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Fragen über Fragen

Die Manöver der rechten Opposition, der Medien und des Geheimdienstes im Fall Nisman

Am 18. Januar wurde der argentinische Staatsanwalt Alberto Nisman erschossen in seiner Wohnung in Buenos Aires aufgefunden. Noch immer ist nicht ganz klar, ob er Suizid begangen hat oder getötet wurde. Nisman hatte unmittelbar davor Anklage gegen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner (CFK), Außenminister Timerman und weitere Politiker aus dem Regierungslager erhoben, wegen angeblicher Vertuschungsversuche bei der Aufklärung des Attentats gegen das jüdische Gemeindezentrum AMIA, bei dem 1994 85 Personen getötet und über 300 verletzt worden waren (vgl. ila 382).

Alicia Rivero

Am 26. Februar 2015 wies der zuständige Bundesrichter Daniel Rafecas die Anklage Alberto Nismans gegen die Präsidentin und den Außenminister zurück, weil kein Straftatbestand vorlgelegen habe. Rafecas' akribische Urteilsbegründung ist 80 Seiten lang. Zuerst verneint er die zwei zentralen Elemente der Anklage, nämlich die angebliche Aufhebung der internationalen Haftbefehle gegen sechs iranische Staatsbürger und die Unterzeichnung des Abkommens zwischen Argentinien und Iran (2013). Im Urteil heißt es, dass in der Anklage ohne einen einzigen Beweis 15 Mal behauptet werde, die argentinische Regierung habe versucht, die internationalen Haftbefehle aufzuheben. Bundesrichter Rafecas belegt dagegen, dass der argentinische Außenminister Timerman immer wieder auf die Nichtaufhebung der Haftbefehle bestanden hat. Dies hatten auch andere renommierte argentinische JuristInnen bestätigt.
Bezüglich des Abkommens mit dem Iran argumentiert Rafecas, dass es nie in Kraft getreten sei und die darin vorgeschlagene Wahrheitskommission nie eingerichtet wurde, weshalb sie auch keine juristischen Folgen hatte.
Die Regierung war von dem Urteil eher überrascht, denn Richter Rafecas gilt nicht gerade als Sympathisant der Regierungspartei, die gegen ihn im Dezember 2013 in einem anderen Fall eine Anklage beim Richterrat (Consejo de la Magistratura) eingereicht hat.
Rafecas Urteil weist alle Bestandteile der Anklage zurück. Das Urteil enthüllt zudem, dass es zwei weitere Texte von Alberto Nisman gab, die in seiner eigenen Staatsanwaltschaft (Unidad Fiscal AMIA) unter Verschluss gehalten wurden (beide von ihm im Dezember 2014 und Januar 2015 revidiert und unterschrieben). Die Texte wurden von Soledad Castro, der Sekretärin von Nismans Staatsanwaltschaft, an Rafecas übergeben. In diesen Texten behauptet Nisman genau das Gegenteil von dem, was er im Januar in seiner Anklage (dem dritten Text) gegen CFK formulierte. Dort steht u.a., dass es "das zentrale Ziel der Justiz, der Familien der [AMIA-]Opfer und der Regierung Argentiniens war, die Festnahme der Beschuldigten zu erreichen zum Zwecke des Klageverfahrens". Nisman ging darin noch weiter und hob alle Redebeiträge von Néstor und Cristina Kirchner vor der UNO hervor, bei denen sie für die Aufklärung des AMIA-Falles plädierten und an den Iran appelliert hatten, dies zu untersützen.
Offensichtlich verfolgte Nisman zwei verschiedene, schizophrene Strategien. Die beiden Texte, in denen die Regierung gut dasteht, waren an die argentinische Regierung adressiert. Sie sollten bei der UNO eingereicht werden, damit der Sicherheitsrat den Iran zwinge, die Angeklagten auszuliefern. Aus welchem Grund auch immer entschied sich Alberto Nisman, diese Texte nicht vorzulegen, sondern die RegierungKirchner anzuklagen.

