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Ein Mord in El Salvador

Die mutmaßliche Hinrichtung des Christian Poveda

„Christian Poveda wurde Opfer einer Gewalt ohne Namen, ohne Gesetze, ohne Regeln. Einer von 
12 oder 13 Menschen, die in El Salvador täglich ermordet werden.“ Das ist die bittere Bilanz Juan José Daltons, des Autors des nachfolgenden Beitrags über die Ermordung des französisch-salvadorianischen Filmemachers und Journalisten Christian Poveda am 2. September 2009 in San Salvador.

Juan José Dalton

Tausend und ein Mal ist es gesagt worden: In dem Krieg, den El Salvador derzeit erlebt, weiß man nicht, von wo die Kugeln kommen könnten. Während des vergangenen internen Krieges waren die Kriegsparteien politisch und ideologisch definiert; dazwischen war die Zivilbevölkerung, manchmal als ZuschauerInnen, manchmal aktiv beteiligt, kurz: Die Scheidungslinien waren klar.

Heute kann jemand erpresst oder ermordet werden, völlig unabhängig von seiner sozialen Lage oder seiner politischen Einstellung. Der Handelsbeauftragte der US-Botschaft in El Salvador, Robert Blau, hat vor kurzem öffentlich beklagt, dass mehrere MitarbeiterInnen der Botschaft erpresst wurden – nicht weil sie Angestellte der US-Regierung sind, sondern weil sie in diesem Land arbeiten. So etwas ist noch nie passiert. Die Botschaft war während des Krieges Zielscheibe der Guerilla, weil die Regierung in Washington die salvadorianischen Streitkräfte unterstützte.

Der französisch-spanische Journalist Christian Poveda, der am 2.September dieses Jahres ermordet wurde, wusste, wie riskant sein letztes Unternehmen, ein Dokumentarfilm über die Bandengewalt in El Salvador, war. Aber vielleicht hat er sich nie vorgestellt, dass jene, denen er helfen wollte, aus dem „elenden Leben, in das sie hineingeboren wurden“, rauszukommen, ihn umbringen würden. Mit „elendem Leben“ beschreiben sie die Ursachen des Jugendbandenwesens: Armut, Gewalt, zerrüttete Familien und absolute Vernachlässigung seitens des Staates.

Fünf Pandilleros (Bandenmitglieder) der M18 (eine der beiden „Dachorganisationen“ der Jugendbanden) und ein Polizist wurden eine Woche nach dem Mord verhaftet. Poveda wurde mit vier Schüssen ins Gesicht ermordet und sein Leiche auf einer staubigen Landstraße im Cantón El Rosario liegen gelassen, einem Bezirk im Herrschaftsgebiet einer der gewalttätigsten Banden des Landes. Es ist schwer, sich die letzten, angstvollen Minuten Povedas vor der Ermordung vorzustellen. Was hat er gesagt? Was hat er gedacht, als ihm klar wurde, dass sie ihn umbringen würden? Vielleicht haben sie ihm nicht einmal Zeit gelassen, überhaupt zu denken, sich gegen ihre Beschuldigungen zu wehren. Dort, wo man seine Leiche fand, gab es keine Anzeichen von Kampf, nur die sterblichen Überreste des Mannes mit vier Kugeln im Gesicht. „Mehrere andere Ermordete zeigen dieselben Hinweise auf eine Hinrichtung.“, kommentiert ein Ermittler.

Poveda war kein Unbekannter für die Pandilleros der „18“. Seit 2007, noch während der Umsetzung des offiziellen Manos Duras-Programms (Politik der harten Hand), das zur Bekämpfung der Maras den Schwerpunkt auf Repression legte, hatte Poveda Kontakt zu Pandilleros. Sie stimmten nach einer umfangreichen Photoserie von Mareros (Bandenmitglieder) in den Gefängnissen seinem Plan zu, im Stadtteil „La Campanera“ von Soyapango, in den sich die Polizei nur in Konvois und schwerbewaffnet traut, einen Dokumentarfilm zu drehen. 18 Monate lang hat er gefilmt und herausgekommen ist dabei der beeindruckende Film La vida loca („Das verrückte Leben“), der Ende letzten Jahres auf verschiedenen Festivals und Foren gegen die Gewalt in Lateinamerika gezeigt wurde.

Die Ermittlungen der Polizei weisen darauf hin, dass Poveda auch nach Abschluss des Films den Kontakt zu den Pandilleros von „La Campanera“ aufrechterhielt. Seine nächsten Freunde bestätigen das und ergänzen, dass er daran dachte, einen weiteren Dokumentarfilm zu machen, speziell über die Frauen in den Maras. Auch wollte er auf der Grundlage seiner Kontakte eine „Friedens“brücke zwischen der „18“ und ihren Erzfeinden von der „Mara Salvatrucha MS-13“ bauen. Denn es sind nur kurze Zeiten bekannt, in denen sich die beiden Banden nicht gegenseitig angriffen.

