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Besetzt – geräumt – legalisiert

Film über die Textilfabrik Brukman in Buenos Aires
Alix Arnold

Von den etwa 200 Betrieben, die in Argentinien zwischen 2001 und 2003 besetzt wurden, gehört Brukman zu den bekanntesten. Die Fabrik wurde am 18. Dezember 2001 besetzt – einen Tag, bevor der Aufstand das ganze Land erfasste. Bei Brukman wird hochwertige Mode internationaler Marken wie Yves Saint Laurent, Cacharel, Christian Dior oder Paco Rabanne produziert, hauptsächlich von Frauen. Die meisten ArbeiterInnen von Brukman hatten zu Beginn des Konfliktes keinerlei politische Erfahrung. Am Anfang ging es ihnen nur darum, ihre ausstehenden Löhne zu erstreiten. Die Erfahrung des Kampfes und der Solidarität führten bei vielen zu einer enormen Politisierung. Bald forderten sie, dass die Fabrik vom Staat enteignet und ihnen in Selbstverwaltung überlassen werden sollte. Gemeinsam mit den compañeros der Kachelfabrik Zanon aus Neuquén bildeten die Arbeiterinnen von Brukman den radikalen Flügel der Bewegung. Ein solches Symbol, mitten im Zentrum von Buenos Aires, konnte nicht geduldet werden.

Fünfzehn Monate lang ist es den compañeras gelungen, die selbstverwaltete Produktion aufrechtzuerhalten. Zwei Räumungsversuche konnten sie verhindern. Aber im April 2003, in der Osternacht, wurden sie von der Polizei geräumt. Der Versuch, die Fabrik drei Tage später wiederzubesetzen, endete mit einer Straßenschlacht. Die Arbeiterinnen installierten sich in einem Protestzelt auf der Straße. Acht Monate haben sie dort durchgehalten, bis schließlich der Konkurs der Firma erklärt wurde und die Stadtregierung von Buenos Aires beschloss, die Fabrik vorübergehend zu enteignen und den ArbeiterInnen für zwei Jahre zur Verfügung zu stellen. Nachdem sie dieses Ziel erreicht hatten und im Dezember 2003 wieder in ihre Fabrik zurückkehren konnten, ist es ruhig geworden um die Brukman-Fabrik. Die ArbeiterInnen verdienen dort weiterhin ihren Lohn mit selbstverwalteter Produktion. An Demonstrationen und politischen Bewegungen beteiligen sich aber nur noch wenige von ihnen. In der Zeit vor der Rückkehr in die Fabrik hat Cecilia Gray mehrere Arbeiterinnen von Brukman zwei Monate lang mit der Kamera begleitet und sie auf ihren Wegen und am Küchentisch interviewt. Herausgekommen ist ein ruhiger Dokumentarfilm, der viel vom Innenleben dieses zweijährigen Kampfes um eine Fabrik vermittelt. Der Film verzichtet auf Kommentare. Die Arbeiterinnen berichten selbst über die Ereignisse, über ihre Motive und ihre Politisierung. Lediglich ein paar Hintergrundinformationen werden per Schrifttafeln eingeblendet.

Die Besetzung ergab sich eher zufällig: Nachdem die ArbeiterInnen schon seit Wochen nur noch einen minimalen Teil ihres Lohns erhalten hatten, forderten sie einen größeren Abschlag, worauf sich die Chefs aus dem Staub machten. „Am 18. Dezember blieben wir in der verlassenen Fabrik, am 19. wurde Cavallo gestürzt, am 20. De la Rua. Die Regierung war ein Desaster, im ganzen Land gab es Unruhen. Bis dahin hatten wir keine andere Forderung als die Auszahlung der Löhne. Mit dem neuen Jahr veränderte sich unsere Einstellung. Nach einem erneuten Regierungswechsel gingen die Unruhen weiter. Die Linke ging auf die Straße und kam öfters in die Fabrik. Und das hat uns wirklich gefallen.“ (Celia) Die Betriebsleitung blieb verschwunden, die KollegInnen nahmen die Produktion selbst in die Hand: „Da stand die Welt auf dem Kopf. Brukman hat entlassen und keine Löhne gezahlt. Wir stellten entlassene ArbeiterInnen wieder ein und auch Arbeitslose. Die Löhne zahlten wir aus der wöchentlichen Produktion. Wir bekamen alle denselben Lohn, unabhängig von der Funktion. Wir waren alle gleich.“ (Delicia) Eine der Arbeitslosen war La Negra, die schon vorher an Hausbesetzungen und Straßenblockaden beteiligt war und als Unterstützerin zu Brukman kam: „Die Straßen zu blockieren war die aggressivste, kämpferischste und logischste Antwort auf den Kapitalismus. Immer wenn ich auf die Straße ging, fühlte ich, dass ich dort richtig war. Dort hat sich ergeben, dass ich bei Brukman reingekommen bin.“ Nicht alle KollegInnen waren mit der Politisierung des Konflikts einverstanden. Manche wollen mit den Linken nichts zu tun haben, sie werfen ihnen Sektierertum vor. Nach der Räumung und der Behandlung des Themas im Stadtparlament zeigt der Film eine Versammlung, bei der diese Fragen diskutiert werden. Dabei beklagen einige, dass der Elan verloren gegangen ist, seit es um die Legalisierung geht, und sie sich nicht mehr an Mobilisierungen beteiligen. 

„Manche kämpfen nur für den eigenen Arbeitsplatz. Aber sie haben mitgemacht, und das sollte man nicht gering schätzen. Andere kämpfen für mehr. Um die Arbeitsplätze von allen, nicht nur um den eigenen.“ (Celia) „Das alles haben wir während unseres Kampfes gelernt. Davor waren wir nämlich ganz normale Hausfrauen. Nach der Arbeit kümmerten wir uns um die Familie. Mit dem Kampf in der Fabrik hat sich unser Horizont erweitert. Wir haben gesehen, was mit anderen Arbeitern passierte, die in ähnlicher oder schlechterer Lage waren. Uns wurde klar, dass es nicht nur um uns ging.“ (Delicia) Einige der AktivistInnen von Brukman sind bis heute aktiv. Im Film reflektieren sie ihren Kampf ehrlich, ohne Beschönigungen, und die Kamera fängt die Überlegungen sensibel ein. Empfehlenswert!

Arbeit nach Maß, Ein Film von Cecilia Gray, Argentinien / BRD 2005, 45 min, span. mit dt. UT, Kontakt und Bezug: cegray@gmx.net