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Commons für alle?

Zwei neue Bücher zu Allgemeingütern
Werner Rätz

Seit einigen Jahren gibt es eine verstärkte Debatte um die Allgemeingüter, sowohl in der politischen als auch der wissenschaftlichen Literatur nehmen die Veröffentlichungen zu. Der Nobelpreis an Elinor Ostrom 2009 hat zu dieser verstärkten Aufmerksamkeit mit beigetragen. Der Ansatz der eher bürgerlichen Forscherin ist dabei sehr viel pragmatischer als derjenige der HerausgeberInnen der beiden hier besprochenen Bücher, die sich in der strategischen Bedeutung der Commons (so zumindest die bei ihnen vereinheitlichte Sprachregelung zur Bezeichnung ihres Gegenstandes) für eine fortschrittliche Politik einig sind. Ansonsten sind ihre Herangehensweisen und Absichten erkennbar unterschiedlich.

Helfrich legt ein Kompendium mit deutlich über 70 Artikeln vor, die in fünf Kapiteln geordnet sind. Da geht es erstens darum, einen Begriff der Commons zu gewinnen und die Debatte zu verorten. Im zweiten Teil wird gezeigt, wie die Commons auch heute unter Privatisierungsdruck stehen, wie sie eingehegt sind und werden. Wie Lebensbereiche als Allgemeingüter zu denken wären, wie Projekte zu ihrer Gestaltung aussehen könnten und wie schon versucht wird, sie aufzubauen, darum geht es in den nächsten beiden Kapiteln. Im letzten Teil werden Vorschläge für konkrete umfassende Commons diskutiert, um Politik neu denkbar zu machen. Insgesamt befassen sich ein gutes Dutzend der Artikel mehr oder weniger ausführlich mit Lateinamerika.

Der Anspruch, mit dem Buch einen Einblick in die Vielfalt, durchaus auch Widersprüchlichkeit der Debatte und der realen Bewegung um die Commons zu geben, wird sicherlich erfüllt. Und nicht nur der großen Zahl der Beiträge ist es geschuldet, dass der Rezensent sie als höchst unterschiedlich nicht nur in Form und Anspruch, sondern auch in ihrer politischen Bedeutung wahrgenommen hat. Bei einigen Texten hätte man sich einen größeren Umfang und damit die Möglichkeit gewünscht, mehr in die Tiefe zu gehen. Andere sind höchst informativ oder diskutieren zentrale Fragen aktueller politischer Auseinandersetzungen. Einiges wirkt aber auch recht abgehoben und gelegentlich peinlich, wenn Werbung für eine private Krankenversicherung plötzlich als Commons daher kommt.

Dieser Punkt verweist auf ein zentrales Defizit der gesamten Commons-Debatte, das im Buch zwar immer wieder sichtbar, aber nirgendwo ausdrücklich diskutiert wird: In vielen Texten wird durchaus darauf hingewiesen, dass Allgemeingüter nicht nur interner Regeln, sondern auch allgemeiner rechtlicher Anerkennung und Sicherheit bedürfen. So werden z. B. „der Staat und seine Behörden mit ihren Zuständigkeiten auf verschiedenen Ebenen als unerlässliche Akteure für das effektive Management natürlicher Ressourcen genannt“ (S.457). Dennoch denken und reden die AutorInnen immer nur über Gemeinschaften, niemals aber über Gesellschaft. Der Unterschied: In eine Gemeinschaft kann ich ein- und auch wieder austreten. Das hat den Vorteil der Selbstbestimmung, aber auch den Nachteil, dass die Dinge nur für diejenigen geregelt sind, die zur entsprechenden Gemeinschaft gehören. Probleme, die alle haben oder mal bekommen werden, wie z.B. Krankheit, können nur gesellschaftlich geregelt werden. Doch von der Gesellschaft als einer Zwangsveranstaltung, aus der ich nicht austreten kann, hat die Commons-Bewegung kaum einen Begriff. Lediglich einzelne Beiträge gehen darauf ein: „Der Einschluss aller ist zwar prinzipiell und strukturell in der Logik der Commons angelegt, aber er setzt sich dennoch nicht automatisch durch (…)“ (S. 65).

Das ist auch bei Exner/Kratzwald nicht anders, aber dort eher politisches Programm. Sie betonen, dass „eine solidarische Postwachstumsökonomie nur entstehen (kann), wenn vereinzelte Solidarische Ökonomien und Commons ihren eigenen Binnenprinzipien folgend kooperieren und sich verbinden“ (S.92). Hier gibt es keinerlei Vorstellung vom Staat als rechtlichem Garanten der Allgemeingüter, für die AutorInnen ist die Idee einer auf Commons basierten Politik gleichbedeutend mit einer Bewegung, die den Staat und den Markt durch Commons zurückdrängt und letztlich ersetzt. Deshalb betonen sie, dass Commons „Bestandteil übergreifender sozialer Kämpfe“ (S. 125) sein müssen: „Commons als soziale Aushandlungsprozesse darüber, wie mit lebensnotwendigen Ressourcen umgegangen werden soll, Solidarische Ökonomie als Produktion von Gebrauchswerten durch und für ,Prosumenten'“ (S.133).

Exner/Kratzwald schreiben erkennbar als politische Akteure. Zwar beschreiben sie die Debatte und die Kämpfe um die Commons zwar kürzer als Helfrich, aber mit ihr in zentralen Punkten einig, etwa dem, dass Commons nicht sind, sondern gemacht werden, und dass sie ständig gefährdet sind. Aber sie beschreiben von einem expliziten Standpunkt her. Das ist erfrischend, wenn man diesen Standpunkt teilt, und provoziert Widerspruch, wenn man es nicht tut. Ob das Büchlein damit allerdings nicht viel mehr ein gelungener Debattenbeitrag als eine Einführung ist, könnte man diskutieren. Auf jeden Fall handelt es sich um zwei auf völlig unterschiedliche Art informative und weiterführende Bücher.

Silke Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.), Commons. Für eine neue Politik jenseits von Staat und Markt, transcript-Verlag, Bielefeld 2012, 528 Seiten, 24,80 Euro

Andreas Exner, Brigitte Kratzwald (Hg.), Solidarische Ökonomie & Commons, Mandelbaum kritik & utopie, Wien 2012, 140 Seiten, 10,- Euro