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Alles fließt…

Sozioökonomische Veränderungen und Klimawandel in Peru

Der Klimawandel wird in den nächsten Jahrzehnten das Leben auf der Erde grundlegend verändern; wie stark, wird davon abhängen, inwieweit es gelingt, den Temperaturanstieg auf einen noch einigermaßen kontrollierbaren Wert zu begrenzen. Allerdings werden die Folgen des Klimawandels regional sehr unterschiedlich zu spüren sein. Eine Region, die wahrscheinlich besonders stark von den Entwicklungen betroffen sein wird, sind die tropischen Andenländer Kolumbien, Ecuador, Peru und Bolivien. Die Auswirkungen des Klimawandels einerseits sowie die Veränderungen in Lebensstilen und Konsumverhalten andererseits bergen erhebliche Risiken und stellen die Länder vor neue Herausforderungen.

Fabian Drenkhan

Peru befindet sich in dem Glück und Dilemma zugleich, dass seine Investitionen und sein ökonomisches Wachstum vorwiegend auf immer noch üppig vorhandenen Primärgütern fußen. Vor allem die Ausbeutung von Mineralien (Anteil an BIP-Veränderung 2015: +15,5 Prozent) und fossilen Brennstoffen (Anteil an BIP-Veränderung 2015: -11,5 Prozent), die jedoch in den letzten zwei Jahren durch den Verfall des Weltmarktpreis stark an Wert verloren haben, aber auch durch Fischereierzeugnisse (Anteil an BIP-Veränderung 2015: +15,9 Prozent), haben Peru zu einer der am stärksten wachsenden Ökonomien (2005-2014: +6,1 Prozent pro Jahr BIP-Veränderung) Lateinamerikas verholfen.

Diese Entwicklung birgt zugleich sehr hohe Risiken mit enormen sozialen und ökologischen Kosten, wie diverse soziale Konflikte der Vergangenheit (z. B. Conga, Tía María, Espinar oder Camisea) gezeigt haben. Der monatlich aktualisierte Report der Defensoría del Pueblo (Ombudsstelle für Menschenrechte) in Lima beziffert für März 2016 insgesamt 146 aktive Konflikte im Land, von denen 113 (79,0 Prozent) sozial-ökologischer Natur sind und alleine dem Minen-Sektor 73 (64,6 Prozent), fossilen Brennstoff-Sektor 14 (12,4 Prozent) und Energie-Sektor 10 (8,8 Prozent) Fälle zugerechnet werden. Diese statistischen Werte haben sich in den letzten Monaten und Jahren kaum verändert und zeigen somit das hohe anhaltende Konfliktpotenzial, das zunehmend den Staatsapparat und seine Regionalen Verwaltungen herausfordert und deren Legitimität in Frage stellt.

In diesem Zusammenhang interessant ist, die Ergebnisse der am 10.04.2016 durchgeführten Präsidentschaftswahl in Peru zu analysieren. Der noch amtierende ursprünglich aus dem linken Lager stammende Präsident Ollanta Humala hat zuletzt wenig Rückhalts gehabt. Darüberhinaus bestehen hohe Vorbehalte im peruanischen Mainstream gegenüber linker, teilweise sogar nur sozialdemokratischer Ideen, die schnell als senderistas (Anhänger des Leuchtenden Pfads) oder narcoterroristas (Drogenterroristen) diffamiert werden oder einfach nur Randerscheinungen auf dem politischen Parkett Perus darstellen. Trotz alledem hat es das breite Linksbündis Frente Amplio rund um die gerade einmal 35-jährige (Mindestalter für die Präsidentschaftskandidatur) Verónika Mendoza geschafft, mit knapp 19 Prozent aller Stimmen drittstärkste Kraft zu werden. Ihr Bündnis hat vor allem in dem von Minen-Großprojekten betroffenen Süden Perus starke Gewinne einfahren können. Die breite Zustimmung in diesen Regionen wurde in diesem Fall nicht einfach nur durch einen Antiminen- und/oder Antinvestitionsdiskurs (wie ihn zum Beispiel Gregorio Santos aus Cajamarca im Präsidentschaftswahlkampf geführt hat) errungen, sondern auch durch neue Impulse zu Nachhaltiger Entwicklung, Fokussierung auf anderen Wirtschaftszweigen und Kritik hinsichtlich des aktuellen Extraktionsmodells erzielt.

Ein erheblicher Teil der sozialen Konflikte in Peru ist mit der ungleichen Verteilung und möglichen Verringerung der Quantität und Qualität von Wasserressourcen verknüpft. Während Dispute um die Qualität ebenfalls stark mit Extraktionsprojekten verknüpft sind, ist die Problematik der Quantität meist anderer Natur. Peru verfügt mit über 60 000 Kubikmeter pro Kopf und Jahr über die relativ größten erneuerbaren Süßwasservorkommen in Lateinamerika, aber ihre natürliche Verteilung ist äußerst disparat: während rund zwei Drittel der Bevölkerung (etwa 20 Millionen Einwohner) an der trockenen Pazifikküste von nur 2‘000 Kubikmeter pro Kopf und Jahr leben und damit am Rande des von den UN definierten Wasserstress-Niveaus liegen, sind für die auf der anderen Seite der Anden liegenden Regenwaldgebiete bis zu 200 000 Kubikmeter pro Kopf und Jahr vorhanden. Während also viele Menschen an Perus Küste mit permanentem Mangel an Wasser für Konsum und Hygiene zu kämpfen haben, müssen sich im Gegenzug viele Einwohner im Osten Perus vor zu viel Wasser und damit verbundene Naturgefahren schützen.

Über die Auswirkungen von Veränderungen in der Landnutzung und der Wasserverteilung hinaus, spielt hier der Klimawandel zunehmend eine wichtige Rolle. Während die Erwärmung der Lufttemperatur im Durchschnitt 0,13°C pro Dekade in den letzten sechzig Jahren in den tropischen Anden zugenommen hat, sind die Veränderungen von anderen klimatischen Faktoren wie Niederschlag, Luftfeuchtigkeit, etc. nicht so einfach zu messen und verstehen. Mit den Veränderungen der globalen Zirkulationsmuster, scheint es in Peru eine Tendenz von mehr Feuchtigkeit im Norden (= innere Tropen) und zunehmender Trockenheit im Süden (=äußere und Subtropen) zu etablieren. Es bleiben aber viele Unsicherheiten, auch aufgrund der geringen Messstationsdichte und komplexen Topographie und klimatischen Bedingungen in der Region. Etwa 70 Prozent (ca. 1100 km²) aller tropischen Gletscherflächen liegen in Peru und diese sind – vor allem der globalen Erwärmung verzögernd folgend – in den letzten 40 Jahren um rund 43 Prozent abgeschmolzen, was auch hydrologische Veränderungen mit sich bringt. Zum einen ist auf lange Sicht hin ein Rückgang des Abflusses, vor allem in der von Mai bis Oktober dauernden Trockenzeit und den stark vergletscherten Einzugsgebieten flussaufwärts zu erwarten. Zum anderen könnte die Abflussvariabilität im Jahresgang zunehmen, die sich durch immer kleinere Gletscher zunehmend an die hohe Niederschlagsvariabilität angleicht.

Zusammenfassend gesagt, bedeuten beide wahrscheinlichen Entwicklungen, dass zumindest in bestimmten Perioden des Jahres und Regionen ein geringerer und insgesamt unregelmäßiger Abfluss erhebliche Risiken für die lokale Bevölkerung, Landwirtschaft, Wasserkraft und andere Sektoren in den Anden und an der trockenen Pazifikküste darstellt. Schon heute werden rund 62 Prozent (ca. 200 Mio. Kubikmeter pro Jahr) aller Wasserressourcen für die 10-Millionen-Metropole Lima von den Zentralen Anden über ein komplexes See-Leitungs-Tunnel-System künstlich zur Wasserscheide die Pazifikküste hinuntergeleitet. Anhaltender Bevölkerungswachstum, ineffizienter Wasserverbrauch und inadäquate Infrastruktur (etwa 30-40 Prozent des gesamten „Verbrauchs“ gehen durch Lecke und Diebstahl verloren), sowie wasserintensive Lebensstile, vor allem in den Vierteln der Mittel- und Oberklasse (rund 250 Liter pro Tag verbraucht einE EinwohnerIn Limas gegenüber nur durchschnittlich 120 Liter pro Tag und Kopf in Deutschland), führen zu einem immer höheren Bedarf an Wasser und ausreichenden Reservoiren. In diesem Zusammenhang führen zunehmend technische Lösungen, wie die der Aufstauung und künstlichen Umleitung von Wasserressourcen, zu lokalen Konflikten. Den größten Konsumenten in Peru stellt allerdings die Landwirtschaft dar, die rund 80 Prozent des verfügbaren Wasseraufkommens verbraucht und insgesamt um etwa 33 Prozent an Fläche in den letzten 20 Jahren gewachsen ist. Während der traditionelle Trockenfeldbau in den Anden kaum gewachsen oder sogar zurückgegangen sind, ist im gleichen Zeitraum vor allem der Bewässerungsfeldbau an der Pazifikküste expandiert. Letzterer ist oft Teil bedeutender nationaler und transnationaler Investitionen, die den großparzelligen Anbau wasserintensiver Pflanzen, wie Reis, Spargel, Zuckerrohr und Mais propagieren (zum Beispiel Chavimochic in La Libertad) und damit den Export von virtuellem Wasser (von einer wasserarmen Region in oft wasserreiche Regionen Europas, Nordamerikas, etc.) fördern. Ein weiterer Sektor hängt ebenfalls stark von einem zuverlässigen Mindestabfluss aus den Anden ab: die Wasserkraft. Rund 48 Prozent (21600 GWh) der Stromproduktion in Peru stammt direkt aus Hydroenergie. Als Antwort auf die stark wachsende Energienachfrage von derzeit über 5 Prozent pro Jahr im Land, werden neue Wasserkraftwerke gebaut und alte erweitert. Diese Entwicklung verläuft teilweise konträr zur oben genanntrn Sorge um einen weniger und schlechter berechenbaren Wasserabfluss in den vielen aus Gletschergebieten stammenden Flusstälern. Daher ist eine der derzeitigen Anpassungsstrategien, in den andinen Gebieten weitere Seen aufzustauen, was dort, wie bereits bemerkt, für sozialen und auch ökologischen Zündstoff sorgt.

