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Militarisierung und Repression in Paraguay

Seit dem parlamentarischen Putsch gegen die Regierung Fernando Lugo im Juni 2012 ist Paraguay wieder stärker von Korruption, Vetternwirtschaft und politischer Repression geplagt. Statt die sozialen Errungenschaften der Ära Lugo fortzuführen und in Bildung und Gesundheit zu investieren, wird das Land militarisiert. Oppositionelle, bäuerliche AktivistInnen und kritische JournalistInnen werden verfolgt und sogar exekutiert. Diese Politik sichert vor allem die Interessen der transnationalen Konzerne.

Manfred Etscheid

Die paraguayische Opposition prangert die Herrschaftsform im Lande an, bei der die regierende Oligarchie ihre Privilegien verteidigt. Für die Opposition gibt es keinen Weg von der Oligarchie zur Demokratie. Nach dem Gesellschaftsmodell von Polypios (ca. 200-118 v. Chr., aus dem Umfeld von Platon und Aristoteles) kann die Herrschaft in einem Staat von einer Person, von wenigen oder von allen Personen ausgeübt werden. Wenn die Herrschaft zum Wohle aller ausgeübt wird, wird sie entweder Monarchie (Herrschaft eines Einzelnen), Aristokratie (Herrschaft der Besten) oder Demokratie (Herrschaft des Volkes) genannt. Wenn die Herrschenden die Macht usurpiert beziehungsweise an sich gerissen haben oder sie zum eigenen Nutzen ausüben, wird – nach diesem Gesellschaftsmodell – aus der Monarchie eine Tyrannei, aus der Aristokratie eine Oligarchie oder aus der Demokratie eine Ochlokratie. Die Herrschenden sind nach diesem Modell – zumindest in gewissem Umfang – auf die Zustimmung der Beherrschten angewiesen.

Das gilt auch für Paraguay. Die „Masse“, die der Herrschaft der Oligarchen zustimmt, wird in der Partei der Colorados organisiert. Ungefähr die Hälfte der Wahlberechtigten sind dort eingeschriebene Mitglieder. Sie erhoffen sich so vor allem persönliche Vorteile, beispielsweise ist ein Job im Öffentlichen Dienst faktisch nur für Leute mit einem Mitgliedsbuch der Colorados zu haben. Staatliche Universitätsstipendien werden nur an Mitglieder der Colorados vergeben. Auch an den Feierlichkeiten zur Übernahme der Amtsgeschäfte durch Horacio Cartes am 15. August 2013 nahmen neben einigen ausländischen PräsidentInnen vor allem Colorados teil. Cartes ist neben seinem Amt als Staatspräsident in vielen Bereichen als Unternehmer tätig. Ihm gehört die Banco Amambay, er ist Viehzüchter und in der Getränkeindustrie hat er eine monopolartige Stellung. Die Behörden Kolumbiens und Brasiliens werfen ihm Zigarettenschmuggel im großen Stil vor.

Die USA kooperieren seit den 90er-Jahren eng mit den paraguayischen Sicherheitskräften. Paraguay erlaubte den USA die Einreise von Soldaten und die Einfuhr von Kriegsmaterial, ohne entsprechende Kontrollen durchzuführen. Diese Kooperation funktionierte auch während der Amtszeit Lugos, obwohl sich dieser dagegen ausgesprochen hatte. Doch gegen seinen Willen traf der damalige Vizepräsident und spätere Putschist Franco entsprechende Vereinbarungen mit der US-Botschaft. Seit Juli 2014 unterstützen die USA, Großbritannien, Kolumbien und Israel die Regierung Cartes beim Aufbau eines Nachrichtendienstes (Servicio Nacional de Inteligencia, SNI), der gemäß einem Beschluss des paraguayischen Parlamentes die Grundlage für alle anstehenden Regierungsentscheidungen – nicht nur im militärischen Bereich – liefern soll. Mit der Begründung, Paraguay habe sich während des letzten Gaza-Konfliktes „neutral“ verhalten, teilte die Regierung Israels Mitte Oktober 2014 offiziell der paraguayischen Regierung mit, dass man zur Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung bereit sei.

Die USA und Israel beraten den SNI bei der Abwehr der Aufstandsbewegung Ejército del Pueblo Paraguayo (EPP).1 Paraguayische Soldaten werden entsprechend in Kolumbien trainiert. Wegen der Aktivitäten des EPP verabschiedete das Parlament im Sommer 2013 ein Gesetz, wonach die paraguayischen Streitkräfte in den Departements Amambay, Concepción und San Pedro ohne Parlamentskontrolle tätig sein können und nur dem Oberbefehl von Cartes unterstehen. In diesem Gebiet kommt es oft zu bewaffneten Auseinandersetzungen.

Nach einem Bericht von Bischof Pablo Cáceres, Generalvikar der Diözese Concepción, wurden am 5. September in Kurusu de Hierro, Concepción, zwei Jugendliche der Familie Ovelar von den Streitkräften exekutiert, als sie eine Kuh von der Weide holen wollten. Als sie von einer Gruppe von Soldaten überrascht wurden, die auf der Suche nach Mitgliedern des EPP waren, versuchten sie sich auf freiem Feld zu verstecken und wurden deshalb erschossen. Ihre Mutter überlebte mit einem Kieferdurchschuss. Sie wird vergeblich auf eine Entschädigung warten. Sie weiß nicht, wie sie die Kieferprothese im Wert von 1050 Euro bezahlen soll. Es gibt auch andere Versionen des Vorfalls, in denen jedoch stets die Willkür der Streitkräfte gegenüber der Zivilbevölkerung deutlich wird. Die Zeitungen berichten fast täglich über vergleichbare Akte der Sicherheitskräfte.

Mitte September wurden mehrere Mitglieder der Agrupación Campesina Armada (ACA) liquidiert. Obwohl nach der paraguayischen Verfassung die Untersuchungshaft nicht länger dauern darf als die eigentliche Haftstrafe, zu der jemand verurteilt werden kann, ist der Campesino-Führer Ruben Villalba, ein Überlebender der Massaker von Curuguaty (15. Juni 2012), seit mehr als zwei Jahren in Untersuchungshaft. Er befindet sich jetzt aus Protest gegen diese Maßnahme in seinem dritten Hungerstreik. Die Anrufung des Verfassungsgerichtes verlief ergebnislos. Selbst die Justizministerin Alicia Pucheta befindet seine Haft für illegal.

Für die Aufstandsbekämpfung beantragte die Regierung beim Parlament eine Erhöhung der Ausgaben um ca. 4,5 Millionen Euro. Davon soll auch eine monatliche Gefährdungszulage für den Einsatz der Sicherheitskräfte im Kampfgebiet von jeweils 90 Euro bezahlt werden. Weitere Gelder werden für den Kauf von militärischer Ausrüstung eingesetzt. Gleichzeitig wird Geld aus dem Gesundheits- und Bildungsressort abgezogen. Das öffentliche Gesundheitswesen steht vor dem Kollaps. Die Ärzte streiken gegen die geringe Bezahlung und für eine bessere Ausstattung der überfüllten Gesundheitszentren. Es fehlt an Medikamenten und medizinischen Geräten. Das Klinikpersonal ist nicht in der Lage, die PatientInnen auch nur ansatzweise angemessen medizinisch zu betreuen. Wer behandelt werden will, muss die Kosten selber tragen. Da viele ParaguayerInnen unter der Armutsgrenze leben, „verzichten“ sie auf eine medizinische Betreuung. Internationale Organisationen fordern Ausgaben in Höhe von 12 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für das Gesundheitswesen – in Paraguay sind gerade einmal drei Prozent für diesen Bereich vorgesehen.

