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Stutenblut aus Uruguay für die europäische Schweinemast

Interview mit Sabrina Gurtner vom Tierschutzbund Zürich über einen uruguayischen Exportschlager

Der Genuss von Pferdefleisch ist in Uruguay verboten. Ein Land, in dem die Gauchos zum Gründungsmythos gehören, verehrt die Vierbeiner zutiefst. Womöglich liegt es nur an der laizistischen Verfassung Uruguays, dass Pferde dort nicht heilig gesprochen werden. Könnte man meinen. Umso befremdlicher ist, dass ausgerechnet Pferde, genauer gesagt Stuten, auf uruguayischen Farmen systematisch gequält werden, um im Ausland die industrielle Schweinemast zu erleichtern. Über dieses lukrative und ausgesprochen eklige Geschäft sprach Gaby Küppers mit der Schweizerin Sabrina Gurtner.

Gaby Küppers

In Uruguay wird Pferdefleisch nicht verkauft und nicht gegessen...

... mehr noch: Das ist sogar gesetzlich verboten.

Aber Pferde zu quälen und ihnen in großen Mengen Blut zu entnehmen ist offenbar erlaubt. Können Sie kurz beschreiben, was in Uruguay, aber auch in dem anderen Gaucholand Argentinien, zum Zwecke der industriellen Tierproduktion mit Stuten geschieht?

Man hat im Blut von trächtigen Stuten einen Stoff entdeckt, den man zum Beispiel gut für die Erhöhung und Regulierung von Würfen bei Zuchtsauen einsetzen kann. Als Serum findet dieses sogenannte PMSG  (Pregnant Mare Serum Gonadotropin) vor allem in der Schweinezucht Verwendung, und zwar breitflächig. Es wird eingesetzt, um etwa Jungschweine einzugliedern in eine synchronisierte Produktion von Ferkeln. Denn wenn alle Ferkel zum gleichen Zeitpunkt geboren werden, können die gesamten Produktionsabläufe gleichzeitig geschehen. Das vereinfacht die Arbeitsabläufe in Großbetrieben.
Das PMSG kann man den Stuten allerdings nur in einem frühen Stadium der Trächtigkeit entnehmen. Die entsprechenden Betriebe halten sich daher Stuten allein zu diesem Zweck. Ist eine Stute trächtig, wird zwei bis drei Monate lang ein Maximum an Blut und somit Kraft aus ihr herausgeholt. Den Stuten wird somit viel zu häufig viel zu viel Blut abgezapft. Die Folge ist häufig Anämie, es kommt zu Fehlgeburten, manche Stuten sterben auf den Weiden.

Bis zu einer normalen Geburt ist eine Stute elf Monate lang trächtig. Wenn allerdings das Fohlen nach drei Monaten abgetrieben wird, kann man die Stute neu belegen und damit eine erneute PMSG-Produktion in Gang bringen. So können Stuten mehrfach in einem Jahr trächtig werden und PMSG liefern.

Findet die Entnahmeprozedur, oder besser -tortur, auf Farmen statt oder zapft man eingefangene Wildpferde an?

Es handelt sich um halbe Wildpferde. Sie sind nicht wirklich gewöhnt an den Umgang mit Menschen. Sie werden auf großen Weiden, hauptsächlich in Eukalyptuswäldern, gehalten. Die Blutfarmen pachten diese Wälder von Forstunternehmen, um dort die Stuten für die PMSG-Entnahme zu halten. Die Stuten wiederum halten das Unterholz tief. Es ist somit gleichermaßen eine Win-Win-Situation für Holzfirmen und Blutfarmen.

Welchen Unternehmern gehören diese Firmen?

Zu nennen ist zunächst einmal die Firma Syntex, die Besitzer sind Uruguayer. Syntex hat zwei Farmen, eine in Uruguay und eine in Argentinien. Der Hauptsitz ist in Argentinien, aber auch der Betrieb in Uruguay ist groß. Die Firma Syntex mit ihren Blutfarmen „Loma Azul“ und „El Yatay“ steht auf keiner Liste EU-zertifizierter Betriebe. Andere, wie „Las Marquesas“ und „Las Palomas“, mit Beziehungen nach Deutschland übrigens, sind jedoch unverständlicherweise durch die EU zertifiziert als Betriebe, die tierische Nebenprodukte in die EU exportieren.

In welchen finanziellen Dimensionen bewegt sich das Geschäft?

PMSG-Puder ist wie Gold. Zolldokumente zeigen, dass etwa Syntex monatlich PMSG im Wert von 1 bis 2 Millionen US-Dollar in die EU exportiert. Und zwar per Flugzeug, unter anderem mit der Lufthansa.

Seit wann gibt es dieses Geschäft?

Seit etwa 30 Jahren.

Wie viele Tiere sind betroffen, und wie viel Blut wird entnommen?

Wir gehen von zehntausenden Stuten allein in Uruguay aus. Aber es gibt keine offiziellen Zahlen. Das ganze Geschäft ist unreguliert. Die uruguayischen Behörden haben überhaupt keine Kontrolle über das Geschäft. Im Gespräch mit uns haben sie zugegeben, dass es sich hierbei um eine Grauzone handelt, dass es keine Gesetze gibt und deshalb auch keine Kontrollen.

