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Verdammter Bullensohn

Interview mit der argentinischen Rapperin Sara Hebe

Ihre Texte sind eloquent, pointiert, voller Wortspiele und bissiger Kritik. Sie bezieht Stellung gegen Monsanto, Megabergbauprojekte oder die Räumung von Wohnprojekten. Die heute 32-jährige Sara Hebe schrieb ihre ersten Raptexte und -lieder im Rahmen eines Theaterprojekts, und dem Genre Hiphop näherte sie sich über das Tanzen an. Das passt, schließlich sagt sie über sich selbst, dass sie „eher aus dem Bauch heraus“ agiere. Ihre Raps sind politische Kommentare, aber sie selbst weist darauf hin, dass es ihr einfach ein persönliches Bedürfnis sei, bestimmte Kämpfe zu begleiten. Dahinter stecke keine bestimmte politische Richtung, aber vielleicht hätte das auch mit der neoliberalen Leere der 90er-Jahre zu tun, in der sie groß geworden ist. Nach der Wirtschaftskrise 2000/2001 spielte sie in einem Theaterstück über die besetzte Druckerei Patricios in Buenos Aires mit. Bei diesem Stück führte der argentinische Theatermacher Norman Briski Regie. „Am Schluss gab es ein Lied mit einem wunderbaren Text, der zusammen mit den beteiligten ArbeiterInnen und ihren Familien entwickelt worden war: Himno de nuestras fábricas recuperadas (Hymne unserer besetzten Fabriken). Als ich diesen Text las, bekam ich Lust, ihn zu rappen“, erzählt Sara vor ihrem Auftritt in Köln im Sommer 2015.

Britt Weyde

Dein Weg zum Rap scheint durch einen Zufall befördert worden zu sein, oder?

Nichts ist zufällig, alles hat seine Gründe. Schon als kleines Mädchen sang und tanzte ich gerne und veranstaltete zusammen mit FreundInnen Konzerte, inklusive Verlosungen und anderem. Ich ging zu allen Tanzkursen, die es gab, ich verkleidete mich und erzählte von meinem großen Traum, auf Tour mit meiner Show zu gehen. Dieses Spiel wurde später Ernst. Ich spiele zwar kein Instrumente und stamme aus keiner Musikerfamilie, aber ich wollte schon immer was mit Musik machen. Allerdings bezeichne ich mich selbst weder als Sängerin noch als Schauspielerin oder Tänzerin. Nach der Schule begann ich mit einem Jurastudium, weil ich mich für andere, weniger Privilegierte einsetzen wollte. Aber dann kam dieses Theaterstück und mir wurde klar, dass das Rappen mein heimlicher Wunsch war und ich nichts Anderes machen wollte. Da kam einiges zusammen, mit Musik können ja auch Kämpfe begleitet oder Dinge kommuniziert werden.

Wie wirst du von den argentinischen Medien aufgenommen?

Sehr gut. Da habe ich Glück. Mein Produzent und Mitmusiker Ramiro Jota (der bei Liveauftritten Gitarre und Bass spielt, Samples bedient und singt, d. Red.) und ich haben jetzt drei Platten herausgebracht, die erste, La hija del loco, mit der ich noch als Solistin unterwegs war, kam 2009 heraus und mittlerweile sind wir so bekannt, dass wir auch ins Fernsehen eingeladen werden oder dass in Radios wie Radio Rock Nacional unsere Stücke laufen. Das Community Radio FM La Tribu hat von Anfang unsere Sachen gespielt. Dort habe ich ein Jahr lang ein Programm gemacht namens La mar en coche:1 Darin habe ich improvisiert und die Nachrichten des Tages gerappt.

In der argentinischen Presse wirst du als „wütende Frau“ dargestellt. Deine Auftritte sind energiegeladen, aber als wütend würde ich sie nicht bezeichnen. Siehst du dich selbst als wütende Person?

Ja. Ich werde schnell sauer. Ich rege mich schnell auf, bin nicht besonders geduldig.

Also eine Frage des Temperaments! Lässt du die Wut dann in die Texte fließen?

Ja, und dafür braucht man leider viel Geduld! Sich hinsetzen, den Text schreiben, die Wörter finden, Dinge, die mir draußen begegnen, aufschreiben, mit anderen Elementen anordnen. Einige Texte entstehen in einer Nacht, während

ich die Musik höre. Ramiro schickt mir die musikalische Grundlage und ich schreib dann für mich alleine den Text oder gehe ins Studio und improvisiere auf die Musik. Für andere Texte wiederum brauche ich sehr lange.

Was sind eure musikalischen Inspirationsquellen? Wie ist deine eigene musikalische Biografie verlaufen?

Ich stamme aus der Provinz Chubut in Patagonien und da es zu meiner Teenagerzeit noch kein Internet gab, hörte ich einfach alles, was bei uns ankam. Argentinien ist ein sehr zentralistisches Land und Buenos Aires war sehr weit weg. Ich hörte also alles, was im Radio lief, mir gefiel vor allem Rockmusik. Cumbia läuft viel in unserer Stadt, aber auch die Murga (die Gesänge und der Rhythmus, die an Karneval Politik und Gesellschaft kommentieren) gefällt mir sehr gut und die mische ich mit Cumbia-Elementen. Ich komme nicht rein vom Hiphop. Natürlich hörte ich früher Actitud María Marta, eine argentinische Frauen-Hiphop-Combo, die einen Pionierstatus haben. Aber mein Musikgeschmack ist sehr breit gefächert. Bei La vida no haben wir zum Beispiel eine orientalisch klingende Musik. Ich hatte ein Textfragment geschrieben, ging in Ramiros Studio, machte eine Aufnahme vom Rap. Er hatte dann diese Musik schon vorproduziert und es passte hervorragend zusammen. Ramiro hatte zu diesem Zeitpunkt viel indische Musik gehört, von daher dieser orientalische Einschlag.

Noch mal zurück zur Wut: Es gibt vieles, was einen wütend machen kann. Was ruft in dir die größte Wut hervor?

Was alles so passiert, in der Stadt, auf der Welt und in unserem Land, das ruft vielmehr Traurigkeit und Schmerz in mir hervor. Die Wut kommt erst danach. Alle Ungerechtigkeiten sind so schmerzhaft und traurig. In Argentinien haben wir zwar gerade akut keine Krise, aber es geht denselben Leuten wie immer schlecht. Griechenland befindet sich gerade in einer schweren Krise, was ich unglaublich finde, dass so etwas passieren kann, wie es einer Gruppe von Mächtigen so scheißegal sein kann, dass ein ganzes Land verhungert! Das macht mich zutiefst traurig. Gut, die Wut entfaltet sich dann in den Songtexten oder wenn ich mich auf der Straße mit jemandem anlege oder wenn mir irgendwelche bescheuerten Typen auf die Nerven gehen. Wir müssten die Wut besser organisieren, aber das passiert leider nicht. Die Wut kollektiv organisieren, das fehlt gerade, eine starke Bewegung, damit die Leute nicht mehr ökonomisch beherrscht werden können. Aber es ist auch echt schwierig, denn der Repressionsapparat ist so gewaltig und schlägt beim ersten Mucks los. In Buenos Aires ist schon wieder eine rechte Stadtregierung gewählt worden, die einfach nur fürchterlich ist, unter der PRO-Partei von Mauricio Macri. Sie bekommt immer mehr UnterstützerInnen oder sie tut zumindest so als ob. Die politischen Aussichten sind meiner Meinung nach ziemlich beschissen.

In einem deiner Songs fasst du im Text ganz viel und ziemlich genial zusammen, was schlecht läuft auf der Welt: Cacho. Weißt du noch, vor welchem Hintergrund du diesen Text geschrieben hast?

Dafür habe ich ewig gebraucht, das ist ja auch ein langer Text, und ich wollte darin alles aufzeichnen, was in diesem kapitalistischen System, in dem wir leben, alles passiert. Der Sample, den Ramiro dazu produziert hat, stammt aus einem berühmten argentinischen Film, Esperando la Carosa, und ist ziemlich genial. Der Text ist nicht besonders geplant entstanden, er beginnt mit dem hijo de puta („Hurensohn“) und endet mit dem hijo de yuta – yuta sagt man in Argentinien zum Polizisten, also „Bullensohn“ Ich finde, der yuta ist viel schlimmer als die puta, denn das ist ein Ausdruck, der Frauen herabwürdigt. Dieses Schimpfwort – hijo de puta – werden wir vielleicht nie ersetzen können, aber das war zumindest mal ein praktischer Versuch von mir, die Sprache zu verändern: hijo de yuta statt hijo de puta! Ein winziger Versuch, die Sprache, den Diskurs und somit die Realität zu verändern.

Hiphop in Argentinien ist nicht besonders Mainstream, oder?

Mittlerweile gibt es schon eine Menge guter Bands und Jungs und Mädels, die rappen. Wen ich auf jeden Fall empfehlen kann, das ist der Rapper Asterisco, der einen sehr politischen, kämpferischen Rap macht. Seine Texte sind sehr lyrisch und gleichzeitig wie eine Reportage. Meine Poesie ist eher wie ein Rhizom, ein Wurzelgeflecht. Es gibt schon einige ziemlich gute Leute in Argentinien, aber die Hiphopszene ist in Ländern wie Kolumbien, Venezuela oder auch Mexiko auf alle Fälle größer. Weil Argentinien immer stärker von Europa beeinflusst war, dominierte bei uns lange die Rockmusik.

Kannst du von der Musik leben?

Bis vor kurzem machte ich noch andere Jobs, Gelegenheitsjobs wie Babysitten etc., aber im Moment mache ich nur Musik, was mir ziemlich luxuriös erscheint.

Mit wem würdest du gerne mal eine Tour machen?

Gerade sind wir hier zusammen mit den Kumbia Queers unterwegs, was wirklich toll ist. Hmm, und sonst? Mir gefällt Keny Arkana sehr gut, aber auch La Mala Rodríguez, das wären schon mal zwei sehr unterschiedliche Kandidatinnen, aber mir gefallen nun mal die starken Gegensätze. Ich mag auch Cristián Álvarez, ein argentinischer Rockmusiker, dessen Bands immer schon leichte Hiphopanklänge hatten, die Viejas Locas oder die Intoxicados. Salvaje Decibel ist eine exzellente Hiphopband aus Chile und natürlich Ana Tijoux, die liebe ich. Das wäre ein Traum, mit ihr die Bühne zu teilen.
Im Moment ist uns wichtig, unsere letzte Platte zu präsentieren: Colectivo Vacío ist noch ziemlich frisch, vor zwei Monaten herausgekommen, nach drei Jahren Arbeit! Hoffentlich dauert es nicht wieder drei Jahre, bis das nächste Album fertig ist. Aber unsere erste Europatour diesen Sommer war super und ich hoffe, wir sehen uns nächstes Jahr wieder!

  • 1. spanische Redewendung vom Anfang des 20. Jahrhunderts: Wer sich leisten konnte, „mit dem Auto ans Meer zu fahren“, war sehr reich. Heutzutage bezogen auf etwas überzogene Wünsche – alles haben wollen – oder am Ende einer Aufzählung gebräuchlich.

Das Interview führte Britt Weyde am 24. Juli 2015 in Köln.