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Bilder sind stärker als die Realität

Margrit Schillers autobiografische Erzählung über Exil in Cuba und Uruguay
Britt Weyde

Die Exilgeschichte einer Deutschen aus den 1980er und 90er Jahren – ein recht ausgefallenes Sujet. Welche Person und Vorgeschichte stecken dahinter? Margrit Schiller war in den 70er Jahren wegen Mitgliedschaft in der RAF zwei Mal inhaftiert, insgesamt verbrachte sie sieben Jahre im Gefängnis und litt unter der Isolationshaft. Um einer erneuten Verhaftung zu entgehen, ging sie 1985 nach Cuba und erhielt dort politisches Asyl. Ursprünglich wäre sie gerne nach Mozambique gegangen, doch ihr erstes Exilland wurde die kommunistische Karibikinsel, ein Land, mit dem sie sich zuvor kaum beschäftigt hatte. 

Ein Sprung ins kalte Wasser: Ohne Spanisch zu können, ohne Beschäftigung, dem Wohlwollen der cubanischen Behörden ausgeliefert, startet sie mit 37 Jahren ein neues Leben und einen interkulturellen Lernprozess unter erschwerten Bedingungen, den Einschränkungen und Ungewissheiten des Exils. Geradeheraus, genau beobachtend und selbstkritisch erzählt Margrit Schiller vom Aufeinanderprallen kultureller Vorstellungen und Gewohnheiten. Sie entdeckt z.B., dass es einen anderen, „kreativen“ Umgang mit der Wahrheit gibt. Einer der härtesten Brocken ist das ungewohnt andere Verhältnis zwischen Mann und Frau. Durch ihre Liebe zu dem afrocubanischen Musiker Nicolás Reinoso erlebt und erleidet Margrit Schiller dies am eigenen Leib, so z.B. während ihrer Schwangerschaft: „Nicolás stand dieser Veränderung und meinen Ansprüchen an ihn fassungslos gegenüber. Er hatte schon zwei Kinder, aber mit einem Verhalten wie dem meinen war er noch nie konfrontiert worden. Die kubanischen Frauen machten das unter sich aus.“ 

Doch es geht nicht nur um Persönliches. Politische Reflexionen sind ebenso wichtig, das eine ist vom anderen gar nicht zu trennen. Selten bekommt man so direkte und differenzierte Einblicke in den cubanischen Alltag wie in Schillers Buch, auch die abschreckenden „Besonderheiten“ des cubanischen Systems – Bürokratie, hierarchische Entscheidungen, der Konformismus vieler EinwohnerInnen – werden dargestellt. Und natürlich der ganz spezielle cubanische Rassismus bzw. dessen Totschweigen. 

Gleichzeitig ist Cuba schon damals eine „bunte, laute Welt“ gewesen, in der Gastfreundschaft und Lebensfreude nicht fehlen und in der Kultur, vor allem Musik, einen wichtigen Platz einnimmt. Margrit Schiller genießt auch diese Seiten, allerdings nicht wie andere BesucherInnen der Insel: Schließlich ist sie im Exil und es gibt kein Zurück. Auf ihr lastet der beständige Druck, sich anpassen zu müssen, doch die Aufnahmegesellschaft bewegt sich kaum auf sie zu.

 „Es gab wie überall auch das Sich-nicht-einlassen-wollen“. Das klassische Integrationsdilemma: Von den „zu Integrierenden“ wird viel erwartet, dabei müssten sich auch die „Integrierenden“ bewegen, was meist nicht geschieht. Darunter leidet Margrit Schiller sehr. Mit dem Verlust der Muttersprache sieht sie ihre Identität bedroht: „Keiner kannte mich aus meinem vorherigen Leben. Ich hatte das Gefühl, meine Zunge sei abgeschnitten. Mein Denken verlangsamte sich.“

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks verschärft sich die Versorgungslage auf Cuba, in allen Bereichen finden tiefgreifende Veränderungen statt, der Staatsapparat wird umstrukturiert, so auch die Zuständigkeit für Asylangelegenheiten. Margrit Schillers Status ist plötzlich ungeklärt, niemand fühlt sich mehr für sie verantwortlich. Die zermürbende Ungewissheit und die Angst, dass Cuba zusammenbrechen wird, lassen in ihr den Entschluss reifen, einen zweiten Neuanfang zu wagen.

Im März 1993 geht Margrit Schiller mit ihrem Mann und ihren vierjährigen Zwillingen nach Uruguay, in ein Land, in dem viele Menschen während der Militärdiktatur Erfahrungen mit Exil und Gefängnis gemacht haben. Schiller erhofft sich Begegnung und Austausch und die Überwindung ihrer Einsamkeit. Doch in Uruguay stößt sie ebenso größtenteils auf Vorurteile und Engstirnigkeit, auch bei politischen AktivistInnen. 

Das alltägliche Überleben gestaltet sich weiterhin als Kampf. Das Gefühl der Fremdheit, des Ausgeschlossenseins hört nicht auf, verstärkt sich sogar. Eine paradoxe Situation: Uruguay ist aufgrund seiner Einwanderungsgeschichte Deutschland kulturell näher, Margrit Schiller kann mittlerweile gut Spanisch, hier könnte sie sich mit einigen Frauen über ihre Erfahrungen austauschen – aber sie gehört nicht dazu. Immer wieder begegnet ihr die Macht der Bilder: Bei einer deutschen, weißen Frau wird vorausgesetzt, dass sie bestimmte Privilegien hat. Ihre Vorgeschichte, ihre Erfahrungen mit politischem Kampf, mit Illegalität und Knast werden ausgeblendet bzw. es wird erst gar nicht danach gefragt. So sieht sie ja auch gar nicht aus. Der Titel des Buches – der auf den ersten Blick ein wenig farblos wirkt – passt letztlich doch ganz gut. 

Zuweilen streut die Autorin zeitgeschichtliche Erläuterungen ein, die in wenigen Zeilen wesentliche Informationen liefern, z.B. zu Uruguays Verschwundenen oder den von den Militärs geraubten Kindern. Das Buch ist sehr gut lesbar, der Stil lakonisch, bisweilen bissig, vor allem wenn es um Männer geht. Das Ende der Erzählung wirkt ein bisschen hastig, doch es entspricht wohl der Realität. Als in Uruguay im Zuge der Banken- und Wirtschaftskrise 2001/2002 nichts mehr geht, vollzieht Margrit Schiller einen „schnellen Schnitt“ und bereitet die Rückreise nach Deutschland vor. Gerne hätte man noch mehr über das Ankommen und Einleben nach dem Exil erfahren, aber das ist ja nicht Gegenstand der Erzählung. Vielleicht in ihrem nächsten Buch.

Margrit Schiller, So siehst du gar nicht aus! Eine autobiografische Erzählung über Exil in Kuba und Uruguay, Assoziation A, Hamburg 2011, 172 Seiten, 16,- Euro