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ila erhält Oscar-Romero-Preis 2013

Laudatio von Michael Ramminger vom Institut für Theologie und Politik, Münster

Am 20. Juni gab der Förderkreis Oscar-Romero-Haus bekannt, dass die ila in diesem Jahr den mit 1000 Euro dotierten Oscar-Romero-Preis erhält. Der Preis ist für Einzelpersonen und Initiativen aus dem Köln-Bonner-Raum ausgeschrieben, „die sich in überzeugender Weise für Ausgegrenzte und Entrechtete einsetzen“. In diesem Jahr waren neun Initiativen vorgeschlagen, aus der die Jury dann die ila ausgewählt hat. Wir haben uns sehr über diese Entscheidung gefreut und betrachten es als große Anerkennung unserer Arbeit. Der Preis wurde uns am 23. Juni im Rahmen eines Festes zum 40jährigen Bestehen des Oscar-Romero-Hauses vom früheren Bonner Studentenpfarrer Martin Huthmann verliehen. Martin, der das ehemalige Bonner Frauengefängnis und heutige Oscar-Romero-Haus 1974 mit einer Gruppe von Studierenden instandbesetzt hatte, wurde Anfang der achtziger Jahre wegen seiner kritischen Haltung vom Erzbistum Köln als Studentenpfarrer abgesetzt. Seitdem arbeitet er in Brasilien mit Basisgemeinden und war zur Jubiläumsfeier eigens von dort angereist. Für die Laudatio auf die diesjährige Preisträgerin konnte der Förderkreis Oscar-Romero-Haus Michael Ramminger vom Institut für Theologie und Politik in Münster gewinnen, dessen Ansprache wir hier veröffentlichen.

Michael Ramminger

Liebe ila,

als wir gebeten wurden, die Laudatio auf Euch zu halten, haben wir gemerkt, dass es Dinge gibt, deren Existenz ganz unbedacht zu unserem Leben dazugehört. Die ila ist eine derjenigen selbstverständlichen Dinge im Leben, die da sind, die man nutzt und die ganz zu den ersten Informationsquellen gehört, wenn es um Lateinamerika geht; deren Gebrauchswert enorm hoch ist – im Gegensatz zu vielen anderen Dingen im Leben. Also: ab in den Keller, zu den Kisten, in denen die alte ila schlummert – nicht alle Exemplare ab 1976, aber so ab 1980. Und dann bin ich versunken in die Geschichte Lateinamerikas und der Karibik der letzten 36 Jahre, in die Geschichte der Solidaritätsbewegungen und des Internationalismus, ihrer Hoffnungen, ihrer Motivationen, ihrer Enttäuschungen – und ihrer Beharrlichkeit: die Diktaturen in Chile und Argentinien, gigantomanische Großprojekte in Brasilien und die Gründung der PT, die Invasion auf Grenada oder die Kämpfe in Bolivien oder Uruguay. Natürlich der Befreiungskampf in El Salvador und die Revolution in Nicaragua. Aber auch Verschuldung, Imperialismus, die Rolle der USA, der BRD. Die ila hat all dies begleitet. Mit sachlich und fachlich fundierten Beiträgen, mit Interviews und mit Informationen aus erster Hand.

Der Romeropreis wird an Initiativen vergeben, die institutionell nicht hoch abgesichert sind, die z.B. aus unerklärlichen (?) Gründen keine EU-Förderungen bekommen. Viele von uns hier haben Erfahrungen mit solchen Projekten: Sie wissen, was das heißt. Es bedeutet nämlich übersetzt: in freiwilliger Prekarität zu existieren, zehnmal im Jahr eine neue Ausgabe mit neuen Themen herauszubringen, AutorInnen suchen, neue Titelblätter zu erfinden, ÜbersetzerInnen zu finden, das Layout zu machen, dafür zu sorgen, dass der PC funktioniert und immer genug Kaffee und Tee da ist. Und natürlich – genug Geld.

Die verstorbene Theologieprofessorin und Mitgründerin der ChristInnen für den Sozialismus, Marie Veit, hatte bei unseren Veranstaltungen immer einen Hoffnungsschrank dabei: ein kleines Kästchen, in dem Berichte, Fotos oder Namen von bemerkenswerten Menschen, Aktionen und Initiativen aufbewahrt wurden, die sie im Laufe des Jahres gesammelt hatte. Und bevor wir anfingen, über Christentum und Befreiung zu sprechen, hat sie uns immer genötigt, diese Hoffnungszeichen wahrzunehmen. Die ila gehört in diesen Hoffnungsschrank.

Auch aus einem anderen Grund gehört die ila in diesen Hoffnungsschrank. Die 1980er Jahre waren für uns, für meine Generation der Linken, ich darf das doch sagen, auch eine Zeit relativ klarer Wahrheiten: Da war die Dependenztheorie, die nationalen Befreiungsbewegungen, der US-Imperialismus und seine bundesdeutschen HelferInnen. Und mit 1989, der Wahl in Nicaragua und dem Fall der Mauer, sollte auf einmal alles anders gewesen sein. Statt zu sagen, die Dependenztheorie stimmt so jetzt nicht mehr, war sie für viele plötzlich eine immer schon linke, projektionsgeladene Schwarz-Weiß-Malerei. Statt nach den eigenen Fehlern und Begrenzungen zu suchen, waren Menschen von der FSLN enttäuscht. Statt an Egalität und emanzipatorischer Praxis festzuhalten, verloren wir viele an Lobbyarbeit, NGOs und den Lebensmittelkleinhandel. Nicht so die ila. Ihr habt weitergemacht. Festgehalten an der Überzeugung, dass globale Gerechtigkeit eine grundsätzlich andere Welt braucht. Dass emanzipatorisches Handeln, Denken und Informieren immer noch auf der Tagesordnung steht. Dass es daran nichts zu rütteln gibt. Insofern hätte ich für das Titelbild Eurer Jubiläumsausgabe von 1996 statt des kleinen roten Papierschiffchens im aufgewühlten Meer eher einen Fels in der Brandung gewählt, selbstverständlich auch rot. (vgl. ila 200)

