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Ein exemplarischer Fall

Die Mapuche-Heilerin Francisca Linconao Huircapan und die chilenische Justiz

Nicht nur Mapuche-AktivistInnen, sondern auch zahlreiche nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen weisen immer wieder darauf hin, dass die chilenische Justiz Mapuche systematisch diskriminiert und sie bei politischen Anklagen einem Sonderstrafecht unterliegen (vgl. das Interview mit Sebastian Garbe in dieser ila). Exemplarisch ist der Fall von Francisca Linconao. Als Machi (Heilerin) hat Frau Linconao in der Mapuche-Gesellschaft eine ganz besondere Stellung. Die mehr als fragwürdige Anklage und die unnachgiebige Haltung der chilenischen Behörden und des Justizapprarates empören nicht nur die Mapuche, sondern auch die nationale und internationale Öffentlichkeit, die sich immer mehr an die Praktiken der Militärdiktatur erinnert fühlt.

Alina Rodenkirchen

Die chilenische Kriminalpolizei machte sich die Dunkelheit zunutze. Elf Mapuche, unter ihnen eine Frau von 59 Jahren, wurden Ende März dieses Jahres aus dem Bett gerissen und verhaftet. Das war nicht das erste Mal, dass die Machi Francisca Linconao Huircapan samt Familienangehörigen von der Kriminalpolizei (PDI) brutal aus dem Schlaf geschreckt wurde.

Francisca Linconao Huircapan wohnt in der Nähe der südchilenischen Stadt Temuco auf dem Land. Die indigene Gemeinde, ihr Lof, ist das Gebiet mit dem Namen Rahue. Linconao ist eine besondere Frau mit besonderen Fähigkeiten. Sie hat einen der angesehensten Posten in der Mapuche-Gesellschaft. Sie ist eine Machi, hierzulange würde man sie als Ärztin bezeichnen, denn sie hat die Fähigkeit zu heilen. Selbst wenn die westliche Medizin versagt, können Machis wie Linconao ihren PatientInnen weiterhelfen.

Sie selbst sagt über ihre Rolle: „Ich habe es mir nicht ausgesucht, Machi zu werden. Dies ist eine Funktion, die mir aufgetragen wurde und die ich annehmen musste. Es ist eine Arbeit im Sinne des Allgemeinwohls, eine Arbeit für die anderen mit dem Ziel, ihnen ihre körperliche und spirituelle Gesundheit wiederzugeben.“

Als Machi verwendet sie Lawen, Heilkräuter, die durch die Abholzung nur noch an einigen wenigen Orten wachsen können. Doch gerade an dem Ort, wo Machi Linconao ihre Medizin findet, baute eine Firma einen Handymast. Außerdem wurde dort von der Gesellschaft Palermo Limitada illegaler Holzeinschlag auf dem Grundstück Palermo Chico betrieben. Linconao ging vor Gericht. Sie begründete ihre Klage unter anderem damit, dass sie bei weiterer Zerstörung ihren Beruf nicht mehr ausüben könne. Sie berief sich auf die UN-Konvention über die Rechte von indigenen Völkern (ILO 169) und auf die speziellen Rechte für religiöse Autoritäten indigener Völker. Die Richter folgten ihrer Argumentation, sie gewann den Prozess und die Firma durfte ihren Arbeitsraum nicht weiter interferieren. Das war ein Präzedenzfall für ganz Südamerika.

Eine starke Frau, die selbst vor den mächtigen Institutionen nicht Halt macht und auf ihr Recht besteht. Damit machte sie sich jedoch keine Freunde. Der Anwalt der Firma Palermo Limitada, Carlos Tenorio, ist heute Anwalt der Familie des verstorbenen Ehepaars Luchsinger-MacKay.

