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Nicaragua-Solidarität in BRD und DDR

Buchbesprechung
Helmut Schaaf

Ein Buch, das die Nicaragua-Solidarität in der BRD und der DDR darstellen will, muss natürlich zunächst einmal die sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen, in denen sich die AktivistInnen bewegten, reflektieren.

Die Stärke der bundesdeutschen Solidarität rührte zum Beispiel auch aus den reichlich genutzten Möglichkeiten, die sandinistischen Bemühungen um eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse vor Ort anschauen zu können. Dazu gehörten die bald nach dem Sturz Somozas durchgeführte landesweite Alphabetisierungskampagne, das Vorhaben, gesundheitliche Versorgung allen Menschen zugänglich zu machen, die angestrebte Landreform, die brachliegende Ländereien der Großgrundbesitzer an landlose Landarbeiter und Kooperativen verteilen wollte. Ebenso optimistisch machte das Zusammengehen mehrerer politischer Strömungen in der Regierungsjunta als eine der Facetten, die Nicaragua zum Hoffnungsträger werden ließen.

Während die Bundesregierung unter Kohl ihre staatliche Unterstützung einstellte, bildeten sich zahlreiche Basisgruppen, die konkrete Hilfe vor Ort leisteten. Dabei erwies sich manche der deutschen Basisaktivitäten im Alltag der NicaraguanerInnen als hilfreich. Vieles nutzte trotz des guten Willens letztlich wohl mehr der eigenen Entwicklung und blockierte vielleicht sogar die eine oder andere Ressource, die woanders nötiger gebraucht worden wäre. 

Die DDR-Führung erklärte die Solidarität mit Nicaragua zur Staatsdoktrin. In der Folge wird bis heute das Andenken an den „Arbeiter- und Bauernstaat“ und seine Entwicklungsprojekte, etwa das Krankenhaus „Carlos Marx“ in Managua und die Ausbildungsstätte „Ernst Thälmann“, gepflegt. Noch im Juli 2008 verlieh Nicaraguas Staatspräsident Daniel Ortega der Witwe Erich Honeckers einen Orden für die frühere Unterstützung der DDR bei der Alphabetisierung-skampagne, was man in der Gesamtbundesrepublik nicht wirklich begrüßen konnte und in dem Buch „Ostalgie international“ von W. Volks kritisch beleuchtet wird. (vgl. Thomas Kunze und Thomas Vogel, Hg., 2010, Ostalgie international. Erinnerungen an die DDR von Nicaragua bis Vietnam. Ch. Links Verlag)

Die Möglichkeiten der nicht staatlich geschickten DDR-BürgerInnen waren deutlich eingeschränkter und hingen von zahlreichen Vorgaben ab, wobei kirchlich organisierte Gruppen neben der offiziellen Solidarität ihre eigenen Wege gingen. 

Getroffen haben sich Ost- und West-Engagierte dann oft in Nicaragua. Teilweise waren es „Begegnungen der dritten Art“ mit den Deutschen aus dem jeweils anderen Land und ihren politischen Anliegen. Mit welchen Abgrenzungen und mit welchen Annäherungen diese Begegnungen vonstatten gingen, wird in dem Buch beschrieben. Wo war Zusammenarbeit möglich, wo wurde sie angestrebt, wo grundsätzlich verhindert? Wurden überhaupt und wenn ja, wie wurden politische Differenzen ausgetragen? Entwickelten sich persönliche, freundschaftliche Kontakte? Wie lief die Kontrolle, Einschüchterung für SolidaritätsarbeiterInnen aus der DDR und für jene aus der BRD? War es so, dass von beiden Seiten die mitgebrachte unüberwindbare Grenze akzeptiert wurde? Wo waren die Geheimdienste präsent?

Dazu berichten Reisende aus Ost und West in dem gesamtdeutsch angelegten Buch E. Harzer und W. Volks von ihren damaligen Beweggründen. Ausgewertet wurden auch die Überwachungsprotokolle der Staatssicherheit und geheime Unterlagen zur Militärkooperation. 

Klaus Heß und Willi Volks schauen aber auch, wie sich die Solidaritätsarbeit für Nicaragua in Ost und West nach dem Mauerfall 1989 weiterentwickelte. Am Ende stellen EIRENE, El Rojito, das Informationsbüro Wuppertal, INKOTA-Netzwerk, KATE, das Ökumenische Büro für Frieden und Gerechtigkeit, das Ometepe-Projekt Nicaragua, Pan y Arte e. V., die Städtepartnerschaft Jena-San Marcos und der Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Kreuzberg-San Rafael del Sur e. V. ihr gegenwärtiges Engagement in Nicaragua vor. Schließlich kommentieren die Herausgeber die heutige Situation im Land.

Insgesamt handelt es sich um ein äußerst informatives Buch, das nicht nur Einblicke in die (gesamt-)deutsche Solidaritätsgeschichte bietet, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur Mentalitätsgeschichte und zur Geschichte der Entwicklungspolitik der Deutschen leistet. 

Erika Harzer und Willi Volks (Hg.): Aufbruch nach Nicaragua. Deutsch-deutsche Solidarität im Systemwettstreit, Ch. Links Verlag 2009. 248 Seiten, 19,90 Euro