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Schritte in die falsche Richtung

Positive und negative Seiten der Konvention über biologische Vielfalt und ein anderer Ausblick

Immer nur Kritik. An der Welthandelsorganisation, Weltbank und IWF, an Regierungen und Konzernen und jetzt auch noch an internationalen Umweltkonventionen, die Naturschutz als eines ihrer Ziele formulieren und sogar die Rechte von Indígenas stärken. Häufig schlägt einem Unverständnis entgegen, wenn man zu Protesten gegen die Konvention und die in Bonn stattfindende Vertragsstaatenkonferenz aufruft. Der folgende Beitrag begründet an einigen Beispielen, warum trotz positiver Ansätze die CBD ein Schritt in die falsche Richtung ist, warum sie zur Legitimation der kapitalistischen Wirtschaftsweise dient und keinesfalls emanzipativen Ansprüchen an eine gerechtere und ökologischere Welt genügen kann. 

Gregor Kaiser

Eine gewisse Beliebigkeit, die Inwertsetzung der Natur als Grundprinzip und das Potential zur Instrumentalisierung durch neoliberale Interessen sind der CBD inhärent, was sich auch nicht durch einige positivere Ansätze übersehen lässt. Gut klingt z.B. zunächst die Forderung nach dem Schutz der Natur. Prinzipiell ist der Erhalt von Ökosystemen und Arten eine nicht zu kritisierende Sache. Allerdings muss auch nicht geschützt werden, was nicht zerstört wurde. Wenn es also eine Folge kapitalistischer Naturverwertung ist, dass diese auch zerstört wird und Arten aussterben, dann ist die Ausweisung von Naturschutzgebieten nur eine Symptombehandlung und nicht eine Behebung des Problems. Häufig geht diese Ausweisung von Schutzgebieten auf Kosten der lokalen Bevölkerung, die oft seit Jahrhunderten vom Wald und seinen Produkten lebt und nun, abgesichert durch Programme der Weltbank, des IWF oder The Nature Conservancy an den Rand gedrängt, vertrieben oder gar umgebracht wird. Charles Geisler, Professor für ländliche Soziologie an der Universität von Wisconsin (USA) schätzt, dass allein in Afrika 14 Millionen Menschen im Namen des Naturschutzes vertrieben worden sind. 

Das Projekt Global Conservation Evictions der NGO First Peoples Worldwide dokumentiert konkrete Fälle von Vertreibungen – bei 150 dokumentierten Parks konnten bei der Hälfte die Anzahl der Vertriebenen durch Naturschutzprojekte in Erfahrung gebracht werden: rund 1,5 Millionen Menschen. Schwierig wird es, wenn Naturschutz einhergehen soll mit der nachhaltigen Nutzung der Natur und diese am besten gleich die Einrichtung und Unterhaltung von Schutzgebieten finanzieren soll. Wälder und andere Flächen unter Schutz zu stellen, sollte nicht mit dem Verbot einer traditionellen, seit Jahrhunderten naturverträglichen Nutzung einhergehen. Hier wird ein Mangel der CBD sichtbar: Statt grundsätzlich Natur und biologische Vielfalt zerstörende Faktoren, wie z.B. die industrielle Landwirtschaft, Pestizide usw. zu kritisieren und Veränderungen etwa in Richtung einer ökologischen Landwirtschaft oder naturnahen Waldbewirtschaftung festzuschreiben, bemüht sich die CBD „nur” darum, mehr Inseln des Naturschutzes, z.B. Naturschutzgebiete, zu fordern, um den Artenschwund zu stoppen. Und selbst das gelingt ihr nicht, konstatiert der Zoologieprofessor Josef Reichhoff von der TU München in der Frankfurter Rundschau vom 29. Januar 2008: „Der viel gepriesene Umweltgipfel von Rio 1992 hat für die damals beschlossene Erhaltung der Biodiversität so gut wie nichts gebracht.“

Als die Konvention 1992 verabschiedet wurde, waren zwei Festlegungen etwas ganz Besonderes: Zum einen wurde die biologische Vielfalt der nationalstaatlichen Souveränität unterstellt und damit das bisher gültige Prinzip des gemeinsamen Erbes der Menschheit abgelöst. Und zum anderen wurde in Artikel 8j gefordert, die besonderen „Kenntnisse, Innovationen und Gebräuche eingeborener und ortsansässiger Gemeinschaften mit traditionellen Lebensformen, die für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt von Belang sind, [zu] achten, [zu] bewahren und [zu] erhalten, ihre breitere Anwendung mit Billigung und unter Beteiligung der Träger dieser Kenntnisse, Innovationen und Gebräuche [zu] begünstigen und die gerechte Teilung der aus der Nutzung dieser Kenntnisse, Innovationen und Gebräuche entstehenden Vorteile [zu] fördern“. Für indigene Gemeinschaften war und ist dies eine bedeutende Formulierung, wurde doch zum ersten Mal in einem völkerrechtlich verbindlichen Abkommen, neben der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, ihre Bedeutung anerkannt. In den folgenden Jahren konnten sie sich auch immer stärker in den Verhandlungsprozess einbringen, wurden gehört und anerkannt. Allerdings warten sie noch heute, ebenso wie viele Regierungen der Entwicklungsländer, auf ein verbindliches Regime, welches international gültige Regeln zu Fragen der Zugangsgewährung und eines gerechten Vorteilsausgleichs beinhaltet – und das 16 Jahre nach Inkrafttreten der Konvention. Im Jahr 2002 einigten sich die Vertragsparteien zwar bereits auf die Bonn Guidelines on Access and Benefitsharing, doch sind dies freiwillige Richtlinien, die sich vor allem damit beschäftigen, den Zugang zur biologischen Vielfalt zu ermöglichen und nicht merklich dem Problem der Biopiraterie, der unrechtmäßigen Aneignung der biologischen Vielfalt, Einhalt zu gebieten. Nur das massive Auftreten einer Gruppe von Entwicklungsländern, der Like Minded Group of Megadiverse Countries, verdeutlichte den Industriestaaten auf dem Rio +10 Gipfel 2002 in Johannesburg die große Bedeutung dieses dritten Ziels der Konvention. 

Die getroffenen Regelungen zu nationalstaatlicher Souveränität, Zugangs- und Vorteilsausgleich und indigenen Gemeinschaften sind aber noch aus anderen Gründen zu kritisieren. Zum einen werden die indigenen Gemeinschaften nur sehr instrumentell gehandhabt: Ihre Kenntnisse etc. sollen nur geschützt, geachtet und bewahrt werden, wenn sie mit biologischer Vielfalt zusammenhängen – in allen anderen Fällen haben die Kenntnisse und auch die TrägerInnen derselben scheinbar keine Bedeutung. Zum anderen kann es zu keinem gerechten Vorteilsausgleich kommen, denn das hieße, mit einem marktwirtschaftlichen Instrument ein nicht-marktwirtschaftliches Problem lösen zu wollen. Eine Lösung über den Markt kann nicht erfolgreich sein, da Informationsgefälle, Machtungleichgewichte und Verhandlungsressourcen zwischen Nord und Süd nicht zu leugnen und indigene Gruppen gegenüber den Konzernen des Nordens in besonderem Maße benachteiligt sind. Hinzu kommt das „Gerechtigkeitsproblem“, dass die gleichen Pflanzensorten in mehreren Ländern vorkommen können, dass es mehrere Nutzungsmöglichkeiten einer Sorte gibt, dass viele Menschen und Gruppen unterschiedlichster Herkunft Wissen über die Pflanzen angesammelt haben. Mit wem soll dann ein Zugangs- und Vorteilsausgleichsvertrag ausgehandelt werden? Grundlegend ist allen diesen Punkten eine Betrachtungsweise, die Natur als etwas Inwertzusetzendes sieht und die Eigentumsrechte zuschreiben möchte, um klare Verwertungsregeln erlassen zu können. Die derzeitige Praxis der Vergabe geistiger Eigentumsrechte an genetischen Ressourcen, wie sie von der Welthandelsorganisation gefordert, in vielen nationalen Patentgesetzen umgesetzt und auch durch die CBD nicht außer Kraft gesetzt wird, bedeutet eine Einschränkung der Zugangs- und Nutzungsgerechtigkeit, da Eigentumsrechte in der bestehenden kapitalistischen Ordnung immer Ausschlusscharakter besitzen. Mithin ist die CBD ein Element dieser kapitalistischen Ordnung.

Fragen der Gentechnologie sind ein weiteres Thema auf der Vertragsstaatenkonferenz. Ihr Bezugspunkt ist der Artikel 19 in der Konvention. Für den grenzüberschreitenden Handel mit gentechnisch veränderten Organismen wurde im Jahr 2000 das Cartagena-Protokoll über biologische Sicherheit verabschiedet, dieser Themenkomplex wird auf der MOP diskutiert. Im Rahmen der CBD werden jedoch die Themen gentechnisch veränderte Bäume dem Klimawandel, die Terminatortechnologie der Agrobiodiversität zugeordnet – dies veranlasst die Nichtvertragspartei USA und ihre Verbündeten Kanada, Japan, Neuseeland und Australien, diese gentechnischen Spezialthemen immer wieder den Nicht-Gentechnologie-ExpertInnen der CBD vorzulegen, in der Hoffnung, so die Tür für eine weitere Verbreitung der Gentechnologie zu öffnen. Steriles Saatgut, Terminatortechnologie, im Fachjargon die GURTs, sind seit 1999 mit einem Moratorium seitens der Vertragsparteien der CBD belegt, das heißt, sie sollen weder angebaut, erforscht noch gehandelt werden. 

Seit 2005 versucht diese Interessengruppe immer wieder, das Moratorium zu kippen. Dafür preisen sie unfruchtbares Saatgut als Schutz vor der nicht gewollten Auskreuzung von gentechnisch veränderten Pflanzen an. Hier geht es somit nicht um das Greenwashing von Konzernen an sich, sondern um das einer Technologie, welche in vielen Teilen der Welt nicht gewollt ist. Darüber hinaus ist den letzten Jahren eine Debatte um transgene Bäume entbrannt, denen Potenzial für den Klimaschutz – bessere CO2-Bindung, schnelleres Wachstum – nachgesagt wird, um sie salonfähig zu machen. Doch die ökologischen Implikationen solch langlebiger Organismen, deren Erbgut gentechnisch verändert wurde, ist nicht abzusehen. Hier müsste es ein wichtiges Anliegen für die VerhandlungsteilnehmerInnen der Umweltkonvention CBD sein, eine klare Grenze zu ziehen und die Anwendung der Gentechnologie und gentechnisch veränderter Pflanzen und Tiere zu untersagen. Nur so lässt sich der Auftrag der Konvention, die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt, erfüllen.

Das Cartagena-Protokoll über biologische Sicherheit ist ein Unterprotokoll der CBD und seit 2003 in Kraft – und positiver Lichtblick einer insgesamt negativen Entwicklung, nämlich der Ausbreitung der Gentechnologie in den letzten 20 Jahren. So war seitens der Gentechniklobby ursprünglich intendiert, mit Abschluss der Agenda 21 und der CBD 1992 in Rio „eine schnelle, ungestörte und weltweite Anwendung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) einzuleiten.“ Dass ihr dies nicht gelang, ist positiv zu bewerten. Auf sprachlicher Ebene war sie (die Lobby) zwar erfolgreich: So wird weder in der Agenda noch der CBD von Gentechnologie gesprochen, sondern euphemistisch von „Biotechnologie“. Doch in der CBD konnte immerhin festgehalten werden, dass vorsorgliches Handeln im Kontext biotechnologisch veränderter Organismen nicht nur auf naturwissenschaftlichen Kenntnissen oder Kosten-Nutzen-Analysen basieren muss, denn diese können durchaus unvollständig sein. Im Artikel 19.3 der CBD wird den Vertragsparteien die Möglichkeit eingeräumt, ein eigenes Protokoll über den Handel und Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen zu verhandeln. 

Hartmut Meyer vom Forum Umwelt und Entwicklung urteilt darüber: „Somit bot Artikel 19.3 der CBD weltweit die erste Chance, dass sich Umweltministerien federführend mit internationalen GVO-Regeln befassen.“ Im Laufe der 90er Jahre wurde diese Chance dann genutzt. Das Cartagena-Protokoll wurde verhandelt und verabschiedet. Das Protokoll sieht zwar auch in der „modernen Biotechnologie“ noch „große Chancen“, doch wird dies zugleich gekoppelt mit Ausführungen über „mögliche nachteilige Auswirkungen“ der Technologie und es werden „angemessene Sicherheitsmaßnahmen für die Umwelt und die menschliche Gesundheit“ gefordert. Insgesamt wird im Protokoll vier Mal auf vorsorgliches Handeln verwiesen und der Vorsorgegedanke verankert. Dies ist im Gegensatz zu den Regelungen der WTO schlichtweg positiv und gibt Regierungen die Möglichkeit, sich deren Forderung nach schrankenlosem Handel und Einfuhr von GMOs zu widersetzen. Doch mit der Umsetzung der internationalen Regularien in nationale Gesetze fangen die Schwierigkeiten wieder an: denn eine explizite Nennung des Vorsorgeprinzips unterbleibt im Biosafety Protocol. „Insofern hat das Biosicherheitsprotokoll bei seiner Implementierung in nationales Recht ein großes Potential zur Verwirrung von Gesetzgebern und beteiligten gesellschaftlichen Gruppen“, folgert Meyer. Denn auf der nationalen Ebene ist der größte Teil der Arbeit noch zu leisten – international wird es während dieser und ggf. der nächsten MOP, die 2010 in Japan stattfindet, vor allem um Vorschriften für Haftung und Wiedergutmachung bei durch GMOs aufgetretene Schäden gehen.

