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Keine positiven Effekte in Zentralamerika

Die Region konnte ihre Exporte in die EU nicht steigern

Seit der zweiten Jahreshälfte 2013 sind die Freihandelsbestimmungen im Assoziationsabkommen Europäische Union-Zentralamerika provisorisch in Kraft. Die Handelsdirektion der EU-Kommission ist verpflichtet, jährlich über deren Umsetzung Bericht zu erstatten. Im April 2017 wurde dementsprechend der dritte Report an das EU-Parlament und den Rat überwiesen. Bei der Lektüre tritt Erstaunliches zutage. Wer Freihandelsabkommen als Trittbrett für die Übergabe von Wirtschaftsentscheidungen an Konzerne betrachtet, sah sich bestätigt. Wer sie als Möglichkeit für steigenden Wohlstand für alle durch Handelswachstum begreift, sah in die Röhre. Vielleicht sollte man den Bericht und seine beiden Vorgängerberichte einfach einmal lesen.

Gaby Küppers

Der dritte Bericht zur Umsetzung des Handelsteils im EU-Zentralamerika-Abkommen beginnt gleich mit einem Paukenschlag, der so manche*n aufzuwecken vermag: Die Europäische Union hat 2015 ihre Exporte nach Zentralamerika um 22 Prozent gesteigert. Dagegen gingen die Exporte Zentralamerikas nach Europa um 16,8 Prozent zurück. Die EU kommt damit auf eine positive Handelsbilanz von 162 Millionen Euro. Das ist für einen solchen Wirtschaftsblock sicherlich nicht viel, aber immerhin. Zentralamerika rangiert zudem weiterhin am unteren Ende der Liste von EU-Handelspartnern. Damit ist unter dem Freihandelsabkommen das Gegenteil dessen eingetroffen, was die zentralamerikanischen Regierungen sich gewünscht und als Ziel verkündet hatten.

Der Grund für den starken Exportrückgang ist bezeichnend für die Schwäche und Anfälligkeit des zentralamerikanischen Wirtschaftsmodells. Die Entscheidung eines einzigen multinationalen Unternehmens in Costa Rica, seine IT-Produktion nach Südostasien zu verlagern, hat die Handelsbilanz der ganzen Region ins Mark getroffen. Der Multi Intel befand, dass Mikrochips in Südostasien noch billiger hergestellt werden können, und stellte deren Produktion in Costa Rica ein. Der costaricanische Export von Telekommunikationsbestandteilen in die EU bricht damit von 2013 auf 2015 um knapp 94 Prozent ein. Insgesamt geht der Handelsaustausch zwischen der EU und Costa Rica, dem Land in der Region mit dem größten Anteil am bilateralen Handel, um 35 Prozent zurück. Für Zentralamerika als Ganzes führt das zu einem Minus von 0,7 Prozent.

Mit dem Assoziationsabkommen hat die Unternehmensentscheidung von Intel nicht direkt etwas zu tun, aber daran hindern konnte das Abkommen das Unternehmen keinesfalls. Nachhaltige Entwicklung, Diversifizierung der Produktion und die Schaffung von dauerhaften Arbeitsplätzen werden zwar bei gemeinsamen Treffen der Regierungsvertreter*innen beider Regionen als Ziele betont, sind aber letztendlich Lippenbekenntnisse ohne legale Konsequenzen.

Zahlen über Exportüberschüsse oder -einbrüche sagen nicht wirklich etwas über den Wohlstand in Zentralamerika aus. So ging der Warenhandel der EU mit Panama von 2012 auf 2013 um 11,9 Prozent zurück, was aber wenig mit dem Land und seinem Binnenmarkt zu tun hat. Der Grund ist vielmehr Panamas Freihandelszone, wo Waren aus Europa ankommen und weiter nach Südamerika verschoben werden. Aufgrund der dort in vielen Ländern herrschenden Wirtschaftskrise gingen 2013 weniger Waren von Europa über Panama in Richtung Süden. Insofern hatte diese Abwärtskurve in den Büchern keine Auswirkungen auf panamaische Einzelhändler*innen.

Auch der Verlust von 1500 Arbeitsplätzen im Telekombereich in Costa Rica ist bitter, ist aber in El Salvador nicht spürbar. Doch etwas anderes ist aus den Zahlen ablesbar: Wo sie bestehen, erleichtern Freihandelsabkommen die Verlagerung von Produktionen in andere Länder, weil sie die entsprechenden Bestimmungen zu Zoll, Devisentransfer, Gewinnabschöpfung, Datenübertragung oder auch Patentregelungen immer weiter angleichen, nationalen Regelungen entziehen und Reibungsverluste für Unternehmen minimieren. Wer dem Freihandel das Wort redet, muss sich darüber im Klaren sein, dass es bei solchen Abkommen nicht vor allem um Wachstum von Warenhandel geht, sondern um Anpassung von Handel an Gewinnerwartungen von Großunternehmen. Das betrifft in erster Linie Industrie und Dienstleistungen, kann aber auch die Abwanderung von Agrobusiness, also Ananas-, Avocado- oder Palmölplantagen meinen.

Nach dem Fortgang von Intel mit seiner Mikrochipindustrie aus Costa Rica ist die Exportpalette Zentralamerikas wieder auf das zurückgeschnurrt, was die Region auch vorher dem Weltmarkt anbot: Obst und Gemüse (51 Prozent), Nahrungsmittel, Getränke und Tabak (11,1 Prozent) und aus dem Maquila-Bereich (Herstellung aus ausländischen Bestandteilen für den Export) optische und fotografische Instrumente mit immerhin noch 8,1 Prozent Anteil. Die EU exportiert ihrerseits Hochwertiges und Teures: Maschinen und Apparate (23,8 Prozent), chemische und pharmazeutische Produkte (22,6 Prozent) und Transportausrüstungen (14,3 Prozent).

Genannt werden sollte für Zentralamerika noch der Rückkehrer auf den Markt: Der Kaffeeexport in die EU stieg um 33 Prozent. Das hat in erster Linie mit dem Produktionsausfall der Vorjahre wegen des so genannten Kaffeerosts zu tun, der die Sträucher befallen und den Anbau nahezu zum Erliegen gebracht hatte. Allerdings steigern auch andere Länder ihren Kaffeeexport, sodass die Produzent*innen in Zentralamerika angesichts der preisdrückenden Konkurrenz wohl kaum auf bessere Einnahmen kommen.

Vor dem Inkrafttreten des Assoziationsabkommens galt für zentralamerikanische Exporte in die EU das Allgemeine Präferenzsystem (APS). Im Rahmen des APS genossen wesentliche zentralamerikanische Exportprodukte bereits Zollfreiheit, darunter Kaffee und Obst – abgesehen von Bananen, die als sensible Produkte in der EU bis heute einem gesonderten Regime unterliegen. Für die hauptsächlichen Posten im Exporthandel Zentralamerikas hat sich also nichts geändert. Nur, wie die EU-Kommission betont, profitieren mehr Produkte vom Zollnachlass, und die Verfügung ist dauerhaft. Außerdem ist die Marktöffnung nun reziprok (gegenseitig). Und es gibt so genannte Durchführungsorgane, die jährlich tagen, je ein Abkommenskapitel überwachen und gegebenenfalls Änderungen einfordern. Das letzte Mal traten sie im Juni 2016 in Tegucigalpa/Honduras zusammen.

Dabei fordert der Unterausschuss für intellektuelles Eigentum, dass selbige, also Patente, Lizenzen und geografische Herkunftsbezeichnungen, in Zentralamerika besser geschützt und durchgesetzt werden. Guatemala soll den Streitfall bei den Bezeichnungen „Parmigiano reggiano“, „Prociutto di Parma“ und „Parma“ lösen (sprich auf das Wort „Parma“ verzichten). Honduras soll aus seiner Bezeichnungsliste diejenigen streichen, die in der EU als geografische Herkunftsbezeichnungen geschützt sind.

Im Unterausschuss über sanitäre und phytosanitäre Angelegenheiten mahnten die Europäer an, dass Zentralamerika endlich seine im Assoziationsabkommen zugesagten Verfahren für Marktzugang durchsetzt, damit europäische Unternehmen besser in die Region exportieren können. Ebenso soll die regionale Wirtschaftsintegration vorankommen, damit Waren (aus Europa) besser von einem ins andere Land gelangen können.

Im Unterausschuss für Marktzugang vertrat die EU ihre Interessen: Costa Rica soll Sonderzölle für Biere sowie höhere Steuern für Spirituosen abschaffen. Nicaragua soll keine Gebühren für das Scannen von Waren an der Grenze erheben und Honduras sein Lizenzsystem für den Import von Zwiebeln aufgeben.

Bei einem neu gegründeten Gremium für das öffentliche Auftragswesen ging es um zentralamerikanische Gesetzesbestimmungen, die noch in Übereinstimmung mit dem Abkommen gebracht werden müssen. Am Pranger stand die öffentliche Auftragsvergabe in Panama. Die EU bestand auf Gesetzesänderungen, damit auch Europäer sich mühelos an Ausschreibungen, etwa für große Bauprojekte, beteiligen können.

Der anschließend tagende Assoziationsausschuss als übergeordnete Instanz ließ dann noch einmal alle Ergebnisse aus den Unterausschüssen Revue passieren, mahnte Versäumnisse bei der Angleichung der Gesetzgebungen in den zentralamerikanischen Regierungen an und kam dann endlich auch auf das Thema Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und Steuervermeidung zu sprechen.

Diese Themen könnten auch in einem Unterausschuss Dienstleistungen und Finanzdienstleistungen zu finden sein. Die EU unterstreicht allerdings, es sei noch zu früh, zu Dienstleistungen belastbare Aussagen zu machen. Klar ist nur, dass Panama 53 Prozent der Dienstleistungen auf sich vereint, Costa Rica 21 Prozent und Guatemala 13 Prozent. Die restlichen 13 Prozent verteilen sich auf El Salvador, Nicaragua und Honduras. In absoluten Zahlen beläuft sich der Handel mit Dienstleistungen auf 5,9 Milliarden Euro. Der legale, versteht sich. Der Inhalt der Panama Papers steht tatsächlich auf einem anderen Blatt als dem Abkommen.

Was fehlte, war die Frage, inwieweit europäische Unternehmen oder das herrschende Wirtschaftsmodell für Fehlentwicklungen, Umweltprobleme und Menschenrechtsverletzungen – etwa im Bergbau oder bei Megaenergieprojekten – zur Verantwortung zu ziehen sind. Die „Junta“ zu Handel und Nachhaltiger Entwicklung hätte darüber Auskunft geben können. Aber zum einen geht es in dieser Junta nur um Informationsaustausch über die Einhaltung internationaler Normen im Bereich von Arbeits- und Umweltkonventionen und nicht um die Einforderung von Gesetzesänderungen. Zum anderen hat sie keine Zähne, da das Kapitel nachhaltige Entwicklung nicht wie der Rest des Abkommens einem Streitbeilegungsverfahren mit Sanktionen unterworfen ist. Und drittens können zivilgesellschaftliche – also nicht regierungsentsandte – Vertreter*innen nicht wirklich mitreden. Denn die „Junta“ fand am 15. und 16. Juni 2016 in Honduras statt, das Forum mit der Zivilgesellschaft erst am Tag danach. Das Forum verfasste eine Erklärung an die Junta. Diese versprach, „in einer späteren Phase“ darauf zu antworten. Wer auf dem angegebenen Link nachsucht, landet auf einer Seite der Homepage der Europäischen Sozial- und Wirtschaftsausschüsse, auf der außer der Erklärung nichts steht.1

Wichtiger als solch ein zahnloses Organ ist allerdings die Bananenfrage. Dem Assoziationsabkommen ist ein Bananenstabilisierungsmechanismus zugeordnet, mit dem ohnehin quotierte Bananenimporte in Europa überwacht und gegebenenfalls auf höhere Zölle zurückgesetzt werden, falls „zu viele“ Bananen die Preise europäischer Produzent*innen in Guadeloupe, Martinique oder den Kanarischen Insel senken. Andere Kriterien als die bezüglich der Preise, also zum Beispiel Sozial- oder Umweltstandards, gibt es nicht.

Was hat das Assoziationsabkommen gebracht? Für die Menschen in Europa vordergründig nichts – ihr Zugang zu exotischen Früchten aus der Region ist unverändert. Für einige Firmen begrenzte neue Absatzmärkte. Dazu macht sich die EU-Kommission nun auch hier für die Profitinteressen europäischer Unternehmen stark und fordert in den zentralamerikanischen Ländern entsprechende Gesetzesänderungen ein. Damit wird eine weitere Region für etwaige Firmenplanungen zurechtgestutzt.

Auswirkungen auf die Lebensstandards in Europa werden dagegen kaum gesehen, obwohl jedes einzelne Freihandelsabkommen ein weiterer Baustein ist, um das herrschende Wirtschaftsmodell zu konsolidieren, das uns bekanntlich zu schaffen macht. Das Freihandelsabkommen beziehungsweise sein Handelsteil ist im vorliegenden Falle der wichtigste Teil des Assoziationsabkommens EU-Zentralamerika, das insgesamt erst in Kraft treten wird, wenn es alle EU-Mitgliedsländer ratifiziert haben. Bis dahin gilt das Partnerschafts- und Assoziationsabkommen von 2003, das 2013 in Kraft trat.

Für die Menschen in Zentralamerika haben sich die Hoffnung auf Wirtschaftswachstum und damit verbunden bessere Lebensbedingungen nicht erfüllt. Export- und Importmengen haben viel mehr mit Weltmarktpreisen, Wechselkursen und firmeninternen Investitionsentscheidungen zu tun als mit dem Assoziationsabkommen. Dieses allerdings sorgt dafür, dass den jeweiligen Regierungen und Gesetzgeber*innen auf die Finger geklopft wird, sofern sie Gesetze auf den Weg bringen, die europäischen Firmeninteressen zuwiderlaufen.