ila

Der radikale Mäzen

Die Geschichte des jüdisch-argentinischen Linksintellektuellen Felix Weil
Gert Eisenbürger

Ein beträchtlicher Teil der Menschen, die über große Vermögen verfügen, haben diese geerbt. Manche reiche Erben suchen den ihnen zugefallenen Besitz durch unternehmerische Aktivitäten und/oder Finanzgeschäfte zu vermehren, andere zeigen wenig Interesse an Arbeit und Geschäften und frönen lieber einem Luxusleben. Einige wenige stellen Teile des gewonnenen Reichtums wohltätigen oder kulturellen Zwecken zur Verfügung, von diesen wiederum eine Handvoll fortschrittlichen wissenschaftlichen und politischen Projekten. In der alten Bundesrepublik etwa der Zigarettenerbe Jan Philipp Reemtsma, der das private „Hamburger Institut für Sozialforschung“ finanziert. Dessen Name ist eine Reminiszenz an das legendäre „Frankfurter Institut für Sozialforschung“, das in der Weimarer Republik und im US-amerikanischen Exil ein Ort war, wo kritisch-marxistische Reflexion gesellschaftlicher Entwicklungen betrieben wurde.

Dass das an die Frankfurter Universität angeschlossene Institut ebenfalls ursprünglich von einem reichen Mäzen initiiert worden war und nur durch dessen Zuwendungen nach 1933 im Exil überleben konnte, ist wenig bekannt. In ihrem Buch „Der argentinische Krösus“ erzählt die Publizistin Jeanette Erazo Heufelder, die vor drei Jahren eine beeindruckende Biographie der deutsch-jüdisch-argentinischen Menschenrechtskämpferin Ellen Marx vorgelegt hat (vgl. ila 377), die Geschichte von Felix Weil, der in der deutschen Linken der zwanziger und dreißiger Jahre eine außergewöhnliche Rolle spielte.

Geboren wurde Weil 1898 in Argentinien. Sein Vater Hermann Weil, Sohn kleiner jüdischer Händler, war 1890 aus dem baden-württembergischen Steinsfurt dorthin ausgewandert, zunächst als Repräsentant eines Antwerpener Getreidehändlers. Nach einiger Zeit machte er sich mit zweien seiner Brüder selbstständig. Das Unternehmen Hermanos Weil Y Cia avancierte innerhalb weniger Jahre zu einem der drei größten Weizenexporteure Argentiniens und unterhielt Niederlassungen in ganz Europa.

Auch wenn Hermann Weil die argentinische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, wünschten er und seine aus Frankfurt/M. stammende Frau Rosa, dass ihr Sohn eine höhere Schule in Deutschland besuchen sollte. So kam der kleine Felix als Neunjähriger 1907 auf das Goethe-Gymnasium nach Frankfurt, wo er fortan bei seiner Großmutter lebte.

Vom patriotischen Geist der Zeit angesteckt, meldete er sich 1917 als 19-Jähriger freiwillig zum Kriegsdienst in der kaiserlich-deutschen Armee, die ihn mit einer Ausnahmegenehmigung – er war ja Argentinier – aufnahm. Die kurze Dienstzeit in Frankfurt prägte sein weiteres Leben. Das hatte weniger mit dem Militär zu tun, als damit, dass der Frankfurter Arbeiter- und Soldatenrat im November 1918 die Kontrolle über die Stadt übernahm und Felix Weil sich diesem anschloss. Weil er ein guter Organisator war, wurde er kurzzeitig zum Leiter der Arbeiterwehr, der provisorischen revolutionären Polizei, ernannt. Er begann, sich mit sozialdemokratischen Schriften auseinanderzusetzen und identifizierte sich bald mit dem Marxismus.

Im Sommersemester 1919 begann er ein Ökonomiestudium in Tübingen, wo er zu den Initiatoren der ersten sozialistischen Studentengruppe gehörte. Darüber kam er in Kontakt mit marxistischen Denker*innen wie Clara Zetkin und Karl Korsch, die sich am Aufbau der jungen KPD beteiligten. Besonders Korsch hat ihn in der Entwicklung seines politisch-theoretischen Denkens stark beeinflusst.

Während unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg ein großer Teil der deutschen Arbeiter*innen mit sozialistischen Ideen sympathisierte, waren die Studierenden überwiegend nationalistisch und monarchistisch eingestellt. Aus deren Reihen rekrutierten sich teilweise die konterrevolutionären Freikorps, die 1919 in Berlin und vor allem München brutale Massaker an den Anarchist*innen und Kommunist*innen verübten, die ihnen in die Hände fielen.