Einige Beobachter sagen, dass man zur Lösung des Bandenproblems mit den Mitgliedern der Pandillas „verhandeln“ muss. Andere, wie der derzeit amtierende Generalstaatsanwalt (inzwischen ersetzt durch einen ordentlich gewählten; A.d.Ü.) glauben, dass es mit den Verbrechern nichts zu verhandeln gäbe.
Das verrückte Leben der Gewalt, das die Menschen in El Salvador plagt, hat diesem bekannten und wagemutigen Journalisten einen bösen Streich gespielt. Ausgerechnet ihm, der fest davon überzeugt war, dass die Repression und die Marginalisierung der Jugend in hoch verarmten und vergessenen Zonen keine Lösungen für das Bandenunwesen sind. In El Salvador wird die Anzahl der Pandilleros auf über 60 000 geschätzt; 7000 von ihnen sitzen im Gefängnis. Ein Abschluss des Themas ist nicht in Sicht. Die Guerilla brachte es während des Krieges in den achtziger Jahren auf knapp 7000 bewaffnete KämpferInnen, nicht mehr. Nur als Hinweis auf die Größenordnung des schwebenden sozialen Konfliktes.

Die Polizei hat herausbekommen, dass es innerhalb der „18“-Clica Meinungsverschiedenheiten und Rivalitäten über die Führung und die territoriale Kontrolle gab. Deswegen war es wohl fatal, wie Ermittlungen nachweisen, dass Juan Napoleón Espinoza Pérez, der Polizist, der mit den Maras zusammenarbeitete, gegenüber der „18“-Clica in La Campanera wiederholt behauptete, Poveda würde Informationen an die Polizei „weitergeben“, und dass sie deshalb „verhaftet würden“. So wurde die Saat gelegt für das Misstrauen und das Todesurteil.

Der zuständige Polizeichef, Mauricio Ramírez, erklärte im Einzelnen, Poveda sei am Sonntag, den 30. August, zu einer Versammlung der Anführer der „18“ in La Campanera zitiert worden, unter diesen Calixto Rigoberto Escobar, alias der „Stier“, José Alejandro Melara, alias der „Puma“, Roberto Luis Romero Vásquez, alias der „Tiger“ und Miguel Angel Ortíz Rosa, alias der „Indio“. Davor soll der oberste Anführer der Clicas in diesem Stadtteil, Nelson Lazo Rivera, alias das „Hirn“ oder „Fantasma“, der zur Zeit im Gefängnis von Cojutepeque einsitzt, „befohlen haben, Poveda hinzurichten und seine Leiche verschwinden zu lassen, falls sich bestätigt, dass er Informationen an die Polizei übergeben hat“.

Poveda kam an jenem Sonntag nicht zu der Verabredung, sondern erst am Mittwoch, dem 2. September. Er wurde in seinem eigenen Wagen von La Campanera in die Nähe von El Rosario gebracht. Dort wurde er hingerichtet. Die Polizei sagt, der „Tiger“ und der „Indio“ hätten geschossen. So starb mutmaßlich Christian Poveda, ein Pressefotograf und Journalist, der überall auf der Welt, auch während des Krieges in El Salvador in den 1980er Jahren, als Kriegsberichterstatter gearbeitet hatte.

Die Ermittlungen gehen weiter, es gilt noch einige Zweifel aufzuklären. Der Polizist Espinoza Pérez, der „Stier“ und der „Indio“ wurden am 9. September an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten verhaftet, Der „Puma“ und der „Tiger“ sind seit dem 3. September, dem Tag nach dem Mord, in Polizeigewahrsam. Es gibt Leute, die mit der Hypothese der Polizei nicht einverstanden sind, weil sie an eine Verschwörungstheorie gegen die Regierung glauben; andere glauben, dass die Ermordung von Poveda etwas mit den Erpressungen zu tun hat. Die Liste der Hypothesen wächst.

Poveda war an jenem 2. September einer von 12 oder 13 Menschen, die in El Salvador jeden Tag ermordet werden. Einige von diesen Ermordeten tauchen Tage später in aufgegebenen Brunnen, auf Ödland oder halb begraben in Kaffeeplantagen auf. Andere tauchen nie mehr auf. Auch wenn La Campanera heute zum Sinnbild des Terrors geworden ist, darf die Hoffnung nicht sterben. Ein Kolumnist von ContraPunto hat vorgeschlagen, eine Schule nach Christian Poveda zu benennen. Hoffen wir, dass es bald so sein wird.

Juan José Dalton ist Herausgeber der Internet-Zeitschrift ContraPunto (www.contrapunto.com.sv/). Der Beitrag erschien dort am 11. September 2009. • Übersetzung Eduard Fritsch