Wenn ich eben gesagt habe, Ihr habt das alles begleitet, ist das natürlich nicht ganz richtig. Ihr begleitet die Ereignisse nicht einfach nur. Das macht ja eh niemand, auch wenn er glaubt, es zu tun. Ihr versteht Euch als Teil der internationalistischen Bewegung der BRD, meldet Euch auch zu Bewegungsthemen zu Wort, mit Diskussionen und eigenen Positionen. Eine Durchsicht Eurer Hefte ist also nicht nur eine implizite, nicht besprochene Dokumentation unserer internationalistischen Bewegung, sondern die ila sehe ich auch als explizites Organ dieser Bewegung: mit kritischer Intervention, mit Themensetzung und nicht zuletzt auch immer wieder mit Aufrufen zur praktischen Intervention.

Wenn man sich die ila heute anguckt, dann spürt man diese Kontinuität, für die wir Euch dankbar sind. Das Interesse für Literatur, Musik und Kultur gab es bei Euch immer schon, es weitet bis heute den Raum der politischen Auseinandersetzung mit Lateinamerika und bringt uns den Kontinent und die Länder, ihre Geschichte, ihre Lieder auf ganz andere Weise nahe. Dazu zähle ich auch die immer wieder erscheinenden biographischen Artikel, die uns einzelne GenossInnen bekannt machen, die Geschichten der Emigration – die uns oft genug auch in unsere eigene Geschichte zurückholen, die des deutschen Faschismus.

Heute spiegelt sich in den Ausgaben der ila die schwirrende Vielzahl der Widersprüche, der Themen, aber auch der Kämpfe, der Rebellionen und Aufstände wider: Kämpfe der Indígenas um Recht auf Land und gegen Rassismus, Studierendenbewegungen in Chile, über Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie, über Friedensprozesse und Wahrheitskommissionen. Artikel über Femizide, Drogenkriege oder die Kämpfe der Schwulen und Lesben in Lateinamerika, aber auch Anarchismus oder Postkolonialismus. Wunderbar der Titel der ila 306: „USA Mexico – Mauer, Migration und Klassenkampf“.

Und dazwischen immer wieder euer Beitrag zu unserer aller Systematisierungsversuche: Über’s Geld an sich, über die neuen transnationalen Ausbeutungsverhältnisse im Landgrabbing oder Nahrungsmittelspekulation. Oder über Gewerkschaften, Globalisierung oder Finanzpolitik.

Wir wissen nicht, wie es weitergehen wird: Welche Erfolge all diese Kämpfe – und unser Engagement darin – haben werden. Welche Widersprüche welche Bedeutung im Kampf um Emanzipation und Egalität gewinnen werden; welche Bedeutung z.B. die vielfältigen Rebellionen der letzten Jahre – und jetzt auch in Brasilien – haben werden. Aber ich bin mir sicher, wann immer mir ein Urteil notwendig ist, werde ich die ila gewinnbringend zu Rate ziehen.

Liebe ila, es ist mir eine Ehre, Euch hier ehren zu dürfen: für Eurer Engagement, für Eure Parteilichkeit, für Eure Beharrlichkeit. „Mit dem Oscar-Romero-Preis zeichnet der Förderverein des Bonner Oscar-Romero-Hauses Einzelpersonen und Initiativen aus dem Köln-Bonner Raum aus, die sich in überzeugender Weise für Ausgegrenzte und Entrechtete einsetzen. Sein Namensgeber Oscar A. Romero, 1977 bis 1980 Erzbischof von San Salvador, bezahlte sein Engagement für an den Rand gedrängte und unterdrückte Menschen in seinem Heimatland mit dem Leben.“ Ihr habt den Preis schlichtweg verdient.

Und bevor ich zum Ende komme, mache ich noch eine kleine geschichtsphilosophische Anmerkung. In Eurer Jubiläums-Nummer 200 vom November 1996 schreibt Ihr: „Zwanzig Jahre ila waren so gesehen auch zwanzig Jahre emanzipatorische Arbeit ohne gesellschaftliche Emanzipationsfortschritte.“ Dem würde ich widersprechen. Der Marxist und Philosoph Walter Benjamin hätte diese Einschätzung mit seinem Begriff der leeren, homogenen Zeit kritisiert. Die Zeit eurer Arbeit war und ist nicht leer, sie ist Teil einer Emanzipationsgeschichte über die erst aus der Perspektive einer erlösten Menschheit in Gänze geredet werden kann.

Aber eigentlich war das nur ein rhetorischer Kniff von mir, um ein hübsches Ende zu bekommen. Ihr wisst es selbst nämlich besser, wenn Ihr schreibt: „ Aber wäre diese dumpfe Gesellschaft ohne Projekte und Initiativen wie die ila nicht noch unerträglicher, als sie es heute ist? Sicherlich. Ob es sich also gelohnt hat? Und ob es sich gelohnt hat!“ Keine Widerrede meinerseits, wir danken Euch und zählen auf Euch.