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Land der ungeduldigen Jammerer

„Deutschland mit anderen Augen“: Erfahrungsberichte von Menschen mit Migrationshintergrund
Britt Weyde

Im Ende Juni vorgestellten CDU-Wahlprogramm heißt es, Deutschland sei ein „Integrationsland“. Dass wir in einem Einwanderungsland leben, ist bei den ChristdemokratInnen noch immer nicht angekommen. Mit dieser begrifflichen Spitzfindigkeit wird unmissverständlich klar gemacht, dass die „Zugewanderten“ (auch so ein Wortungetüm, statt von Einwanderern zu reden) in die Pflicht genommen werden müssen, dass sie es sind, die sich zu integrieren haben. Zu der Annahme, dass Integration ein wechselseitiger Prozess ist, in dem sich beide Seiten aufeinander zu bewegen und voneinander lernen sollten, kann sich die Volkspartei nach wie vor nicht durchringen. Doch was kümmert uns die CDU? Erhellender sind da schon die Aussagen der 20 „Menschen mit Migrationshintergrund“, die in dem von Ulrike Bartels, Claudia Heib und Daniela Ristau herausgegebenem Buch „Deutschland mit anderen Augen“ ihre Meinung zu Deutschland, „den Deutschen“ und Integration kundtun. Die Porträtierten kommen aus fast allen Kontinenten, sind AkademikerInnen (also genau die „besten Köpfe der Welt“, die sich die CDU im Wahlprogramm so sehr wünscht), viele von ihnen in der Entwicklungszusammenarbeit tätig, wo sich auch die HerausgeberInnen beruflich verorten.

Wer selbst in internationalen Zusammenhängen arbeitet, beruflich oder privat interkulturelle Erfahrungen sammeln konnte, sieht in den Berichten eigene Erfahrungen widergespiegelt, die von den Porträtierten mitunter recht amüsant formuliert werden: „Ich empfand es als eine regelrechte Gemeinheit, dass ich von ihr mit einem Käsebrot abgespeist wurde, während sie, als sie in Ecuador war, von uns reichlich verpflegt wurde,“ kommentiert die Ecuadorianerin Elisabeth Sáenz deutsche Essgewohnheiten. Einige der Porträtierten sind schon seit über 30 Jahren in Deutschland und stimmen in ihren Aussagen überein, dass in den 70er Jahren vieles einfacher war. Sie galten zwar als Exoten: „Wenn die Kinder nach Hause gingen und erzählten ‚Unser Lehrer ist Neger', dann kamen die Eltern am Anfang oft in die Schule, um zu gucken, weil sie es nicht glauben konnten“, berichtet Jojo Cobbinah aus Ghana. Doch er fühlte sich gebraucht und akzeptiert. Ende der 70er Jahre verlor er seinen Job, da mittlerweile viele – deutsche – LehrerInnen arbeitslos waren. Ab da galt: Deutsche zuerst – bei der Besetzung von Arbeitsstellen. 

Aufschlussreich sind die Einschätzungen zu Freundschaften und zur Kommunikation in Deutschland, deren Direktheit häufig brutal und verletzend wirken kann. Der hierzulande vorherrschende Individualismus wird von den meisten InterviewpartnerInnen ambivalent bewertet: Zum einen schaffe er Freiräume und Selbstentfaltungsmöglichkeiten; gleichzeitig gebe es dadurch wenig Gemeinschaft und Gemeinsinn; auch der fehlende Sinn für Familie wird von vielen bedauert. Als Folge davon werden Einsamkeit oder auch Überforderung – gerade wenn Kinder da sind – konstatiert. Als positive Errungenschaft, die es zu erhalten gelte, loben einige der Porträtierten die sozialen Sicherungssysteme. 

Interessant ist die Meinung der interviewten Frauen zur angeblich weit fortgeschrittenen Geschlechterdemokratie in Deutschland. Weiwei Zhao aus China findet deutliche Worte: „Was mich noch mehr schockiert, ist, dass viele Männer in Deutschland so konservativ sind. Sie würden ihre Frauen auf keinen Fall so weit unterstützen, dass die Frauen die besseren Berufschancen haben als sie selbst. Heute denke ich, dass Frauen in Deutschland noch weniger Chancen im Berufsleben haben als Frauen in China.“ 
Auch Elena Muguruza aus Peru ist über die konservativen Geschlechterverhältnisse in Deutschland überrascht: „In Peru ist es beispielsweise selbstverständlich, dass die Frau Karriere macht, ohne Einschränkungen, schlechtes Gewissen und mit vielen Kindern. Hier darf man das nicht“, meint sie. Die Lösung der Karriere-Misere: Hausmädchen. „95 Prozent der Frauen nehmen hier Erziehungsurlaub, wenn sie ein Kind bekommen. In Peru gibt es für die Frauen aus der Mittel- und Oberschicht Hausmädchen.“ Dabei übersieht die Peruanerin, dass auch in deutschen Mittel- und Oberschichthaushalten der Trend zur doch sehr feudalen Beschäftigung von (häufig lateinamerikanischen!) Aupairmädchen, Putzhilfen etc. geht. 

Einiges mag sich in dem Buch vielleicht wiederholen, aber bestimmte Aussagen müssen den Deutschen wohl immer wieder eingehämmert werden: Integration ist keine Einbahnstraße. Der deutsche Arbeitsmarkt ist rassistisch segmentiert, er müsste viel durchlässiger werden, indem z.B. Abschlüsse aus dem Ausland anerkannt werden: „Im Vergleich zu Frankreich gibt es in Deutschland bist jetzt so gut wie keinen schwarzen oder türkischen Polizisten. Bei der Jobvergabe sortieren viele Personalbeauftragte eine Bewerbung immer noch direkt wieder aus, wenn der Name des Bewerbers ausländisch klingt“, so Foued Dya aus Algerien. Fast alle InterviewpartnerInnen stellen sich wie er die Frage, warum in Deutschland so viel gejammert wird: „Wenn zum Beispiel der Bus nicht im Zehn-Minuten-Takt kommt, dann ist die Hölle los.“ Viele finden uns Deutsche ungeduldig. Außerdem müssten sich die Deutschen mehr öffnen, weniger Angst, Misstrauen und Vorurteile haben sowie mehr Berührungspunkte zulassen. 

Fazit: ein gut lesbares Buch, bei dem CDU-WählerInnen sicherlich viel lernen können. Für alle anderen hält „Deutschland mit anderen Augen“ nette Wiedererkennungs- und unterhaltsame Aha-Effekte bereit. 

Ulrike Bartels, Claudia Heib, Daniela Ristau (Hrsg.), Deutschland mit anderen Augen. Erfahrungsberichte von Menschen mit Migrationshintergrund, Horlemann Verlag, Bad Honnef 2009, 152 S., 14,90 Euro