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Das Land ist weg

Neuer Dokumentarfilm „1.5 – Stay Alive“ über Folgen des Klimawandels in der Karibik
Laura Held

Am 11. Juni 2015 präsentierten Tilman Altenburg, Wissenschaftler am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, und der in Barcelona lebende Regisseur Lucian Segura in Bonn ihren Dokumentarfilm über die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf Mensch und Umwelt in der Karibik (u.a. in Belize, Haiti, New Orleans, Florida). Bei der Vorstellung erzählten sie, dass der Film der Versuch sei, die sattsam bekannten Fakten über den Klimawandel und die Folgen – Erderwärmung, mehr Hurrikane, Inselländer verschwinden, Klimaveränderungen im großen Stil – nicht zum x-ten Mal zu wiederholen, sondern sie mithilfe einheimischer MusikerInnen aus der Karibik emotional zu servieren. Die Fakten werden kurz, allgemeinverständlich und auf konkrete Orte (die Karibik) bezogen von einheimischen ForscherInnen erklärt, großartige Naturbilder der Inselstaaten, von Mensch und Meer, werden gezeigt, hinzu kommen einige wenige Comics und vor allem gibt es sehr viel Musik, die überwiegend für den Film geschrieben und komponiert wurde.

Der Film soll dazu dienen, mehr Menschen zur Änderung ihrer Haltung und ihrer Handlungen zu bewegen. Viele Menschen in Ländern wie Deutschland, Frankreich, USA, Australien wissen um die Folgen und finden Umweltschutz wichtig. Nur tun sie nicht besonders viel. Vor allem wählen sie immer weiter diejenigen PolitikerInnen, die sich gerade nicht für langfristige Ziele wie effektiven Umweltschutz und Kampf gegen den Klimawandel einsetzen. Da die Vorhersage von Klimaveränderungen langfristig schwierig ist, weil viele Faktoren eine Rolle spielen und die heutigen Folgen bereits vor 50 bis 80 Jahren verursacht wurden, eventuelle Änderungen der heutigen Klimapolitik aber erst in 20 bis 50 Jahren Auswirkungen haben werden, ist es für viele nur allzu leicht, zur „Hab-ich-nichts-mit-zu-tun“-Haltung zurückzukehren beziehungsweise bei der „Ich-kann-ja-doch-nichts-tun“-Haltung zu bleiben.

Der Titel des Films „1.5 – Stay alive“ bezieht sich auf das sogenannte „Zwei-Grad-Ziel“ der internationalen Politik, das zuletzt wieder einmal beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs der G7-Länder in Elmau bestätigt wurde. Gemeint ist mit dem Zwei-Grad-Ziel, dass die globale Erwärmung auf weniger als zwei Grad Celsius gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung begrenzt werden soll. Da die Erderwärmung seit Beginn der Industrialisierung (ca. 1850) bereits etwa 0,8 Grad beträgt, verbleiben nur noch 1,2 Grad, um das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten. Um dies zu erreichen, müssten unter anderem die weltweiten Treibhausgasemissionen im Vergleich zu denen im Jahr 1990 bis 2050 um mindestens 50 Prozent sinken, in den Industrieländern um 80 bis 95 Prozent. Trotz aller Beteuerungen von PolitikerInnen Deutschlands, der EU und der Mitglieder der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen sind die Aussichten nicht gut. Im Titel des Films heißt es nun „1.5“, weil indigene Völker und besonders Inselstaaten das Zwei-Grad-Ziel für unzureichend halten und eine Verschärfung auf mindestens 1,5 Grad fordern. Die Beschränkung auf 1,5 Grad ist nötig, um eine 50-prozentige Überlebenschance in der Karibik in den nächsten Jahrzehnten zu gewährleisten. Korallenriffe können schon bei 1,5 Grad Celsius Erwärmung nicht überleben. Ihr bereits begonnenes Absterben hat weitreichende Folgen für Biodiversität, Fischbestände und Küstenschutz – und für die Zukunft der Menschen, die auf den Inseln und entlang der Küsten der Karibik leben.

Da der Film über ein sehr geringes Budget verfügte, nur mit viel ehrenamtlicher Arbeit zu realisieren war und auch kaum Mittel für Werbung vorhanden sind, steht er auf Youtube zu freien Verfügung. Die Hoffnung ist, dass er in der Karibik und überall auf der Welt in Schulen, bei Fortbildungen und Diskussionen eingesetzt wird. In Belize ist das schon geplant.
Der Film ist ausschließlich in Englisch und gleichzeitig auch auf Englisch untertitelt. Er ist auch für diejenigen gedreht worden, deren Muttersprache nicht Englisch ist. Sehr beeindruckend ist, wie die Garifunagemeinde in Belize ihr Leben, den zunehmenden Verlust von Fischbeständen, Korallenriffen und den steigenden Meeresspiegel musikalisch verarbeiten, oder wie die Nachkommen der Indigenen in den Everglades in Florida deren zunehmende Versalzung beschreiben, wie ein US-Wissenschaftler angesichts der Folgen der Erderwärmung in Miami und der unzureichenden neuen Pumpen klare Worte findet, wie in Haiti die Slums und Baracken gezeigt werden und eine Politikerin die Unmöglichkeit feststellt, angesichts des aktuellen Zustands auch noch auf die nicht selbstverursachte Klimaveränderung und deren Folgen für die Bevölkerung richtig zu reagieren. Und dennoch: Dank der Farben, der Aufnahmen von der Karibik, der Musik und der DarstellerInnen ist es ein schöner und heiterer Film, wobei die Grundaussage mehr als düster bleibt.

In der Diskussion, die sich an die Filmpräsentation anschloss, fragte jemand die anwesenden Klimaspezialistinnen, unter anderem Carlos Fuller (Vertreter des Caribbean Community Climate Change Centre) aus Belize und Rueanna Haynes (UN-Repräsentantin von Trinidad und Tobago) – beide spielen auch in dem Film mit und befanden sich zur Vorbereitung der Pariser UN-Klimakonferenz im kommenden Dezember in Bonn – wieso sie denn noch auf die Konferenz in Paris hofften und ihre Forderungen dort artikulierten. Es werde doch wieder nichts passieren. Nach Rio 1992 habe es eine Chance gegeben, aber heute? „Wir wissen nicht, ob es reichen wird, was wir tun, aber wir müssen es versuchen“, lautete die Antwort. „Unsere Länder sind davon abhängig, dass sich die Industriestaaten bewegen.“