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Wiege des guten Geschmacks

Ondatrópica: Furiose Session von Altmeistern und NachwuchsmusikerInnen
Britt Weyde

Immer wieder aufs Neue beglückt das britische Label Soundway-Records die Cumbia-Fans unter uns. Nach Compilations wie Cartagena! oder The Original Sound of Cumbia hat sich nun der in die kolumbianischen Sounds vernarrte Produzent Will Quantic Holland mit dem Kolumbianer Mario Galeano von der Band Frente Cumbiero zusammengetan. Die beiden Mittdreißiger brachten jüngere MusikerInnen aus ihren Bandprojekten mit legendenumwobenen Vertretern der kolumbianischen Cumbia-, Salsa- und Vallenato-Szene zusammen. In den alten Disco-Fuentes-Studios in Medellín, die für die goldene Ära dieser Musikstile stehen, nisteten sich im Januar 2012 insgesamt 42 MusikerInnen drei Wochen lang ein, um Ondatrópica zu entwickeln und einzuspielen. Dabei wandten sie analoge Aufnahmetechnik an und verzichteten auf digitale Nachbearbeitung.

Schon Stück Nr. 1, Tiene Sabor, tiene Sazón, ist ein richtiger Burner im Champeta-Stil (der mitunter stark nach Afrobeat klingt): seeeehr tanzbar und mit nachwirkender Gesangslinie von Nidia Góngora, deren prägnante Stimme schon in früheren Projekten von Quantics Combo Bárbaro aufhorchen ließ. Auf Suena ist es ebenso eine junge Frauenstimme, die auffällt: Die chilenische Rapperin Ana Tijoux feiert hier die generationenübergreifende Zusammenkunft der MusikerInnen und beschwört den Comandante del sabor, den Kommandanten des (guten musikalischen) Geschmacks. „Ganz Lateinamerika, ganz Afrika – die ganze Galaxie ertönt“ bringt sie es auf den Punkt, wo die eigentlich relevanten Musiktraditionen herkommen.

Die erste CD des Doppelalbums ist experimenteller als das zweite. Auf schamanenhaften Gesang folgt z.B. ein psychedelischer Rhythmenwirbel, der in eine schnelle Cumbia mündet; im minimalistischen Rap-Maya treffen die vom Mund erzeugten Töne („Beatbox“) des jungen Hiphopers El Chongo auf den dudelsackähnlichen Sound des 82-jährigen Gaitaspielers Pedro Ramaya; das entspannte Rocksteady-Instrumentalstück Ska Fuentes verliert sich in dubbig verhallten Bläsersätzen.

Die zweite CD versammelt Stücke, die stringent klassisch daherkommen, seien es astreine Salsa-, Descarga-, Mambo- und natürlich viiiiele Cumbia-Stücke. Hier kann der Auftritt der älteren Stars der kolumbianischen Música Tropical genossen werden, etwa von Fruko, der mit seiner Band Fruko y sus Tesos ab den 70er-Jahren mit Hits wie El Preso der kolumbianischen Salsa einen Innovationsschub verpasste. Er war übrigens so begeistert von den Aufnahmen für Ondatrópica, dass er länger als geplant dabei blieb und Obstsalat für die MusikerInnenschar zubereitete. Ebenso am Start Akkordeonist Aníbal Velásquez, Cumbia- und Vallenato-Superstar, der bereits in den 50er-Jahren als Teenager auf Konzerten und in Spelunken aufspielte.

Die textverliebte Rezensentin hätte sich insgesamt mehr Gesangsparts gewünscht, was gerade den experimentelleren Tracks mehr Seele gegeben hätte. Gleichzeitig unterstreichen die stark vertretenen Instrumentalstücke den Session-Charakter der Aufnahmen. Das Doppelalbum passt zum aktuellen Retro-Zeitgeist, der der Musik vergangener Epochen huldigt. Da aber Ondatrópica nicht nur eine Kopie des Alten, sondern auch Weiterentwicklungen und abwegige Fusionen darstellt, unterwerfen wir uns mit Hingabe dem Kommandanten des guten musikalischen Geschmacks…

Ondatrópica, Soundway Records, VÖ: Juli 2012