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Transatlantische Anlegestelle

Aurelio entdeckt mit seinem aktuellen Album Lándini seine Ursprünge neu
Helga Woggon

Meisterproduzent Iván Durán, der seit fast 20 Jahren von der Musik der Garífuna fasziniert ist, hat seinen neuesten großen Wurf gelandet: Lándini – das Album von Garífuna-Star Aurelio Martínez, das er vom 16. bis 24. Oktober 2014 zusammen mit seiner Band in Wien, Prag, Innsbruck, Kassel, Berlin und Kopenhagen vorstellen wird. Mit Lándini schließt Aurelio den Kreis von seinen Anfängen in der Garífuna-Liedkunst und seinem Auftritt mit den legendären Paranderos im Album Paranda (1998) über sein international gefeiertes Garífuna Soul (2004) bis hin zu seiner einzigartigen Koproduktion mit Weltstar Youssou N’Dour in Laru Beya (2011). Jetzt kehrt Aurelio zu seinen musikalischen Ursprüngen in seinem Heimatdorf Plaplaya zurück und macht den großen Paranderos, den Troubadours der Garífuna-Liedkunst, alle Ehre. Er entdeckt den Paranda neu, den Blick geschärft nach vielen Jahren auf Tournee, von Zentral- und Nordamerika über Europa bis nach Japan und Afrika.

Lándini (Bootsanlegestelle) ist der soziale Treffpunkt eines Ortes, wenn weit abgelegene Garífuna-Siedlungen nur per Boot erreichbar sind. Abgelegen wie Plaplaya, der wohl östlichste Garífuna-Ort an der Atlantikküste von Honduras, wo Aurelio in eine Liedkunst hineinwuchs, die die Konflikte des (Zusammen-)Lebens, den Schmerz, die Trauer und Tragödien verarbeitet und bei aller Melancholie in mitreißende Rhythmen verpackt. Aurelios Mutter ist eine Meisterin dieser Liedkunst. Sie hat ihren Sohn nachhaltig beeinflusst. Lándini ist darum vor allem eine Hommage an seine Mutter María Martínez, die schon im Album Laru Beya auftrat. Neben ihren Liedern hat Aurelio auf Lándini eigene und traditionelle Lieder neu arrangiert.

Inspiriert hat ihn seit 1995 ganz besonders sein Freund Andy Palacio, weit über dessen Tod hinaus (vgl. Nachruf in ila 312). Als Andy im Januar 2008 auf dem Höhepunkt seines Erfolgs (Womex-Weltmusikpreis für Watina 2007) mit nur 47 Jahren plötzlich starb, verstand Aurelio dies als Signal. Er war seit Ende 2005 als Politiker aktiv – einer der vier afrohonduranischen Kongress-Abgeordneten, die ersten seit den 30er-Jahren. Viele Belange der Garínagu gab es zu verfechten, aber das Erreichte war alles andere als ermutigend. So brachte ihn das Unglück zur Musik zurück. Er ging mit Andys Musikern 2008 auf Tournee zum Gedenken an seinen Freund und trat entschlossen dessen Erbe an.

Bald wählte ihn Weltstar Youssou N’Dour bei der Rolex-Kunstinitiative zum Protégé und arbeitete für ein Jahr mit ihm in Dakar und bei Tourneen zusammen. Mit N’Dour gastierten auch andere Stars aus dem Senegal auf Aurelios einzigartigem Album Laru Beya, das eine Hommage an Andy Palacio war. Als erster hatte er wahr gemacht, wovon Andy und fast alle Garífuna-Musiker sangen und träumten, die Rückkehr in die Heimat ihrer afrikanischen Vorfahren. Aurelio selbst hatte 1998 in seinem Song Africa verkündet, er werde zur mama africana gehen und die Geschichte seiner Urahnen aufspüren. Elf Jahre später arbeitete er in Dakar, der nächstgelegenen Großstadt östlich von Plaplaya, getrennt durch 7000 km Atlantik, auf fast demselben Breitengrad.

In Lándini kehrt Aurelio nun zu seinen Wurzeln zurück. „Je weiter ich herumkomme, desto mehr will ich wieder zurück“, sagt er. Und so hat er das Lied seiner Mutter, Irawini (Mitternacht), die auf ihn wartet und von fern seine Gitarre hört, mit ihr zusammen in ihrer Wohnung eingespielt. Leider ist das Video wegen der GEMA in Deutschland im Internet gesperrt. Zwar lebt seine Mutter heute in New York, aber mit der Plaplaya Honduras Hometown Association in der Bronx, wo Aurelio gelegentlich gastiert, ist auch dort Plaplaya nicht weit.

„Als 1998 das Album Paranda erschien, war diese Musik völlig unbekannt“, erzählt Aurelio. In Lándini zeigt er die musikalische und thematische Vielfalt der Lieder, von der verzweifelten Hoffnung auf ein Wunder (Milagura) angesichts eines Fährunglücks, bei dem in den 90er-Jahren alle Passagiere umkamen, über das ungeborene Kind (Funa tugudirugu) der viel zu jungen ledigen Mutter bis hin zum neckenden Lied über die Frau, die außer einem Goldzahn (Nari Golu) gern noch Schuhe und ein Kleid hätte.

„Wir Garínagu leben mehr von der Musik als von Nahrungsmitteln“, erklärte Aurelio einmal. So ist Lándini mit seinen warmen, von Gitarren getriebenen Liedern in feinster Parandero-Art, in dem sich afrikanische Perkussion mit Latinoelementen verweben, vor allem eins: Nahrung für die Seele und, wie er sagt, „Garífuna pur“. Mit seiner energiegeladenen Bühnenpräsenz wird daraus ein ganz besonderes Erlebnis.

Aurelio, Lándini, Stonetree Records, Belize, erschienen bei Real World