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Residente tönt vegan und Rebeca ermächtigt mit viel Soul

Neue Alben aus Mittelamerika läuten die Tournee-Saison ein
Britt Weyde

So viele gute Nachrichten auf einmal! Von der Cover-Lady der letzten Dezember-ila, der guatemaltekischen Rapperin Rebeca Lane, erscheint im Juni ein auch hierzulande erhältliches Album und sie kommt bald auf Tournee. Ein anderer Musiker, dessen Schaffen wir in der ila schon häufiger kritisch gewürdigt haben (u.a. in ila 374), René Pérez Joglar, bekannt als „Residente“ der vor allem in Lateinamerika megaerfolgreichen „Calle 13“ aus Puerto Rico, legt ebenfalls neues Material vor und bespielt im Sommer europäische Bühnen.

René Pérez hat lange auf neue Sounds warten lassen. Das begnadete Rap-Talent geht jetzt feste auf die 40 zu, ist die letzten zwei Jahre in sich gegangen und hat sich auf eine Weltreise begeben. Auf Grundlage einer DNA-Analyse ließ er sein persönliches Erbgut regional aufschlüsseln, in der Folge klapperte er die wichtigsten Stationen ab, unter anderem Armenien, Niger, Georgien, China. Vor Ort hat er jeweils mit regionalen Künstler*innen Songs eingespielt und Filmaufnahmen gemacht, für seine Musikvideos, aber auch für einen Dokumentarfilm über seine Spurensuche zum musikalischen Erbgut; ein Buch rundet die Dokumentation seiner Expeditionen ab. Der dabei aufgenommene Tonträger, Residente, ist unüberhörbar ein Konzeptalbum. Ein bisschen sperrig, sehr vielseitig: ein cooles Rap-Intro zur Genealogie seiner Familie, gehauchte französische Bekundungen im Song Desencuentro, ein minimalistisches sibirisches Interludium, das nach gesungener Maultrommel klingt, China-Oper in Una Leyenda China, Tribalistisches in Dagombas en Tamale (mit der denkwürdigen Zeile „hier gibt es kein Kaviar, dafür aber Mais“). Die funky Gitarre des neuen Tuareg-Wüstenblues-Stars Bombino erklingt in La Sombra oder Balkanbeats-Altmeister Goran Bregovic gibt sich in El Futuro es Nuestro die Ehre. Eindeutiger Hit des Albums ist Somos Anormales, von dem es bereits ein von Youtube als jugendgefährdend eingestuftes Video gibt. Die Message geht auf jeden Fall in Ordnung: Aquí todos somos deformes, la belleza se alimenta de fallas, wir sind alle deformiert, Schönheit lebt von Fehlern. Und unsere DNA ist doch letztlich ziemlich identisch. Die Geißel der Menschheit, immer wiederkehrende Kriege, werden im Video in einer astreinen Schlammschlacht ridikülisiert. Am Schluss siegt dann doch die Reproduktion und alle liegen sich heftig knutschend in den Armen. Herrlich. Auch der Song Guerra beeindruckt nachhaltig durch seine getragene, ziemlich dramatische Inszenierung inklusive des in einer ossetischen Kirche aufgenommenen Intros. Überhaupt bietet das Ganze recht viel Drama, weniger Albernheit, als wir es von Residente aus Calle 13-Zeiten kennen. Damals war aber auch ziemlich viel Sexgeplapper mit am Start. „Wie man Hits macht, weiß ich“, sagte Residente kürzlich dem „Rolling Stone“. „Ich will nicht arrogant klingen, aber den nächsten Hit zu schreiben, ist echt einfach. Ich wollte mal etwas anderes machen.“ Leicht verdauliche Kost kommt dabei nicht heraus. „Die Leute essen ja auch nicht so viel Brokkoli, was sie aber sollten, denn er ist gesund.“ Wenn Residente heute das Radio anmacht, sei er geschockt, alles würde gleich klingen, soviel musikalisches Junkfood! Deshalb seine Devise, für das Essen wie die Musik: mehr Gemüse und weniger Junkfood!

Musikalisch wie textlich Anspruchsvolles bietet auf jeden Fall Rebeca Lane. Ihr Album Alma Mestiza versammelt 14 Tracks und bedient sich diverser musikalischer Zutaten. Mestiza soy startet interessanterweise ebenfalls mit tribalistischen Gesängen und huldigt dem Mais, letztlich ist es aber ein cooler Trap-Song. Aber auch klassischer Hiphop (Reina del Caos), Reggae (Este cuerpo es mío), Cumbia, Cumbiatón (Libre, Atrevida y Loca – „Frei, unerschrocken und verrückt“, zusammen mit Ex-Kumbia-Queers-Sängerin Ali Gua Gua und der Argentinierin Miss Bolivia!) und souliger Gesang kommen zum Einsatz. Der Rezensentin gefielen vor allem die perkussiven Elemente in vielen Stücken, das ist der positive Bezug auf das afrolateinamerikanische Erbe, das Rebeca Lane gerne anführt. Sehr catchy ist das etwa in dem Song Ni encerradas ni con miedo („Weder eingesperrt noch ängstlich“) umgesetzt – unbedingter Anspieltipp! Weiterer Lieblingstrack: Cumbia de la Memoria, in dem an die Verbrechen während des guatemaltekischen Bürgerkriegs erinnert wird. In Desaparecidxs nennt Lane am Schluss die Namen von Verschwundenen. Das mag nach Demo oder Pamphlet klingen, ist es aber nicht. Die Künstlerin schafft es, Empowerment, Agitation und Juckreiz im Tanzbein ziemlich intelligent miteinander zu versöhnen.

Residente, „Somos anormales“ https://www.youtube.com/watch?v=Q4KqFlK_F2w

Rebeca Lane, „Cumbia de la memoria“ https://www.youtube.com/watch?v=7bw_0e__U6k