Wegen der Einsturzgefahr der Schulgebäude wird vielfach der Unterricht unter freiem Himmel abgehalten. Für Infrastrukturmaßnahmen hatte das Erziehungsministerium im August Ausgaben von rund 40 Millionen Euro veranschlagt. Im Haushaltsplan, den die Regierung dem Parlament vorlegte, fehlte dieser Betrag, woraufhin die Lehrergewerkschaften in Streik traten. Während die UNESCO und andere Organisationen Bildungsausgaben in Höhe von sieben Prozent des BIP befürworten, sind es in Paraguay nur 3,2 Prozent. Fast ein Viertel der Kinder auf dem Land arbeitet. Ohne deren Arbeit könnte der Lebensunterhalt ihrer Familien nicht gesichert werden. Die arbeitenden Kinder und Jugendliche leiden unter Rechtlosigkeit, den Witterungsbedingungen, den Agrargiften und dem Ungeziefer, denen sie ausgesetzt sind.

Am 16. September berichtete die Zeitung E'A in ihrer Internetausgabe, dass 25 bewaffnete Personen gegen die BewohnerInnen der Ortschaft Brítez Cue, Canindeyú, vorgingen, weil sie sich gegen den Anbau von genmanipuliertem Soja in ihrer Umgebung wehrten. Für die industrialisierte landwirtschaftliche Nutzung des Bodens werden die Reste des noch verbliebenen Regenwaldes abgeholzt. Am gleichen Tag hielten zwei Männer in Tarnuniform den PKW des Journalisten Pablo Medina von der konservativen Tageszeitung ABC-Color an, fragten nach seinem Namen und entluden ihre Maschinenpistolen. Es war der dritte Journalistenmord in diesem Jahr. Medina kehrte gerade von einem Besuch der Siedlung Crecencio González zurück, die von Feldern umgeben ist, auf denen genveränderte Soja angebaut wird. Er hatte Fotos von der Würmerplage aufgenommen, die die Maniokfelder der Siedlung zerstört. Maniok ist in Paraguay Grundnahrungsmittel. Zusammen mit Medina starb seine Mitarbeiterin Antonia Maribel Almada Chamorro. Ihre Schwester, die auch im Wagen saß, blieb unverletzt und konnte einen der Attentäter identifizieren, nämlich Wilson Acosta Marqués, Bruder des Bürgermeisters von Ypehú, Vilmar Acosta Marqués.

Unmittelbar nach dem Attentat „wussten“ alle, dass in den nordöstlichen Departements Drogenhändler ihr Schwarzgeld durch Investitionen in Rinderfarmen zu waschen versuchen und dass auch die Ermordung von Pablo Medina in diesen Zusammenhang einzuordnen sei. Wenige Tage später veröffentlichte die Presse eine Liste mit acht Namen von PolitikerInnen, die ihren Posten dank des Einsatzes von Drogengeldern bekommen haben. Sechs gehören den Colorados an, zwei den Liberalen. Wer genügend Geld hat, kann also dafür sorgen, dass er oder sie bei den Wahlen entsprechend auf den Listen platziert wird.

Die Machtelite, die sich auf die Rinderzüchter stützt, wird offensichtlich von der Drogenmafia „unterwandert“. Das Land ist dabei, sich in einen „Freistaat“ der Drogenmafia und des industrialisierten Anbaus von genmanipulierten Pflanzen, vor allem Soja, zu verwandeln – ohne Rücksicht auf die ortsansässige Bevölkerung, die unter dem massiven Einsatz von Pestiziden leidet. Gutachten von MedizinerInnen, in denen die Gefährdung der Menschen in den Soja-Gebieten nachgewiesen wird, verhallen ungehört. Die paraguayische Opposition sucht nach einem Weg, wie sie die Herrschaft der Oligarchen aufheben kann. Einen unumstrittenen Oppositionsführer gibt es noch nicht. Doch eins ist unbestreitbar: Der Staat kann nicht wie eine Privatfirma geführt werden.

  • 1. Bewaffnete Organisation, die vor allem im Departement Concepción im Nordosten Paraguays tätig ist und erstmals im Jahr 2008 mit Aktionen auftrat.