ila

Santiago Maldonado ist tot

Seine Leiche wurde 78 Tage nach seinem Verschwinden gefunden

In den letzten beiden Ausgaben der ila hatten wir über das Verschwinden des argentinischen Kunsthandwerkers und politischen Aktivisten Santiago Maldonado berichtet. Der 28-Jährige war am 1. August 2017 zuletzt gesehen worden, als er von Angehörigen der Militärpolizei festgenommen wurde, nachdem er zusammen mit Mapuche-Indígenas an einer Blockadeaktion gegen den Modekonzern Benneton und dessen Landkäufe im Mapuchegebiet Argentiniens teilgenommen hatte. Am 17. Oktober wurde Santiagos Leiche im Chubut-Fluss gefunden, unweit des Ortes, wo er zuletzt gesehen worden war. Die Umstände seines Todes sind noch nicht geklärt, doch gibt es schon jetzt einige Ungereimtheiten, die den Verdacht nahelegen, dass versucht wird, einiges zu vertuschen.

Gert Eisenbürger

Ob Santiago Maldonado dort zu Tode gekommen ist, wo seine sterblichen Überreste gefunden wurden, ist äußerst fraglich. Das Ufer des Chubut, auch die Stelle, wo sein Leichnam entdeckt wurde, war in den letzten beiden Monaten mehrfach abgesucht worden. Der Möglichkeit, dass er dort Anfang August ertrunken ist, widersprechen auch die inzwischen im Internet zirkulierenden Fotos des Toten. Der Kriminologe Enrique Prueger schrieb etwa, der darauf zu sehende Leichnam könne keinesfalls seit 78 Tagen im Wasser gelegen haben. Dafür gebe es mehrere Hinweise. Am augenscheinlichsten sei, dass auf den Fotos die Kopfhaare mit den Dreadlocks noch komplett erhalten seien. Toten würden im Wasser aber nach 30 bis 40 Tagen die Haare ausfallen. 1 Wann und wie Santiago Maldonado zu Tode kam, kann nur die Obduktion ergeben, deren Ergebnisse bei Fertigstellung dieser ila noch nicht vorlagen.

In unserer letzten Ausgabe, also einige Wochen vor dem Auffinden der Leiche, hatte Rocío Sánchez geschrieben, die Regierung und die großen Medien brächten gerade die Version in Umlauf, Santiago sei im Chubut ertrunken. Zufälligerweise wurde er zwei Wochen später genau dort gefunden.

Das Verschwinden Santiago Maldonados hatte eine der größten politischen Mobilisierungen der letzten Jahre in dem südamerikanischen Land ausgelöst und Hunderttausende auf die Straße gebracht. Die Tatsache, dass in Argentinien wieder Menschen verschwinden, hat bei vielen Menschen schlimme Erinnerungen wachgerufen und sie bewogen, lautstark Dónde está? (Wo ist er?) zu skandieren. Dónde están? (Wo sind sie?), gemeint waren die von den Sicherheitskräften verschleppten, sogenannten „Verschwundenen“, war während und vor allem unmittelbar nach der letzten zivil-militärischen Diktatur die meistgestellte politische Frage in Argentinien gewesen.

Doch das kann man auch ganz anders sehen, wie etwa Boris Herrmann, der Südamerikakorrespondent der liberalen, an sich als seriös geltenden, Süddeutschen Zeitung. Er schrieb zwei Tage nach dem Auffinden der Leiche: „Die Gerüchte waren schneller als der Obduktionsbericht, wie so oft in dem Land, das sich mit beispielloser Leidenschaft seinen Verschwörungstheorien hingibt.“ Und am Ende des Artikels fasst er seine Überlegungen zusammen: „Santiago Maldonado war offenbar Nichtschwimmer. Ein naheliegender Gedanke ist, dass er auf der Flucht vor der Polizei ertrank. Daran glauben aber die wenigsten. Es wäre auch keine gute Verschwörungsgeschichte.“2

Manche Ältere werden sich noch daran erinnern, dass das genau der Stil war, mit dem einige Auslandskorrespondenten deutscher Zeitungen im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft 1978 Berichte von amnesty international und von Solidaritätsgruppen kommentierten, dass in Argentinien Tausende von Menschen verschwunden seien, mit großer Wahrscheinlichkeit von den Sicherheitsbehörden entführt und ermordet.

Einer der ersten argentinischen Spielfilme, der sich nach der letzten Diktatur mit dem Geschehenen auseinandersetzte, war der 1985 produzierte La Historia Oficial (dt. „Die offizielle Geschichte“) von Luís Puenzo und Joaquín Calatayud. Er zeigt die wachsenden Zweifel einer Adoptivmutter über die Herkunft ihres Kindes, das ihr die Behörden und ihr Mann vermittelt hatten. Als ihr klar wird, dass die offizielle Version nicht stimmen kann, beginnt sie nachzuforschen. Am Ende bleibt unklar, wer die Eltern ihrer Adoptivtochter waren, ob sie möglicherweise das Kind einer Verschwundenen ist.

Nach den traumatischen Erfahrungen der letzten Diktatur sind sehr viele Argentinier und Argentinierinnen nicht mehr bereit, einfach die offizielle Geschichte zu übernehmen, wenn Menschen verschwinden oder zu Tode kommen und es Hinweise darauf gibt, dass Polizei oder Militär daran beteiligt waren. Das sollten die internationale Öffentlichkeit und die Medien ebensowenig tun.