder und jede hat eine bestimmte Technik, da sind unzufriedene Kund*innen vorprogrammiert. Außerdem ist die Gewinnmarge zu niedrig. Es gab sogar mal die Idee, dass in den McDonalds-Filialen von Buenos Aires auch Mate genossen werden könnte, der Global Player wollte sich ein wenig mit Lokalkolorit schmücken. Ein totaler Reinfall: „Die Leute blockieren dann mit ihrem Mate zwei Stunden lang den Tisch und konsumieren nix anderes. Was für ein schlechtes Geschäft!“, erzählt Mate-Experte Pau Navajas schmunzelnd.

Auf die vielen Gespräche in der Hauptstadt folgt noch mal ein Tripp nach Misiones, wo Scartaccini eine Besonderheit des Mate-Geschäfts erkundet. Etwa 60 Prozent der Yerba, die Argentinien exportiert, geht nach Syrien. Scartaccini spricht mit Omar, der seit 25 Jahren in Argentinien lebt und mit Mate handelt. Warum ausgerechnet Syrien? Als das Osmanische Reich gegen Ende des Ersten Weltkriegs zusammenbrach, emigrierten viele Menschen aus dem Nahen Osten nach Lateinamerika. Bei Besuchen oder auch der Rückkehr in die alte Heimat wurden die Gepflogenheiten aus der neuen Heimat mitgebracht. „Die Großfamilien sitzen um einen Tisch, sie teilen sich Sonnenblumenkerne und anderes salziges Essen. Da passte der Mate, der ebenfalls gemeinsam konsumiert wird, wie die Faust aufs Auge“, schildert Omar. „Außerdem gibt es viele Hausfrauen, die nicht arbeiten gehen, sie treffen sich morgens, mittags und abends und reden stundenlang.“ Und trinken dabei natürlich Mate. Und jetzt, mit dem Krieg im Land, bricht da der Handel nicht ein, will der Filmemacher wissen. „Im Gegenteil. Die Leute können nicht raus und konsumieren heute das Doppelte oder Dreifache“, erklärt Omar (das war allerdings 2011/2012, ob der Mate-Konsum im zerstörten Syrien heute noch so hoch ist, dürfte bezweifelt werden).

Auf der Fahrt durch Montecarlo (im Nordwesten von Misiones) trifft der Filmemacher auf eine Straßenblockade von tareferas und tareferos. Diese Arbeiter*innen ernten für einen Hungerlohn die Yerba und schnüren sie zu großen Ballen zusammen. Mit ihrem Arbeitskampf wollen sie auf ihre miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen aufmerksam machen und fordern bessere Bezahlung.

Nach diesen bedrückenden Szenen werden die Aufnahmen gegen Ende des Films noch mal herrlich skurril. Scartaccini stattet der Kleinstadt Venâncio Aires im südbrasilianischen Bundesland Rio Grande do Sul eine Stippvisite ab. Schließlich ist sie die selbsternannte Haupstadt des Chimarrão, wie die Yerba Mate in Brasilien genannt wird. An dem Tag wird die Miss Chimarrão gewählt. Am Eingang empfängt eine menschengroße Mategefäß-Puppe alle Besucher*innen. Die Siegerin, eine blond-pinke Regionalschönheit hält eine emotionale Rede. Auf keinen Fall fehlen darf bei diesem Event DAS Werbegesicht des Chimarrão:

Pedro Schwengber, von Statur und Barttracht her eher einem Klischeebayern ähnelnd, ist das Symbol schlechthin für die Gauchokultur Südbrasiliens. In seinem früheren Leben war er Sojabauer (und scheint damit ein stattliches Vermögen gemacht zu haben, wie sein Anwesen vermuten lässt), gab das Geschäft aber nach einer Dürre im Jahr 1992 auf. Heute modelt er für die Vermarktung des Heißgetränks, was ihm sichtlich gefällt.

Nach 50 kurzweiligen Minuten hat die Zuschauerin auf jeden Fall eine Menge gelernt, auch wenn die Kommentare des Filmemachers mitunter arg erbaulich ausfallen. Was verziehen sei, angesichts der wirklich gut recherchierten Fülle von Aspekten und Anekdoten rund um Anbau, Vermarktung, Konsum und Kultur der Yerba Mate.