Gegen die wenigen linken Studierenden gingen die Universitäten vor. So lieferte der Rektor der Tübinger Uni 1920 dem württembergischen Erziehungsministerium eine Liste politisch aktiver, sprich linker Studierender, auf der auch Felix Weil aufgeführt war. Kurz darauf erhielt er den Exmatrikulationsbescheid – angeblich musste wegen des knappen Wohnraums die Zahl ausländischer Studierender begrenzt werden – und er wurde aus Württemberg ausgewiesen.

Weil beendete danach in Frankfurt/M. seine in Tübingen begonnene Dissertation über den Sozialisierungsbegriff. Grundgedanken seiner Arbeit waren bereits 1919 in der Zeitschrift „Arbeiterrat“ veröffentlicht worden. Als die 68er begannen, vergessene linke Schriften zugänglich zu machen, wurde Weils Sozialisierungstext 1969 in der Westberliner Underground Press als Band I der Reihe „Revolutionäre Schriften“ neu veröffentlicht.

Nach dem Abschluss des Studiums und der Heirat mit Katharina Bachert, einer jungen Frau aus dem Bekanntenkreis Clara Zetkins, ging das junge Paar Ende 1920 nach Buenos Aires. Sein Vater hatte auf den Umzug gedrängt, weil er hoffte, der Sohn würde in die Leitung seines Unternehmens einsteigen. Felix hatte dem Druck schließlich nachgegeben und versprochen, sich ein Jahr in Argentinien mit Getreidehandel zu beschäftigen. Was sein Vater allerdings nicht wusste, war, dass er noch einen weiteren Auftrag in der argentinischen Hauptstadt erfüllen sollte. Im Oktober 1920 hatte er Grigorij Sinowjew kennengelernt, damals Generalsekretär der Kommunistischen Internationale (Komintern). Sinowjew beauftragte ihn mit einer Recherche über die unterschiedlichen Gruppen in Argentinien, die sich um eine Aufnahme in die Internationale bewarben. So agierte Felix Weil 1920/21 in Argentinien einerseits als Mitglied der Geschäftsführung eines Großunternehmens und – natürlich verdeckt – als Delegierter der Komintern. Was das väterliche Ansinnen anging, wurde ihm schnell klar, dass seine Zukunft nicht im Getreidehandel lag.

Obwohl er nie Mitglied war, stand er zu dieser Zeit sicher der KPD nahe. In Argentinien sympathisierte er mit der dortigen Kommunistischen Partei (PCA) und sah die in der Arbeiterklasse sehr viel breiter verankerten anarchosyndikalistischen Organisationen eher kritisch. Allerdings bekam er bald den Eindruck, dass Parteien, deren Strategien stark von der jeweiligen politischen Opportunität beeinflusst werden, nicht der Rahmen sein können, in dem sich marxistische Theorie weiterentwickelt. In ihm reifte der Gedanken, dass es dafür eines unabhängigen Instituts bedurfte. Ein solches wollte er in Deutschland errichten oder zumindest dessen Aufbau und Arbeit unterstützen.

Kurz nach seiner Rückkehr nach Deutschland begann er, Kontakte zu knüpfen. Er gewann einige renommierte Wissenschaftler für die Unterstützung des Projektes, darunter den gerade an die Universität Frankfurt berufenen Ökonomieprofessor Kurt Albert Gerlach, der die Leitung des Instituts übernehmen sollte. Inoffizieller Startschuss der inhaltlichen Arbeit war Pfingsten 1923 die „Erste Marxistische Arbeitswoche“ (EMA), an der zahlreiche theoretische Schwergewichte der Linken sowie kritische junge Wissenschaftler*innen teilnahmen, darunter Georg Lucász, Karl und Hedda Korsch, Karl August und Rose Wittvogel, Richard Sorge und Friedrich Pollock. Letzteren hatte er zusammen mit Max Horkheimer 1920 kennen gelernt. Die drei linken Unternehmersöhne, die allesamt „Klassenverrat“ begangen und sich an die Seite der Arbeiterbewegung gestellt hatten, verstanden sich auf Anhieb. Pollock war bei dem Institutsprojekt von Anfang an beteiligt, während sein späterer Direktor Horkheimer 1922/23 noch mit seiner Dissertation beschäftigt war.