Staatsanwalt Gerardo Pollicita hat am 4. März Einspruch gegen das Urteil von Rafecas eingelegt. Zuständig ist nun zunächst Staatsanwalt Germán Moldes1, der Chef der Staatsanwältin Viviana Fein, die den Tod Nismans untersucht.
Dass er nun offiziell in das Verfahren involviert ist, hielt Moldes nicht davon ab, am 18. Februar eine Demonstration mitzuorganisieren, die als Hommage an den toten Nisman angekündigt wurde. Erstaunlich ist, dass die Organisatoren - sechs Staatsanwälte - Gerechtigkeit forderten. Einige dieser Staatsanwälte werden öffentlich von AMIA-Opferorganisationen infrage gestellt, weil sie die Untersuchung des AMIA-Falles behindert haben sollen. Manche unter ihnen haben gute Beziehungen zu Repressoren der Militärdiktatur. Allen ist gemeinsam, dass sie sich jeglichen Reform- und Demokratisierungsversuchen des Justizapparates widersetzten, die die Regierung in den letzten Monaten initiiert hatte.
Letztendlich war die Massendemonstration am 18. Februar eine Kundgebung der Opposition, die mit Verschwörungstheorien im Fall Nisman die Regierung unter Druck setzen wollten. Die übereifrigsten DemonstrantInnen riefen: Cristina asesina! ("Cristina Mörderin") Viele trugen Schilder mit dem Spruch "Ich bin Nisman". Ob sie auch jetzt noch dazu stehen würden, nachdem immer weitere pikante Details aus Nismans Leben bekannt werden und vieles darauf hindeutet, dass er korrupt war, ist fraglich. Derzeit wird aufgund einer Aussage von Nismans Schwester untersucht, ob er zusammen mit seinem zweifelhaften Vertrauensmann, dem Informatiker Largomasino, ein Auslandskonto unterhielt.
Staatsanwalt Germán Moldes warf am 24. Februar der Prozessvertreterin der Regierung (Procuradora del Tesoro de la Nación), Angelina Abbona, und zwei weiteren Mitarbeitern Unterschlagung vor, weil sie zuvor eine Schrift zur Verteidigung der Präsidentin eingereicht hatten. Laut Moldes ist es die Aufgabe der Prozessvertreterin, den Staat und nicht die Präsidentin zu verteidigen - er wirft der Prozessvertreterin Veruntreuung öffentlicher Gelder vor. Am 9. März nahm der Bundesstaatsanwalt Ramiro González die Anklage an. Moldes selbst, der eng mit wegen Vertuschung des AMIA-Attentats angeklagten Funktionären der Regierung von Carlos Menem befreundet sein soll, darunter der ehemalige Präsident und der Ex-Sekretär des Geheimdienstes Hugo Anzorreguy, hat bereits angekündigt, dass er die Anklage von Staatsanwalt Pollicita zulassen wird.

