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Don Teo und seine Familie

Auf der Suche nach den verschwundenen Kindern El Salvadors
Eduard Fritsch

Don Teo ist noch heute ein stattlicher Mann. Der Bauer baut hoch in den Bergen von Chalatenango wie selbstverständlich Mais und Bohnen an. Er ist nach dem Krieg an den Ausgangspunkt seines Lebens, seiner Kriegsgeschichte und seiner Tragödie zurückgekehrt. Damals, Mitte der 70er Jahre, gründete er mit María eine Familie: 1975 kam Josef auf die Welt, 1977 Ana und 1979 Berta. Als im Januar 1981 Paula geboren wurde, war Teo bereits bei der Guerilla. Fünf Tage nach Paulas Geburt brach das Unglück über die Familie herein. In der Gegend, in der María mit den vier Kindern weiter lebte, rekrutierte und operierte die Guerilla. Im Februar 1981 kam eine Einheit der 4. Infanteriebrigade in die Berge, um das Gebiet zu „säubern“, die verbliebene Zivilbevölkerung zu ermorden, die Häuser und Felder niederzubrennen und Kinder zu verschleppen. Das Verschleppen und „Verschwindenlassen“ von Kindern gehörte zur Taktik der „verbrannten Erde“. Die „subversive Brut“ musste umerzogen werden, hieß es. Tatsächlich war mit Beginn des offenen Krieges in jenen Jahren schnell ein florierendes Adoptionsgeschäft entstanden. 

Don Teos Frau María, die sich mit den Kindern in einer Höhle versteckt hatte, wurde umgebracht, die vier Kinder verschleppt. Das Baby Paula griff sich der Offizier, der die Operation leitete; sie ist in El Salvador geblieben. Ana und Berta kamen aus der Kaserne in verschiedene Waisenhäuser, von wo sie mit Hilfe von Anwälten, die längst das gute Geschäft gewittert hatten, zur Adoption ins Ausland vermittelt wurden. Fünf Tage nach dem tödlichen Überfall kam Don Teo nach Hause, das keines mehr war, und begrub seine erste Frau. Fünf Jahre später gründete er eine neue Familie, mit der er noch heute zusammenlebt. Zunächst herrschte aber noch lange Jahre Krieg.

Noch an der Front hörte Don Teo 1987 von einer „compa“, die 1981 in die Kaserne der 4. Infanteriebrigade verschleppt worden war, dass sie dort seine vier Kinder gesehen hatte. Dann passierte wieder ein paar Jahre lang nichts. 1992 war der Krieg zu Ende, die Friedensverträge wurden unterschrieben, die unter anderem die Einrichtung einer Wahrheitskommission vorsahen. Im Rahmen der Feldforschung der Kommission wurde der Jesuitenpater Jon Cortina, der seit 1987 eine Gemeinde in der Konfliktzone von Chalatenango betreute, mit dem Phänomen der verschleppten und verschwundenen Kinder konfrontiert. Ein paar Mütter, die nach Kriegsende die Suche nach ihren verschwundenen Kindern aufgenommen hatten, wandten sich an ihn. Padre Jon nahm sich zusammen mit ein paar HelferInnen der Sache an. So entstand der „Verein für die Suche nach den im Krieg verschwundenen Kindern“ (bekannt als Pro Búsqueda), der bald fündig wurde und sich schnell einen Namen machte. 1995 wandte sich Don Teo an Pro Búsqueda – nur konnte er außer dem Datum der Militäroperation und dem Hinweis auf die Zeugin, die seine vier Kinder noch lebend in der Kaserne gesehen hatte, nicht viel zur Suche beitragen. 

Pro Búsqueda hatte damals aber schon u.a. damit begonnen, die Archive der Familien-, Kinder- und Jugendgerichte zu durchforsten, und fand dort tatsächlich Adoptions-Unterlagen sowie die Original-Geburtsurkunden von Josef und Ana. Bis Josefs und Anas Adoptiveltern in den USA bzw. in der Schweiz gefunden und Kontakte aufgenommen waren, vergingen wieder ein paar Jahre. Während Josefs Adoptiveltern offen waren für eine Wiederbegegnung ihres Adoptivsohnes mit seiner biologischen Familie, blockten die Adoptiveltern von Ana zunächst ab. 2001 kam Josef mit inzwischen 26 Jahren, 20 Jahre nach dem fatalen Tag in den Bergen, mit seinem Adoptivvater Bob nach El Salvador, um seinen leiblichen Vater wiederzutreffen und dessen neue Familie kennenzulernen. Paula, die behütet mit ihrer Adoptiv-Mutter in einer Offizierssiedlung in San Salvador aufgewachsen war, las in der Tagespresse eine Notiz über die Wiederbegegnung ihres Bruders Josef mit seinem – und ihrem – leiblichen Vater. 

Mit Josef und seinem Adoptivvater Kontakt aufzunehmen, mit beiden zusammen und mit ihrer Adoptivmutter und ihren Adoptivschwestern in die Berge von Chalatenango zu Don Teo zu fahren, war eine Frage von wenigen Tagen. Ein Jahr später gelang es Pro Búsqueda, direkten Kontakt mit Ana in der Schweiz aufzunehmen, während Berta erst Ende 2004 – ebenfalls in den USA – lokalisiert wurde. Zwischen Paula und Ana gab es in den Folgejahren sporadischen Kontakt, weil die gebildete Paula zeitweise in den USA studiert hatte und der Schweizer Lebensgefährte von Ana Englisch kann. Ana ist schließlich im Juli 2006, mit knapp 30 Jahren, nach El Salvador gekommen, um nach 25 Jahren ihren leiblichen Vater wieder zu treffen. Berta hat im Verlaufe der eher schleppenden Kommunikation mit Pro Búsqueda gelegentlich angedeutet, dass sie vielleicht auch einmal kommen wird. So hat Don Teo seine vier im Krieg verschleppten und verschwundenen Kinder wiedergefunden, ist auch schon mehrfach Großvater geworden – aber einen regelmäßigen, wenn auch spärlichen Kontakt hat er nur mit Ana, demnächst vielleicht auch wieder mit Paula.