Wie ist das in Europa?

Soweit wir wissen, wird PMSG in Europa nicht produziert. Bis 2013 gab es in Holland noch eine Produktion, aber ein Zeitungsartikel, der das publik machte, führte zu einem Aufruhr  und die betroffene Firma MSD verlagerte die gesamte Produktion nach Uruguay und Chile.

Es liegt nahe, dass viele Menschen sich über die massive Blutentnahme bei Stuten empören und sie als moralisch verwerflich bezeichnen, aber ist sie auch illegal?

Man kann PMSG unseres Erachtens nicht artgerecht produzieren. Der Zeitraum für die Blutentnahme zum Zwecke der PMSG-Gewinnung ist zu kurz. Es werden einmal in der Woche bis zu zehn Liter Blut entnommen. Die Pferde in Südamerika sind klein, sie haben etwa 40 Liter Blut. Das bedeutet, ihnen wird zwei bis drei Monate lang allwöchentlich 25 Prozent des Gesamtvolumens ihres Blutes abgenommen. Da werden die Tiere selbstverständlich anämisch, schwach, krank. Wir haben auf den Weiden abgemagerte Stuten gesehen, sogar Knochen und Stutenschädel. PMSG-Produktion geht einfach nicht tiergerecht.

Wer kauft das Serum?

Die Nachfrage kommt vor allem aus Europa. Europäische Firmen kaufen entweder das Plasma oder das fertige Pulver. Die größten Importeure von Stutenserum aus Uruguay und Argentinien sind MSD Animal Health, Ceva in Frankreich, IDT in Deutschland und Hipra in Spanien.

Das heißt, die Produktion wie die Auswirkungen von PMSG sind gleichermaßen problematisch?

Ja. Nicht nur die Stuten leiden, auch die Schweine. PMSG hat nämlich Nebenwirkungen. So kann es zu immunologischen oder allergischen Reaktionen kommen, die für die Schweine sogar lebensgefährlich werden können. PMSG führt auch zu Superovulation, das bedeutet größere Würfe. Wenn aber Schweine mehr Ferkel haben als Zitzen, dann sterben oft die Ferkel oder werden sogar getötet. Wir wissen, dass die Mortalität in den Schweinefabriken zunimmt.

PMSG ist also ein wichtiger Baustein in der industriellen Massentierhaltung. Was sagte die Europäsche Kommission bei Ihrem Besuch dazu?

Der EU-Kommissar Vytenis Andriukaitis (zuständig für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit) hat sich gegenüber unserer Delegation betroffen gezeigt. Er hat unseren Bericht zu dem Thema entgegengenommen, wollte sich aber nicht auf irgendwelche Maßnahmen festlegen.

War er vorbereitet?

Doch, doch. Er wusste, was PMSG ist. Aber die Kommission ist nicht begeistert von einem Importstopp, wie wir ihn fordern. Bei anderen unserer Vorschläge wie unangekündigte Inspektionen durch die FAO (Welternährungsorganisation) meinten Vertreter der Kommission, sie seien nicht das FBI. Kontrollen befürworteten sie sehr wohl, aber eben in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Regierungen. Die EU-Kommission hat auch erwähnt, sie wolle das Thema in die EU-Mercosur-Verhandlungen einbauen.

In die Verhandlungen einbauen, was soll das konkret heißen?

Nun, sie werden das Thema wohl ansprechen. Die Kommission will sicher auch höhere Tierschutzstandards in den Ländern erreichen. Aber unsere Meinung ist, dass Standards nicht reichen, wenn sie nicht verbindlich sind und es keine gesetzlichen Sanktionen gibt. Und wie will die EU die Umsetzung solcher Standards kontrollieren? Bei der Pferdefleischproduktion klappt es ja auch nicht. Da monieren wir seit Jahren, dass die Produktion miserabel abläuft. Wie soll man das dann bei der Blutproduktion hinbekommen?

Kann das Europäische Parlament etwas tun?

Das EP könnte zumindest nachhaken. Wir haben ein Rechtsgutachten angefordert, um zu sehen, ob wie bei Seehundprodukten auch bei Stutenblut ein Importstopp möglich ist. Statt eines Importstopps könnte man auch über einen Verkaufsstopp nachdenken (um Hürden der Welthandelsorganisation WTO zu umgehen, d. Red.). Wenn der Verkauf und die Anwendung von PMSG in der EU verboten wären, wäre das ausreichend, da PMSG in der EU nicht produziert wird.
Außerdem gibt es eine synthetische Alternative. Das Produkt heißt Peforelin (oder auch Maprelin), wird künstlich hergestellt und hat keine Nebenwirkungen bei Schweinen, also keine Superovulation, keine Pubertätsinduktion, keine allergischen Reaktionen. Das wäre auch für die Schweine die bessere Lösung.

Was ist mit der Synchronisierung beim Abferkeln?

Die bliebe.

Also bedeutet die Anwendung von Peforelin keinen Stopp der industriellen Massenproduktion?

Nein, das nicht.