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Eigentlich fühle ich mich hier wohl

Alltagsrassismus in Deutschland
Sigrid Becker-Wirth

In einer Broschüre des Vereins Opferperspektive Brandenburg berichten sieben MigrantInnen über ihren Alltag in der Landeshauptstadt Potsdam. Die meisten Menschen, mit denen die HerausgeberInnen sprachen, sehen sich als PotsdamerInnen und leben gern hier – eigentlich, trotz der Ablehnung, die ihnen deutscherseits entgegenschlägt. Die Berichte zeigen in erschreckender Weise, wie Menschen, die keine weiße Hautfarbe oder deutsche Herkunft haben, von Mitmenschen beleidigt und herabgewürdigt werden. „Jeden Tag, wenn man nach draußen auf die Straße geht, muss man etwas Schlimmes über Ausländer oder Schwarze hören.“ Eine Realität, die so gut wie nicht zur Kenntnis genommen wird und leider nicht auf Brandenburg und seinen Alltag begrenzt ist. 

Die einzelnen Berichte sind kommentarlos von Zitaten und Umfragezahlen aus der Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes umrahmt. Diese Studie zeigt, wie in nahezu allen Milieus starke emotionale Vorbehalte gegenüber Ausländern und MigrantInnen angesiedelt sind. Die Ablehnung geht bis zum blanken Hass gegenüber den Menschen anderer ethnischer Herkunft.

Die kurzen und eindringlichen Erfahrungsberichte vermitteln dem Leser oder der Leserin ein Gefühl dafür, was Rassismus bedeutet. Die Menschen erzählen einfach ihre Alltagserfahrungen: Die Nachbarn grüßen nicht, der Platz neben einer Migrantin in einer voll besetzten S-Bahn bleibt frei oder die Migrantin wird in der Bahn ständig angeglotzt, Ausländer werden einfach geduzt oder gefragt, wann fährst du wieder nach Hause? „Die Kinder erzählen mir manchmal Sachen, von denen ich völlig schockiert bin. Für sie ist das aber völlig normal, weil denen das einfach ständig passiert. Einem Kind zu sagen: ,Geht doch wieder dahin zurück, wo ihr hergekommen seid, wenn es dir hier nicht passt', das geht einfach nicht,“ schreibt eine Frau, die mit einem Afrikaner verheiratet ist und drei Kinder hat. Die Tatsache, dass der tägliche Rassismus von den Betroffenen als normal empfunden wird, ist besonders erschreckend. „Beleidigt wurde ich in Potsdam schon oft: ,Hey Schwarzer!', ,Neger!' oder so. Aber wenn man mich nicht angreift, dann ist das kein Problem...ich kann nicht jeden anzeigen, der zu mir ,Neger' sagt.“

Der Bericht von Herrn C., der vor 25 Jahren aus Pakistan zum Studium nach Deutschland kam, lässt erahnen, was diese alltäglichen Erfahrungen der subtilen Mechanismen der Ausgrenzung für die Betroffenen bedeuten und wie zerstörend sie auf Dauer sind. Der Dolmetscher besitzt inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft und lebt mit seiner Familie in einem Einfamilienhaus. Nun möchte er zurück nach Pakistan, weil er die Gehässigkeiten nicht mehr aushält, denen insbesondere seine Kinder ausgesetzt sind. Pakistan aber ist für die Kinder ein fremdes Land. „Ich will die Kinder nicht zwingen, mit nach Pakistan zu kommen, denn dort gibt es ja auch eine ganz andere Sprache. Und sie kennen ja gar nichts anderes als Potsdam… Hier sind sie zu Hause und ich möchte ihnen nicht ihr Zuhause wegnehmen. Aber für mich ist es nicht so. Innerlich kann ich das nicht akzeptieren: Ich bin hier ein Fremder und bleibe auch einer. Es ist egal, ob ich einen deutschen Pass habe, das spielt gar keine Rolle... Aber die Deutschen lassen auch nicht zu, dass sich die Ausländer hier integrieren. Die Kinder können nur Deutsch, die haben gar nichts Pakistanisches, nur meinen Namen. Wenn die Leute dann sagen, das sind ausländische Kinder, das verstehe ich nicht.“

Praktische Tipps gegen das Wegschauen und Weghören und für Interventionen werden in einer grünen Karte für Zivilcourage und in einem Begleittext gegeben. „Alltagsrassistische Äußerungen fallen aber oft auch laut, im öffentlichen Raum, wo sie gehört werden sollen. Wie der oder die ErzählerIn eines Polen- oder Blondinenwitzes baut man auf die Lacher und die nonverbale Zustimmung der Umstehenden. Da auf bekannte Stereotype zurückgegriffen wird, wissen alle, was gemeint ist. Als passiv Zuhörende wird man eingeschlossen in die mächtige Mehrheit. Schweigen bedeutet in einer solchen Situation immer Zustimmung – sowohl aus der Perspektive der Betroffenen als auch aus der Perspektive derjenigen, die sich durch dieses Verhalten über andere stellen wollen.“ Knapp und präzise wird der „Rassismus im Alltag“ in diesem Begleittext analysiert und aufgezeigt, dass in unserer Gesellschaft „die Einteilung und Bewertung von Menschen nach Herkunft, Hautfarbe oder Religion ,normal' erscheint und breit akzeptiert wird“. 

Die Broschüre umfasst zudem einen Adressteil von Kontakt- und Beratungsstellen. Alle Texte sind gut geeignet zum Einsatz in der Schule oder in der Erwachsenenbildung. 

Opferperspektive e.V. (Hg.): Eigentlich fühle ich mich hier wohl – Alltagsrassismus in Potsdam; Bezug gegen Erstattung der Portokosten: Opferperspektive e.V., Rudolf-Breitscheid-Str. 164, 14482 Potsdam, Tel. 0331/8170000 oder www.opferperspektive.de/Dokumente/Publikationen/Alltagsrassismus/... (als pdf-Datei)