Obwohl Weil nach dem Krebstod seiner Mutter im Jahr 1912 von ihr bereits ein beträchtliches Vermögen geerbt hatte, reichten seine Mittel nicht aus, um ein wissenschaftliches Forschungsinstitut zu unterhalten. Dafür brauchte er die Unterstützung seines Vaters. Hermann Weil war ein aufgeklärter Liberaler und sicher kein Marxist. Allerdings fand er eine kritische Untersuchung gesellschaftlicher Entwicklungen wichtig, zumal ihn der zunehmende Antisemitismus sehr beunruhigte.

Aus grundsätzlichen Überlegungen, aber auch, um seinen Vater für die Unterstützung des Projektes zu gewinnen, wollte Felix Weil kein privates Institut, sondern favorisierte eine Anbindung an die Universität Frankfurt, der Hermann Weil schon mehrfach größere Spenden hatte zukommen lassen. Er überzeugte diesen, ein Stiftungsordinariat an der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät zu finanzieren, also die Gehälter eines Professors und der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen zu übernehmen. Die Professur sollte der Direktor des neuen „Instituts für Sozialforschung“ bekommen. Aus seinen eigenen Mitteln bezahlte Felix Weil den Bau des Institutsgebäudes und der Bibliothek. Dass die konservative Frankfurter Universität sich darauf einließ, erklärte sich zu einem daraus, dass Weil die geplante marxistische Ausrichtung des Instituts in der Gründungsphase verschwieg, vor allem aber dadurch, dass die finanzielle Situation der Universität im Krisen- und Inflationsjahr 1923 sehr prekär war und sie ein Stiftungsordinariat kaum ausschlagen konnte.

Im Juni 1924 wurde das Institut offiziell eröffnet. Nach dem plötzlichen Tod des designierten Institutsdirektors Kurt Albert Gerlach war der Austromarxist Carl Grünberg zu dessen Leiter bestimmt worden. Nach einem Schlaganfall wurde dieser 1928 übergangsweise von Friedrich Pollock und später von Max Horkheimer abgelöst. In den Anfangsjahren widmete sich das Institut in – zunehmend konfliktiver – Kooperation mit dem Moskauer Marx-Engels-Institut vor allem der Herausgabe der ersten Gesamtausgabe der Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels. Gleichzeitig baute es ein umfangreiches Archiv der Publikationen der Arbeiterbewegung auf.

Die Finanzierung des Instituts war zwar die umfangreichste, aber längst nicht einzige Unterstützung Weils für linke Projekte. Vor allem, als ihm und seiner Schwester nach dem Tod von Hermann Weil im Oktober 1927 dessen riesiges Vermögen zugefallen war, finanzierte er – meist ohne öffentlich in Erscheinung zu treten – zahlreiche publizistische und künstlerische Initiativen. Er wurde Hauptanteilseigner des von den Brüdern Wieland Herzfelde und John Heartfield (eigentlich Wieland und Helmut Herzfeld) geleiteten KPD-nahen Malik-Verlags, der auf sozialkritische Literatur und künstlerische Avantgarde spezialisiert war. Auf Initiative des später vermutlich von stalinistischen Agenten ermordeten KPD-Propagandachefs Willi Münzenberg finanzierte er die deutsche Bearbeitung des Stummfilms Panzerkreuzer Potemkin von Sergej Eisenstein, eines der ganz wenigen Projekte, bei denen er, wegen des großen finanziellen Erfolgs des Films in den Kinos, seine Einlage zurückbekam. Weiter unterstützte er mehrere Theaterinszenierungen Erwin Piscators in Berlin, bezahlte die horrenden Prozesskosten von George Grosz, durch dessen Grafiken sich kirchliche und staatliche Stellen immer wieder beleidigt fühlten oder finanzierte den Neubau der Parteizentrale der argentinischen KP in Buenos Aires. Neben parteikonformen unterstützte Weil auch abtrünnige Kommunisten wie die „Kommunistische Partei Deutschlands – Opposition“ (KPO), deren Organ „Gegen den Strom“ nur durch seine Zuwendungen erscheinen konnte. Er wollte sogar den von der kommunistischen Bewegung geächteten Trotzki für Buchprojekte der von ihm in den Räumen des Malik-Verlags gegründeten Soziologischen Verlagsanstalt gewinnen, was der russische Revolutionär aber ablehnte, weil er Weil eine zu große Nähe zur KPD unterstellte. Dagegen erschien in der Soziologischen Verlagsanstalt eine von den KPO-Führungsmitgliedern August Thalheimer und Paul Fröhlich herausgegebene Gesamtausgabe der Schriften Franz Mehrings.

In der auch innerhalb der Linken polarisierten Atmosphäre der späten Weimarer Republik Jahre finanzierte Weil Publikationen und Verlage, deren Macher*innen sich erbittert bekämpften. Zum einen zeugt es von seinem intellektuellen Sachverstand, gehören doch aus heutiger Sicht fast alle erwähnten Projekte zum künstlerisch und politisch Originellsten, was in der Weimarer Republik entstanden ist. Vielleicht gibt es aber noch einen tiefer liegenden Grund. Wie Weil selbst hatten auch Pollock, Horkheimer, die Gebrüder Herzfeld, Braunstein (genannt Trotzki) oder Thalheimer einen jüdischen Hintergrund. Sie waren alle nicht religiös, waren aber auch deshalb Marxisten geworden, weil sie von einer sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft eine Überwindung des Antisemitismus erwarteten. Weil hat zudem sehr früh die Gefahr des Nationalsozialismus erkannt und wusste, dass dem nur mit der Einheit aller linken Kräfte zu begegnen war.

Da die bekanntlich nicht erreicht wurde, rechnete Weil spätestens ab 1930 mit einer Machtübernahme durch die Nazis, einem Krieg und der Enteignung jüdischer Vermögen. Sein Prokurist Erich Artur Nadel und er begannen, den Besitz der Familie Weil in Deutschland, den Niederlanden und Danzig umzustrukturieren. Durch die Gründung verschiedener Tochterfirmen, Holdings und Stiftungen – bei der Lektüre der entsprechenden Buchpassage fühlte ich mich mehrfach an die jüngsten Veröffentlichungen über die Panama-Papers erinnert – war am Ende nicht mehr erkennbar, wem das alles gehörte und dass die Eigentümer Juden waren.

Auch für das Institut begannen Horkheimer, Pollock und Weil schon vor 1933 dessen Emigration vorzubereiten. So wurde bereits 1932 eine Zweigstelle in Genf gegründet, später kamen durch die Solidarität französischer und britischer Wissenschaftler Dependancen in Paris und London dazu. Als die Nazis im Juli 1933 das Frankfurter Institut schlossen und den dortigen Besitz beschlagnahmten, übernahm die von Horkheimer in Genf gegründete Société Internationale de Recherches Sociales dessen Trägerschaft. Weil man im Falle des voraussehbaren Krieges nirgendwo in Europa vor den Nazis sicher sein konnte, entschieden Horkheimer und Pollock die Verlegung des Instituts nach New York, wo die Columbia University Räume zur Verfügung stellte. Die gesamte Emigration, die Beschaffung der notwendigen Dokumente und die Finanzierung des Lebens und der wissenschaftlichen Arbeit im Exil wurde im wesentlichen von Felix Weil finanziert, der 1935 dem Institut das Vermögen überschrieb, das er vor den Nazis in Sicherheit gebracht hatte.

In New York und später in Los Angeles beschäftigten sich die Wissenschaftler*innen vor allem mit den Ursachen des Faschismus und Antisemitismus. Dort entstanden grundlegende Werke wie „Dialektik der Aufklärung“ (Horkheimer, Adorno) oder „Studien zum autoritären Charakter“ (Adorno), die längst zu den Klassikern der Gesellschaftswissenschaften gehören.

Felix Weil selbst lebte seit 1930 in Buenos Aires, wo er 1932/33 kurzzeitig Berater des sozialistischen Finanzministers Federico Pinedo in Steuerfragen war. In Argentinien unterstützte er auch Emigrant*innen aus Nazideutschland und finanzierte zusammen mit dem aus der Schweiz stammenden Verleger Ernesto Alemann die Gründung der antifaschistischen Pestalozzischule, in der die Kinder der aus Deutschland Geflüchteten Aufnahme fanden.

Nach dem Wahlsieg Perrons emigrierte Weil 1946 in die USA, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1975 bescheiden lebte. Er hat dort noch einige kleinere Arbeiten und Texte veröffentlicht, Vorträge zu steuerpolitischen Themen gehalten und an einer nicht vollendeten Autobiographie gearbeitet.

Jeanette Erazo Heufelder hat in ihrem Buch „Der argentinische Krösus“ ein lebendiges Bild eines schwerreichen Mannes gezeichnet, der vor allem ein kritischer Intellektueller war und sein wollte. Darüber hinaus erzählt sie ein Stück linker Geschichte neu und fügt dem, was wir über die Weimarer Republik und das antifaschistische Exil wissen oder zu wissen glauben, einige wesentliche Facetten hinzu. Dazu ist alles so gekonnt geschrieben, dass die Lektüre zur mühelosen Lust wird.