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Das Darien-Desaster

Als die Schotten Ende des 17. Jahrhunderts in Panama scheiterten und so ihre Unabhängigkeit verloren

Die Bevölkerung Schottlands wird am 18. September 2014 über ihre Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich abstimmen. Spätestens seit die von Alex Salmond geführte Scotish National Party (SNP) im vergangenen Mai die absolute Mehrheit bei den Wahlen zum schottischen Regionalparlament erreichte, ist die schottische Unabhängigkeit wieder ein viel diskutiertes Thema in Schottland und Großbritannien. Wie immer bei Loslösungsbestrebungen wird zur Bestätigung der eigenen Identität gerne in der Geschichte gewühlt. In Schottland geht es dabei immer auch um das letzte schottische Kolonialabenteuer, das sogenannte Darien-Desaster (1695-1700). Bis heute geben viele Schotten England die Schuld am Scheitern dieses Kolonialabenteuers, das letztlich zum Verlust der schottischen Unabhängigkeit 1707 führte. 1707 wurde nach intensiven Verhandlungen die Act of Union unterzeichnet. Dieses Gesetz schuf die Grundlagen für die Vereinigung des Königreichs Schottland mit dem Königreich England. Dass Schottland dabei gar nicht so schlecht wegkam, ist ein anderes Thema.

Laura Held

Was ist das Darien-Desaster? Das kleine Gebiet, um das es geht, damals New Caledonia genannt, liegt am Panama- oder Darien-Isthmus, in der heutigen Comarca Kuna oder Guna Yala (früherer Name: San Blas), ein autonomes Gebiet der Kuna-Indígenas an der Nordküste Panamas am Atlantischen Ozean, nördlich der heutigen panamaischen Provinz Darien. Dort sollte eine schottische Kolonie entstehen. Und Desaster ist der richtige Ausdruck, denn es beendete nicht nur im Jahr 1700 die schottische Kolonialgeschichte, es endete nach nur drei Jahren mit dem Tod fast aller KolonistInnen, führte Schottland in den Staatsbankrott, vernichtete die gesamten Ersparnisse vieler SchottInnen, und Schottland verlor seine Unabhängigkeit.

Dabei war die 1695 veröffentlichte Idee des schottischen Finanzspezialisten William Paterson in seiner Logik durchaus intelligent. Sein Plan, mit dem Schottland aus seiner tiefen Wirtschaftsmisere herausgeführt werden sollte – nach zahlreichen Kriegen, Aufständen, Missernten und wegen den englischen Handelsmonopols konnte das Land seine Menschen nicht mehr ernähren – bestand darin, die geographische Situation in Panama für den Handel zu nutzen – ein Plan der dann erst Jahrhunderte später mit dem Bau erst der Panama Railway, später des Panamakanals realisiert werden sollte. Patterson, erfolgreich in Spekulationsgeschäften und als einer der entscheidenden Mitbegründer der Bank of England also ein finanzpolitisches Schwergewicht, schlug vor, eine eigene schottische Monopolgesellschaft für den Handel mit Afrika and the Indies zu gründen. Diese Gesellschaft sollte im heutigen Panama an einer Landenge eine schottische Kolonie errichten. Durch diese Kolonie sollten Waren aus Indien, China und dem übrigen Pazifikraum über Land zur Karibikküste transportiert und auf die Schiffe der Gesellschaft für die Atlantikpassage verladen werden, dafür sollten Gebühren eingenommen werden. Paterson kannte die Gegend nicht, wusste nur, dass dort Urwald wuchs. Dass dieser Urwald zum Teil aus Sümpfen bestand, die den Siedlern zum Verhängnis werden sollten, konnte er sich nicht vorstellen, vielmehr glaubte er den Berichten eines Seemanns über das schöne Leben der „Indianer“ in Panama. Er selbst nahm mit Frau und Sohn an dem Abenteuer teil, das seine Familie ebenfalls das Leben kosten sollte.

England wurde damals zur Weltmacht und bekämpfte alle anderen Nationen, die ihm diesen Anspruch streitig machten. Seine bislang einzige andere Kolonie, Nova Scotia in Kanada, hatte Schottland durch Englands Kriege verloren. Auch das Darien-Projekt, durch das sich Schottland ja eigene Handelswege hätte erschließen können, war England, vor allem der englischen Handelsgesellschaft East India Company, ein Dorn im Auge.

