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Mit dem toten Hund hört die Tollwut auf

Der Film „Angekommen in El Porvenir“ zeigt den Alltag hinter honduranischen Gefängnismauern
Britt Weyde

Im Jahr 2010 sind in Honduras 17 Menschen ermordet worden. Täglich. Die Pro-Kopf-Mordrate von Honduras gehört zu den höchsten weltweit, sie ist doppelt so hoch wie in Kolumbien. Monseñor Rómulo Emiliani von der Diözese San Pedro Sula ist verzweifelt: „Eine halbe Million Waffen gibt es im Land, per Gesetz sind sogar fünf Waffen pro Person erlaubt!“ Honduras ist in den letzten Jahren zu einem Drogenstaat geworden, Banden wie die Mara 18 finden regen Zulauf, die Straflosigkeit ist seit dem Putsch 2009 gestiegen. Einige Straftäter landen jedoch hinter Gittern, wie überall auf der Welt eher die kleinen Fische. Vier von ihnen werden im neuesten Film von Erika Harzer und Rainer Hoffmann, Angekommen in El Porvenir, porträtiert. 

In der Strafanstalt El Porvenir, die acht Kilometer außerhalb der Hafenstadt El Ceiba liegt, sitzen 411 Gefangene ein, die meisten wegen Raub oder Vergewaltigung, 32 sind Bandenmitglieder. Tagsüber bewegen sich die Häftlinge frei auf dem Gelände, spielen Fußball, betreiben kleine Geschäfte oder hängen ab.

Gefängniswächter sind nur außen am Gebäude im Einsatz. Für die innere Ordnung sorgen die Insassen selbst, mit Hilfe einer strengen Hierarchie. „Hätten wir hier keine Kontrolleure, gäbe es täglich mindestens einen Ermordeten“, meint der Häftling José Antonio Flores. Er war Chef einer Stadtteilbande. „Hier gibt es keine normale Arbeit, außer vielleicht in der Möbelwerkstatt.“ Da ihm aber ein Teil der Lunge fehlt, ist das nichts für ihn. Er hat andere Einkommensquellen, „der Drogenverkauf geht weiter, aber hier passiert nichts Schlimmes. Schlimm wäre, wenn jemand abgeknallt würde.“ Besonders für die ehemaligen Bandenmitglieder ist der Knast ein Schutzraum. „Solange sie im Gefängnis sind, wird ihr Leben als Ausgetretene respektiert. Als Entlassene wird es für Ex-Bandenmitglieder gefährlich“, stellt Gefängnisdirektor Jorge Regalado Hernández nüchtern fest.

Bis zu 22 Gefangene teilen sich eine Zelle, auf Spanisch euphemistisch als hogar („Heim“) bezeichnet. Von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens sind die Insassen in ihren Zellen eingesperrt. Julio Bolton ist auf der Straße aufgewachsen und schloss sich der Jugendbande Mara 18 an. Der zierlich wirkende junge Mann mit akkurat rasiertem Bart erklärt die 17 Regeln des Zusammenlebens: „Wer dagegen verstößt, wird bestraft, er muss dann z.B. ein oder zwei Tage lang saubermachen.“ Er selbst hat sich von einer der obersten Pritschen auf eine besser erreichbare Schlafstätte heruntergearbeitet, indem er für andere Häftlinge Wäsche gewaschen oder kleinere Aufträge übernommen hat. „Hier wird einem nichts geschenkt“, sagt er und grinst dabei. 

Die 46-jährige Schweizerin Coni Lustenberger macht seit fünf Jahren Freiwilligenarbeit in El Porvenir. Sie organisiert z.B. einen Alphabetisierungs- kurs für die knapp zehn Prozent Analphabeten im Knast und erledigt Behördengänge für Häftlinge. Ein Kreis von privaten UnterstützerInnen aus der Schweiz ermöglicht ihre Arbeit. „Viele fragen mich, ob ich nicht Angst habe. Aber ich sage den Leuten, dass ich mich im Gefängnis sicherer fühle als beim Herumlaufen in der Stadt La Ceiba.“ Lustenberger kritisiert das langsame und chaotische Justizsystem. Einige Häftlinge sitzen teilweise fünf Jahre ohne Gerichtsurteil hinter Gittern. Staatliche Mittel für Resozialisierung gibt es nicht, dabei „könnten viele resozialisiert werden“, so Monseñor Rómulo Emiliani. Einige verdienen sich mit Kunsthandwerk etwas hinzu, z.B. mit dem Knüpfen von Armbändern. Wie die harten Jungs eifrig bunte Fäden zusammenfügen, das hat schon etwas Anrührendes. Die Kamera schwenkt weiter und nimmt andere in den Fokus, die cool in der Ecke sitzen. Sie beteiligen sich nicht am kollektiven Knüpfen. 

„Das Gefängnis spiegelt die Armut und die fehlenden Möglichkeiten im Land wider“, meint die Sängerin und Aktivistin Karla Lara (siehe Beitrag auf S. 27). Auch für Kirchenmann Emiliani haben ökonomische und soziale Probleme mittlerweile ein unerträgliches Ausmaß erreicht: „Die Leute sind angespannt, werden cholerisch und beim kleinsten Anlass bringen sie sich gegenseitig um.“ Das hohe Gewaltniveau setzt sich im Knast fort. So kamen im Jahr 2003 bei einem Massaker in El Porvenir 69 Personen ums Leben, 61 davon waren Mareros, Bandenmitglieder. Für Karla Lara steht fest: Die honduranische Gesellschaft weint den Mareros keine Träne nach, schließlich „hört mit dem toten Hund die Tollwut auf“.

Keine leichte Kost, die der Film serviert, die FilmemacherInnen bauen jedoch genügend stille Sequenzen und ruhige, teils kunstvolle Aufnahmen ein, um das Ganze auch verdauen zu können. Die vier porträtierten Häftlinge werden respektvoll dargestellt und – smart und nett, wie sie rüberkommen – fast schon zu Sympathieträgern, wenn man ihre Vorgeschichte ausblendet. Gegen Ende wird ein Kulturevent gezeigt, von Lustenberger organisiert, bei dem die Insassen selbst auf die Bühne treten, um zu rappen oder Texte vorzutragen. Der ganze Knast scheint auf den Beinen zu sein, um die willkommene Abwechslung mitzubekommen. Ganz am Schluss dann eine Aufnahme von oben: Ein kleiner Kreis macht unter der Anleitung von Coni Lustenberger Yoga. Der blonde Engel und die dunklen Killerboys – ein astreiner, fast schon kitschiger Kontrast. Aber man nimmt es allen Beteiligten ab, was ein Verdienst des Films ist, der uns unaufdringlich an die dahinterstehende Ernsthaftigkeit herangeführt hat.

Erika Harzer/Rainer Hoffmann, Angekommen in El Porvenir, PS Film GmbH 2011, 83 Minuten: