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Lesegenuss pur

Leonardo Paduras Roman über den Mord an Trotzki
Klaus Jetz

In allen seinen Romanen erweist sich Leonardo Padura als Meister der Spannung. Doch der im Frühjahr in deutscher Übersetzung erschienene Roman über den Trotzki-Mörder, „Der Mann, der Hunde liebte“, ist sein Meisterwerk. Mehrere Jahre hat er daran gearbeitet, das Thema ließ Padura nicht mehr los, seit er 1989 Trotzkis Haus im mexikanischen Coyoacán besucht hatte und vor allem als er erfuhr, dass der Mörder Trotzkis seine letzten Lebensjahre unerkannt in Havanna verbracht hatte.

Der Roman stellt uns gleich vor mehrere Herausforderungen: Er ist vielschichtig, historisch komplex, eine politische Abrechnung, kompakt und umfangreich, ein wahrer Lesemarathon und dennoch so fesselnd, dass man ihn kaum aus der Hand legen will. Lesegenuss pur.

Mehrere historische Ebenen rollt Padura auf. Erschütternd sind die Passagen, in denen er die stalinistischen Säuberungen der 1920er und 30er Jahre nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch in Katalonien mitten im spanischen Bürgerkrieg darstellt. Was er über die Kämpfe innerhalb der republikanischen Reihen schreibt, besser über den sowjetisch gesteuerten Krieg im Krieg, der sich gegen Linkssozialisten, Trotzkisten und Anarchisten richtete, gehört mit zum besten, was je über dieses Thema geschrieben wurde. Weitere Stationen sind das nazistische Deutschland kurz vor und zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, das postrevolutionäre Mexiko und das New York der 40er Jahre, dann der Kalte Krieg und der Prager Frühling sowie das castristische Kuba.

Drei Personen sind die Protagonisten des Romans. Zunächst Trotzki, dessen Biografie bis in letzte Detail bekannt ist. In zahlreichen Rückblicken werden immer wieder Trotzkis Taten als Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten und vor allem als Gründer der Roten Armee aufgerollt. Das Wüten der Roten Armee in Polen, der Ukraine und die blutige Niederschlagung des Aufstandes der Kronstädter Matrosen gingen auf Trotzkis Konto. Er war kein Unschuldslamm, unterschätzte aber Stalin. Und der sorgte 1928 für Trotzkis Verbannung nach Alma Ata und schließlich für seine Ausweisung.

Detailliert schildert Padura Trotzkis Exil in der Türkei, in Frankreich, Norwegen und schließlich in Mexiko. Es folgt sein langer Kampf gegen das Vergessen und gegen seine Tilgung aus der sowjetischen Geschichte, die Stalin betrieb. Im Exil entstehen Trotzkis Schriften über die Gefahren des Nationalsozialismus, über den Nationalkommunismus stalinistischer Prägung, über die Moskauer Prozesse und die Person und den Personenkult Stalins. Der sieht zunehmend eine Gefahr in seinem ehemaligen Rivalen, für den Diktator in Moskau ist es bald an der Zeit, Trotzki eliminieren zu lassen.

Stalins Waffe ist der katalanische Kommunist und NKWD-Agent Ramón Mercader, über den die Geschichtsschreibung nicht viel zu berichten weiß. Er wuchs in Frankreich auf, wurde 1935 in Spanien als Kommunist verhaftet, nahm am Bürgerkrieg teil und verschwand schon 1937 in der Sowjetunion. Hier wurde er zu einem Agenten und Killer ausgebildet. Vor dem Krieg hält er sich in Paris auf, wo er Kontakte zu einer nordamerikanischen Trotzkistin knüpft, die ihm schließlich Zugang zu Trotzki ermöglicht. Er versucht dessen Vertrauen zu gewinnen, was ihm schnell gelingt. Am 20. August 1940 erschlägt er Trotzki mit einem Eispickel. Für 20 Jahre verschwindet er in einem mexikanischen Gefängnis, 1960 wird Mercader in die Sowjetunion ausgewiesen. Die vier letzten Lebensjahre von 1974 bis 1978 verbringt Trotzkis Mörder in Kuba. Weiße Flecken in dessen Biografie, insbesondere über die Zeit im spanischen Bürgerkrieg, in der Sowjetunion und Kuba füllt Padura mit fiktiven Passagen.

So führt er etwa eine fiktive Gestalt im Roman ein, den jungen kubanischen Schriftsteller Iván, der für eine Rahmenhandlung sorgt. Iván ist Paduras alter ego. Er begegnet 1978 an einem abgelegenen Strand in der Nähe von Havanna einem mysteriösen todkranken Mann mit zwei Hunden. Natürlich handelt es sich um Mercader, den Stalin bereits 1940 zum Helden der Sowjetunion ernannt und mit dem Leninorden ausgezeichnet hatte. Von Gewissensbissen geplagt erzählt er ihm alle Einzelheiten über den Mord an Trotzki.

„Der Mann, der Hunde liebte“ ist ein antistalinistischer Roman, ein Roman über Fanatismus und politische Verblendung. Padura rechnet ab mit den Auswüchsen des Bolschewismus, mit der Revolution, die ihre Kinder frisst, mit der Terrorherrschaft, die eine Utopie zu Grabe trug. Dabei steigert Padura die Spannung in unerträglicher Weise. Er erzählt nicht linear, sondern nähert sich nur zögerlich dem großen Finale, dem Mord an Trotzki. Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück, weil Ereignisse und Sachverhalte mal aus der Perspektive Trotzkis, mal aus der Ramón Mercaders erzählt werden.

Padura schafft Bilder, die uns im Gedächtnis haften bleiben: Trotzkis Verbannung und Irrfahrt durch Kasachstan, Trotzki in seiner Villa auf einer der Prinzeninseln im Marmarameer, Mercader auf Parteiversammlungen in Barcelona, wo ihn sowjetische Agenten im Frühjahr 1937 zum Kampf gegen die linkssozialistische POUM aufhetzen. So macht der Lesemarathon Spaß, geradezu süchtig. Und es verwundert nicht, dass bereits über die Verfilmung des Romans verhandelt wird.

Leonardo Padura, Der Mann, der Hunde liebte, Zürich (Unionsverlag) 2011, 732 Seiten, 28,90 Euro