In Schottland stieß der Plan von Paterson auf begeisterte Zustimmung, sowohl in den führenden Kreisen als auch bei der einfachen Bevölkerung, zunächst sogar bei englischen Kooperationspartnern. Das schottische Parlament verabschiedete ein Gesetz zur Gründung der Company of Scotland Trading to Africa and the Indies. Das Gesellschaftskapital von 600 000 Pfund Sterling sollte ursprünglich zu gleichen Teilen in London und Schottland aufgebracht werden. Zuerst brachten die Londoner das Kapital schnell zusammen, auch aus Hamburg und Amsterdam floss Geld. Doch dann gelang es der East India Company, den König und das englische Parlament gegen das Vorhaben aufzubringen. Die Company of Scotland wurde angeklagt und alle englischen Investoren mit Strafverfolgung bedroht, weshalb sie und alle anderen ihr Kapital zurückzogen. Trotzig machten sich nun die SchottInnen daran, das erforderliche Kapital allein aufzutreiben. Im August 1696 war das neu festgesetzte Mindestkapital von 400 000 Pfund Sterling allerdings nicht ganz erreicht. Dennoch kam eine für das kleine und klamme Land gewaltige Summe zusammen. Arme und Reiche zeichneten Anteile, ebenso alle bedeutenderen Städte des Landes. Eine Bank wurde gegründet, Schiffe gechartert und bestens ausgerüstet.

Am 18. Juli 1698 verließ die erste Expedition mit fünf Schiffen Schottland. An Bord der Schiffe waren über 1200 Menschen, darunter viele Soldaten und Ex-Soldaten, aber auch William Paterson. Im November erreichten die Schiffe nach vielen Verlusten (70 Menschen kamen bei der Überfahrt ums Leben) Panama, begannen mit dem Bau des Forts St. Andrew und rodeten den Urwald, um Platz für die neue Siedlung New Edinburgh sowie Yams- und Maisfelder zu schaffen. Sie schlossen mit einem der lokalen Indígenaführer ein Freundschaftsabkommen (die Kuna hatten Interesse an Bündnissen gegen die Spanier, die sie aus dem Golf von Urabá im heutigen Kolumbien vertrieben hatten). Die SiedlerInnen fanden sogar Gold. Allerdings stellten sie schnell fest, dass der gerodete Urwald nicht fruchtbar war – mit ihrer Form der Landbestellung konnten sie sich nicht ernähren. Es war heiß, feucht und moskitoverseucht, weshalb auch die Indígenas diesen Ort mieden. Die SiedlerInnen starben an Hunger und Krankheiten, die Schiffe, deren Waren sie nach Asien und Indien weiterleiten wollten, blieben aus. Die Kuna schenkten ihnen manchmal Lebensmittel, die aber meist nur an die auf den Schiffen lebenden Soldaten gingen.

Obwohl sie ihre Schiffe hilfesuchend zu den anderen englischen Kolonien schickten, kam keine Hilfe. König William hatte den englischen Kolonien in Amerika verboten, die schottische Kolonie mit Menschen, Material oder Lebensmitteln zu unterstützen. Als die zermürbten New EdingburgherInnen hörten, dass die Spanier einen Angriff auf sie planten, gaben sie im Juli 1699 die Siedlung auf und fuhren heim, doch nur eines von fünf Schiffen erreichte mit 300 Überlebenden Schottland.

Da das Ausmaß der Katastrophe in Schottland nicht bekannt war, war kurz vor der Ankunft dieses Schiffes eine zweite Flotte losgefahren, mit weiteren 1300 Menschen an Bord, von denen aber nur 1140 die Ruinen von New Edinburgh im November 1699 erreichten. Sie begannen, die Siedlung wieder aufzubauen, bis die spanischen Kolonialherren New Caledonia angriffen. Im März 1700 fiel Fort St. Andrew nach einer Belagerung durch spanische Soldaten unter dem Kommando des Generalgouverneurs Pimiento. Nur wenige SchottInnen überlebten.

Was wäre gewesen, wenn das Unternehmen Erfolg gehabt hätte? Wenn es eine schottische oder schottisch-englische Kolonie gegeben hätte, die die Panama-Landenge beherrscht hätte – über seinen Anteil am schließlich doch florierenden Handel reich geworden wäre, später unabhängig? Wenn England damals gegen die spanische Armada gekämpft hätte? Wäre die Geschichte Lateinamerikas anders verlaufen?

Und die ursprünglichen BewohnerInnen Dariens? Die Kuna, die auch heute noch dort leben, haben ihre Kultur und Sprache bewahrt und in zahlreichen Aufständen und mit geschickten Verhandlungen einen einzigartigen Autonomiestatus und eigene Territorien erreicht. Sie waren und sind geschickte Händlerinnen. Im 17. Jh. verbündeten sie sich oft mit England, Schottland und Frankreich sowie mit Piraten der Karibik und unterhielten Handelsbeziehungen mit ihnen. An den Kämmen und Spiegeln, die die Schotten mit ihnen tauschen wollten, hatten sie allerdings kein Interesse. Vielleicht hätten die schottische Expedition die Kuna als Partner für ihr Projekt gewinnen sollen.