Die Verfolgung der Machi begann, als 2013 das Ehepaar Luchsinger-MacKay bei einem Brandanschlag in ihrem Haus ums Leben kamen. Auch Linconao wurde verdächtigt und am 4. Januar 2013 von 30 Einsatzkräften festgenommen. Sie musste mehrere Demütigungen seitens des chilenischen Staates über sich ergehen lassen. Ihre besondere Stellung innerhalb der Gesellschaft wurde missachtet. Unter Zwang musste sie ihre traditionelle Kleidung ablegen und wurde in Handschellen der Presse vorgeführt. Ihr wurde der illegale Waffenbesitz vorgeworfen. Im Oktober 2013 wurde sie von allen Anklagepunkten freigesprochen. Wegen der körperlichen und religiösen Schädigung ihrer Person klagte sie den chilenischen Staat an und gewann erneut. Die 2015 vom Obersten Zivilgericht Temucos festgesetzten Entschädigungszahlungen wurden bis heute vom chilenischen Staat nicht ausgezahlt. Stattdessen erlebte Francisca Linconao weitere Repressalien und Verfolgung.

Als ob die nächtlichen Razzien und Verhaftungen, die monatlichen Unterschriften auf der Polizeiwache und die Schädigung ihres Rufes sowie ihrer Gesundheit nicht genug waren, wurde sie mit zehn weiteren Mapuche in der Nacht vom 30. März 2016 erneut verhaftet. Die Anklage der elf Verhafteten beruht jedoch auf einer Falschaussage von einem der Festgenommenen – José Peralino Huinca. Dieser stellte direkt bei der Aufnahme der Personalien im Gerichtssaal von Temuco klar, dass er nur unter Androhung von Gewalt eine Aussage unterschrieben habe und die Anschuldigungen nicht der Wahrheit entsprächen.

„Ich habe viele Fragen“, schrieb die Machi in einem offenen Brief an die aktuelle Präsidentin Chiles, Michelle Bachelet. „Warum klagt mich der chilenische Staat erneut für etwas an, das ich nicht begangen habe? Niemals habe ich mir vorgestellt, dass ich eine zweite Razzia über mich ergehen lassen müsste, nachts, sie treten meinen heiligen Raum mit Füßen und wollen erneut mein Gleichgewicht stören? Warum will man das Ansehen einer Machi beschmutzten?“, fragte sie.1 

Linconao erzählte selbst in einem Interview mit CNN Chile, dass sie die Familie Luchsinger-MacKay gut kennen würde, da ihre Schwester bei ihnen gearbeitet habe. Sie habe die Siedler sogar zu einer wichtigen Zeremonie eingeladen, als sie gerade einmal mit 16 Jahren zur Machi wurde.

Geistliche wie José Fernando Díaz sprechen von unzumutbaren Zuständen und vergleichen diese Verfolgung mit einer „Hexenjagd“. Im Mai wurde ihr Gefängnisaufenthalt in Hausarrest umgewandelt. Jedoch nahm das Berufungsgericht diese Entscheidung knapp eine Woche später mit der Begründung zurück, dass die 59-jährige Machi eine Gefahr für die Gesellschaft darstelle. Im Frauengefängnis von Temuco verschlechterte sich Linconaos Gesundheitszustand rapide und somit wurde sie erneut aus der Haft entlassen und ihr Hausarrest auferlegt. Jedoch wenige Wochen später wurde dieser wieder aufgehoben. Mittlerweile wiegt sie nur noch um die 44 Kilogramm. Mehrmals wurde sie vom Gefängnis ins Krankenhaus verlegt. Die ÄrztInnen bestätigen ihren kritischen Gesundheitszustand und können nichts mehr für sie tun. Aus einem Arztbericht von Dr. Maldonado geht hervor, dass sie unter anderem an einer chronischen Gastritis, Bluthochdruck leide und dass sie Anzeichen einer Angstdepression aufweise. Jetzt wird sie im interkulturellen Krankenhaus in Nueva Imperial von einem anderen Machi behandelt.

Francisca Linconao fordert: „Ich möchte unbedingt in Würde auf meinem Territorium leben, ich möchte mein Gleichgewicht wieder herstellen und weiterhin meinem Ruf als Machi folgen, weiterhin ChilenInnen sowie Mapuche helfen, gesund zu werden.“