Feste bedeuten immer eine Art von Ausnahmezustand – vom alltäglichen Trott, den Zwängen der Arbeit oder des täglichen Überlebenskampfes, den Normen, an die man sich im Alltag zu halten hat. Insofern sind sie überlebenswichtig. Daher kennen Kalender überall in der Welt fixe Termine für solche ritualisierten Auszeiten. Bei Festen gelten nicht keine, sondern andere Regeln und Gesetze, sind Dinge möglich, die im Alltag nicht gehen, mann/frau ist lockerer, bewegt sich anders, tanzt, kostümiert sich, trinkt Alkohol, ist häufig emotionaler. Da entstehen schöne Gefühle wie Freude, Begeisterung, Ausgelassenheit, Lust, aber natürlich auch weniger schöne wie Aggression und (sexuelle) Gewalt – wobei Alkohol so oder so eine verstärkende Wirkung hat. Nicht umsonst gibt es bei Volksfesten häufig auch ein Großaufgebot an Polizei- und Ordnungskräften.

Feste bedeuten Gemeinschaft. Menschen gehen zu Festen, weil sie mit anderen Leuten zusammen feiern wollen. Natürlich längst nicht mit jeder/m; es ist ein Mythos, dass sich bei Festen soziale und ethnische Gruppen fröhlich mischen und die im Alltag bestehenden vielfältigen Formen von Kastendenken, Ausgrenzung und Diskriminierung aufgehoben wären. Aber dennoch ist der Wunsch, mit vielen Leuten gemeinsam etwas zu erleben, ein Antrieb, der Leute massenhaft zu Festen zieht. Und anders als in medialen und virtuellen Scheinwelten können Feste vielen Beteiligten dieses Bedürfnis auch wirklich erfüllen. Für diejenigen, die Feste (mit)organisieren, erhöht sich dadurch ihr soziales Prestige in der Gemeinschaft bzw. Gesellschaft, ganz unabhängig davon, ob es sich um eine Familie handelt, die den Marienschrein im Barrio pflegt und zum jährlichen Fest Stühle und Blumenschmuck besorgt, oder die Vereinigungen, die das Candelaria-Fest in Puno organisieren, oder um die Glücksspielmafia, die mit zigmillionen Reais den Karneval von Rio finanziert. Mitunter zahlt sich das gestiegene Sozialprestige später in barer Münze oder politischen Erfolgen aus. Das hängt freilich vom Charakter und der Größe des Festes ab.

Die Mächtigen, seien es die politischen und wirtschaftlichen Eliten oder bei religiösen Festen natürlich auch die Kirchen (vor allem die katholische), haben ein durchaus gespaltenes Verhältnis zu Festen. Einerseits bieten sie den Machthabern die Bühne, sich zu inszenieren und als Wohltäter/Sponsor zu präsentieren. Damit können sie beim „Volk“ Punkte sammeln und ihre Macht festigen. Nicht umsonst tingeln bei uns wie in Lateinamerika PolitikerInnen von Volksfest zu Volksfest. Aber der Ausnahmezustand, den jedes Fest bedeutet, birgt – aus Sicht der Herrschenden – auch Risiken, denn die FestteilnehmerInnen lassen sich nicht immer manipulieren, sondern artikulieren im Kollektiv auch Frust und Wut, durchbrechen mitunter Grenzen. Ein Teil der Geschichte der popularen Feste sind die Versuche der Machthaber, diese zu kontrollieren und sicherzustellen, dass sie nicht aus dem Ruder laufen.

So oder so: Menschen feiern Feste. Feste schaffen und stärken den sozialen Zusammenhalt in besonderer Weise. Genau davon erzählen die Beiträge dieser ila. Dabei haben wir diejenigen Feste weitgehend ausgeblendet, denen wir bereits Schwerpunkte oder Teile davon gewidmet haben, etwa den vielfältigen Spielarten des Karnevals in Lateinamerika und der Karibik (ila 192), den Totenfesten (ila 320) oder den Festen der LGTB-Community (ila 305). Ausgeklammert haben wir auch Familienfeste, sportliche Großveranstaltungen, politische Feste (z.B. zu Nationalfeiertagen) und Musikfestivals. Im Laufe der Planungen ergab sich ein Fokus auf einerseits kirchliche, andererseits indigene Feste, wobei die Grenze zwischen beiden fließend verläuft. Sind doch religiöser wie indigener Hintergrund Teil des kulturellen Selbstverständnisses, das sich in den Festen auslebt. Kaum jemand hat das besser auf den Punkt gebracht als der Latino, der neulich im Bonner Karneval mit einer einzigen Verkleidung auftrat, einer Narrenkappe mit der Aufschrift: „Yo soy yo“ (Ich bin ich).