Durch Rafecas Urteil vom 26. Februar wurde die Anhörung von Alberto Nisman Exfrau, der Richterin Sandra Arroyo Salgado, um eine Woche verschoben. Am 5. März lud sie als Nebenklägerin im Fall Nisman zu einer Pressekonferenz im Stadtrat von San Isidro ein. Begleitet wurde sie von ihrem Anwalt Germán Carlevaro, dem Kriminalisten Daniel Salcedo und den beiden Pathologen Osvaldo Raffo und Julio Ravioli.
Raffo ist jener Gerichtsmediziner, der 1981 in einem Briefwechsel mit dem Offizier Ramón Camps schrieb, dass die bekannten jüdischen Intellektuellen Jacobo Timerman und Jorge Rubinstein2 nicht gefoltert worden seien, und der 1984 vor dem Obersten Rat der Streitkräfte erklärte, dass die Guerilla und nicht die Polizei folterte.
Auch Salcedo ist nicht weniger vorbelastet als Raffo. Als Leiter der forensischen Polizei der Provinz Buenos Aires beauftragte er die Fraternidad de Agrupaciones Santo Tomás de Aquino (FASTA) mit der Fortbildung seiner Leute, eine Organisation, die die Militärdiktatur von 1976 bis 1983 unterstützt hatte und heute Einspruch gegen die Prozesse wegen der damaligen Verbrechen erhebt.
Der Richterin Arroyo Salgado sagt man eine erhebliche Nähe zum Geheimdienst nach. Sie behauptete, dass Nisman ermordet worden sei, was ihr Team wissenschaftlich bewiesen habe. Des Weiteren erklärte sie, dass Nismans Tod viel früher eintrat als es die Untersuchungen der Staatsanwältin Viviana Fein belegen. Dadurch wird der Informatiker Diego Lagomarsino zum Hauptverdächtigen, weil er vermutlich die Person ist, die den Staatsanwalt zuletzt lebendig gesehen und die Tatwaffe geliefert hat.
Dessen Verteidiger Máximo Rosconi verlangt, dass die Computer, Handys und Telefonate von Nisman eingehender untersucht werden. Ziemlich spät, wie fast alle Maßnahmen in diesem Fall, hatte man mit dieser Untersuchung angefangen, bis die Experten feststellten, dass Nismans Computer noch Sonntagvormittag benutzt worden war.
Kurz darauf gab die zuständige Richterin Fabiana Palmaghini in einer einstweiligen Verfügung dem Antrag von Arroyo Salgado statt, die Ermittlungen gegen sie einzustellen, angeblich, um die Intimität und Privatsphäre ihrer Töchter zu bewahren. Wahrscheinlicher ist, dass einige Details aus dem Leben von Alberto Nisman nicht ans Licht kommen sollen. Der beschäftigte zehn Angestellte, die nie in der Staatsanwaltschaft erschienen. Lagomarsino war einer von ihnen, aber angeblich auch acht junge Frauen, von denen nicht bekannt ist, welche Funktion sie erfüllten, außer einer Ernährungsberaterin mit einem monatlichen Gehalt von 28 780 Pesos.
Erst am 9. März, fast 40 Tage nach Nismans Tod, wurde das Haus von Diego Lagomarsino durchsucht. Die Polizei fand im Haus des Informatikers keinen Computer, nur einen alten Fernseher und ein iPad, zwei iPods, CDs und Festplatten.
Die Intervention von Nismans Ex-Frau Arroyo Salgado scheint ein weiterer Schachzug innerhalb der politischen Operation gegen die Regierung zu sein. Ihre Erklärungen zielen auf die Anfechtung der Staatsanwältin Viviana Fein ab. Am 16. März beantragte Arroyo Salgado die Ablösung der Staatsanwältin.
Am 26. März wies dann die 1. Bundeskammer den Einspruch von Staatsanwalt Pollicita gegen das Urteíl von Rafecas zurück und bestätigte dessen Urteil auf Zurückweisung der Anlage von Nisman. Unmittelbar nach Verkündung der Entscheidung kündigte Staatswalt Moldes an, auch gegen dieses Urteil Berufung einzulegen und das Verfahren an die nächste Instanz zu verweisen. Den konservativen Kräften in Argentinien liegt offenbar sehl viel daran, das Verfahren am Laufen zu halten.

Dennnoch kehrte nach Rafecas Urteil ein wenig Normalität in die Republik zurück. Die Exfrau Alberto Nismans hatte im Einklang mit den oppositionellen Medien und den entlassenen Geheimdienstlern im Hintergrund dafür gesorgt, dass Nismans Tod das politische Leben Argentiniens fast anderthalb Monate lang bestimmte. So behauptete der Journalist Eduardo van der Kooy im Clarín, der größten oppositionellen Tageszeitung Argentinien, ohne jeglichen Beweis, dass der Mord an Nisman von einem in Cuba ausgebildeten iranisch-venezolanischen Einsatzkommando begangen worden sei.
Je mehr Informationen auftauchen, umso undurchsichtiger wird der Fall. Und die vielfachen Kommentierungen jeder neuen Nachricht tragen durch ihre Interessengebundenheit dazu bei. Dabei deutet immer noch das meiste darauf hin, dass Nismans Tod ein Suizid war. Nisman, der als sehr eitel galt, sah durch die einen Tag nach seinem Tod geplante Befragung im Parlament eine Katastrophe auf sich zukommen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde er von seinen befreundeten Geheimdienstlern allein gelassen.

  • 1. Moldes half 1992 dem syrischen Waffenhändler Al Kassar, einen falschen Pass und argentinische Personalausweise zur Einreise nach Argentinien zu bekommen. Später warfen ihm das Centro de Estudios Legales y Sociales (CELS) und Memoria Activa (Familien der Opfer des AMIA-Attentats) vor, die Aufklärung des AMIA-Falls behindert zu haben.
  • 2. Timerman war Gründer der Zeitung La Opinión, der nach seiner Freilassung ins Exil nach Israel ging. Rubinstein war Rechtsanwalt und Besitzer des Unternehmens Papel Prensa David Graiver. Rubinstein starb 1977 an einem Herzinfarkt am Foltertisch.