Während also starke sozioökonomische, Lebensstil- und Konsumveränderungen das von Wachstum gekennzeichnete Peru verändern und bestimmte Risiken bergen, tut der globale Klimawandel sein Übriges dazu. Und genau darum geht es in einem aktuell laufenden Präzedenzfall eines David gegen einen Goliath. Bei der vorletzten UN-Klimakonferenz COP20 in Lima, die v. a. zum Ziel hatte, einen Post-Kyoto-Entwurf zu verabschieden, schloss der peruanische Bergführer und Kleinbauer aus Huaraz (Cordillera Blanca, Ancash), Saúl Lliuya, Kontakt mit der NGO Germanwatch. Letztendlich führte diese Begegnung zu dem kühnen Schritt, als einzelner Betroffener konkreter Risiken des Klimawandels den global player RWE auf Schadensersatz zu verklagen. Die Argumentation ist, dass RWE als größter CO2-Einzelemittent Europas für etwa 0,47 Prozent der seit der Industrialisierung freigesetzten globalen Treibhausgase direkt verantwortlich ist und damit eben auch diesen Anteil für die direkte Beseitigung der für Lliuya und sein Dorf entstandenen Risiken übernehmen solle. Gemeint ist die Situation des weltweit in die Schlagzeilen geratenen Gletschersees Palcacocha im Cojup-Tal oberhalb der Stadt Huaraz‘. Der vor allem durch die starke Gletscherschmelze zuletzt auf das 35-fache gegenüber 1970 angewachsene See, war bereits gegen Ende des Jahres 1941 durch ein vom darüber liegenden Gletscher abgebrochenes Eisfragment und unmittelbare Druckerzeugung auf die Außenmoränenwand ausgebrochen. Damals kamen durch die das Tal hinuntergleitende Schlammlawine etwa 5000 Menschen in Huaraz ums Leben. Jüngste Berechnungen haben ergeben, dass der heutige Schaden für die auf 130 000 Einwohner angewachsene Andenstadt weitaus höher sein könnte. Obwohl bereits erste Maßnahmen zur künstlichen Senkung des Seespiegels um mehrere Meter getroffen worden sind, ist die eigentliche Gefahr nicht gebannt und hier setzt Saúl Lliuya an. Eine komplette Stabilisierung des Palcacocha-Damms könnte bis zu 3,5 Mio. Euro kosten und RWE solle demnach für wenigstens das genannte halbe Prozent aufkommen, rund 16 500 Euro. Nachdem RWE im April 2015 jegliche rechtliche Grundlage der Argumentation Lliuyas zurückwies, wurde am 24 November 2015 Klage beim Landgericht Essen eingereicht. Diese konnte auch als Signalwirkung für die kurz darauf stattfindende COP21 in Paris verstanden werden, die schließlich zu dem „Paris-Abkommen“ (Post-Kyoto-Protokoll) führte und neben dem Erderwärmungs-Begrenzungsziel unter 2°C gegenüber vorindustriellen Werten auch Prinzipien zu Verlust und Schaden durch den Klimawandel mit einbezogen hat, auf die sich Lliuya nun bezieht.

Immerhin hat das Amtsgericht Essen seiner Klage am 22. Dezember 2015 stattgegeben, es ist aber mit einem langwierigen und schwierigen Verfahren zu rechnen. Unabhängig davon, wie hoch Saúl Lliuyas Chancen am Ende stehen, Symbolwirkung und damit zumindest die breite Aufmerksamkeit gewonnen hat sein Präzedenzfall bereits jetzt schon. Der Fall könnte mit dazu beitragen, Prinzipien der Klimagerechtigkeit für zunehmend vom Klimawandel betroffene Regionen wie Peru zu fokussieren und in die politische Agenda einzubeziehen.

Der Autor ist Dozent an der Pontificia Universidad Católica del Perú, Lima sowie Mitarbeiter im Proyecto Glaciares+ Perú (Universität Zürich)