Weltweit engagieren sich Menschen gegen die private Aneignung von natürlichen Ressourcen, gegen Biopiraterie und die Kommerzialisierung der Natur. Sie honorieren die positiven Seiten der CBD, kritisieren die negativen aber scharf und haben keine Illusionen bezüglich COP 9, der kommenden Vertragsstaatenkonferenz. Denn dort verteidigen Nationalregierungen ihre Interessen im Standortwettbewerb. Indigene Völker und Bewegungen jedoch streiten für kollektive Nutzungsrechte an genetischen Ressourcen und betonen den engen Zusammenhang zwischen biologischer und kultureller Vielfalt. Die Vielfalt der Kulturpraktiken der Menschen ist angepasst an die jeweiligen naturräumlichen Bedingungen. Gleichzeitig wurden und werden diese Bedingungen und ihre materielle Grundlage durch die menschliche Nutzung verändert, weiter entwickelt oder neu geschaffen. Das eine kann es ohne das andere nicht geben. Kleinbauernbewegungen kämpfen global gegen Patente auf Pflanzen und Tiere, gegen Gentechnologie und für das Recht auf Wiederaussaat von Saatgut aus der eigenen Ernte. Sie wollen nicht zu den „Leibeigenen der Konzerne“ (Adi Lambke, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft) werden, die nur noch ausführen sollen, statt eigenständig handeln zu können. 

Emanzipative Nichtregierungsorganisationen wie GRAIN oder die ETC-Group und kritische Intellektuelle betonen die Bedeutung kollektiver Gemeinschaftsgüter und rufen dazu auf, die Allmende, die Commons, gegen die Profitinteressen der Pharma-, Saatgut- und Kosmetikindustrie zu verteidigen. Sie stellen die Inwertsetzung biologischer Ressourcen in den Kontext der neoliberal durchgestylten, individualisierten Gesellschaft und setzen stattdessen auf konkrete lokale Alternativen, plurale Kämpfe und soziale Beziehungen. Auch wenn es keine Blaupause für einen emanzipatorischen Umgang mit biologischer Vielfalt gibt, ist Folgendes zumindest wichtig: „Verantwortungsvolles Gemeinschaftsgütermanagement zielt darauf ab, Existenz, Stabilität und Widerstandsfähigkeit der Ressourcen und Systeme zu sichern sowie Zugangs-, Nutzungs- und Verteilungsgerechtigkeit für alle Menschen zu gewähren.“ 

Eine gesamt-gesellschaftlich sinnvolle Nutzung biologischer Vielfalt unter Beachtung der Rechte traditioneller NutzerInnen impliziert mindestens die Etablierung kollektiver Eigentumsrechte, darüber hinaus aber auch einen anderen gesellschaftlichen Umgang mit Natur, Kultur und Wissen. Wichtig ist somit, Perspektiven zu entwickeln, die sich von einem marktwirtschaftlichen Umgang mit der biologischen und kulturellen Vielfalt abwenden – die Allmende, die Commons, vorläufig gleichbedeutend als Gemeinschaftsgüter übersetzt, sind eine solche Perspektive. Diese Perspektive lässt sich nur außerhalb der CBD entwickeln und leben. Wichtiger als ein ABS-Regime oder mehr Naturschutz sind deshalb ein Verbot der Patentierung von Genen, Pflanzen, Tieren, Mikroorganismen und Derivaten in den nationalen Patentgesetzen sowie die weltweite Anerkennung der lokalen Bevölkerung als Verwalterin der biologischen Vielfalt, mit dem Recht, sich gegen Bioprospektionsprojekte zu wehren.