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Vatikan verurteilt Jon Sobrino

Der Kampf gegen die Befreiungstheologie geht weiter

Zum ersten Mal in der Amtszeit Papst Benedikts XVI. wurde ein Befreiungstheologe gemaßregelt. Am 14. März veröffentlichte die Glaubenskongregation ein ausführliches Papier, in dem verschiedene „theologische Irrtümer“ des salvadorianischen Befreiungstheologen Jon Sobrino angeführt werden. Zwar sind die befürchteten Sanktionen gegen Sobrino (Schreib- und Lehrverbot) ausgeblieben. Trotzdem handelt es sich hier um ein einschneidendes, nicht nur kirchenpolitisches Ereignis. Denn nichts wäre verkehrter, als diese Verurteilung als ein Relikt einer längst historisch gewordenen Auseinandersetzung zu interpretieren.

Michael Ramminger

Bei der Verurteilung von Jon Sobrino handelt es sich um eine neue Phase in der seit fast dreißig Jahren andauernden Verfolgung der Befreiungstheologie, bei der der jetzige Papst und frühere Vorsitzende der Glaubenskongregation Joseph Kardinal Ratzinger eine Schlüsselrolle spielt. Während es in der ersten Phase der Auseinandersetzung Anfang der achtziger Jahre vornehmlich um den Begriff der Befreiung und den Marxismusvorwurf ging, verschiebt sich die ideologische Auseinandersetzung jetzt auf die Ebene der Theologie: Es geht um christologische Fragen wie die Gottessohnschaft Jesu und damit um die Bedeutung von Nachfolge bzw. politischer Praxis. Dazwischen lagen fast zwanzig Jahre, die sich einerseits durch einen gewissen ideologischen Schmusekurs auszeichneten, bei dem Rom die Option für die Armen in einer weichgewaschenen Version ohne Bezug auf Marxismus und Sozialwissenschaften in sich aufnahm, und die andererseits durch konsequente Ausgrenzung und Verfolgung von BefreiungstheologInnen geprägt waren.

Diffamierungen, Neubesetzungen von Bischofsstühlen mit Opus Dei-Vertretern, Reinigung theologischer Fakultäten, Ausgrenzung der Basisgemeinden usw. prägten diese Zeit. Erinnert sei nur an den damaligen Erzbischof von San Salvador, Oscar Romero, der, kurz nachdem er anlässlich eines Rombesuches vom damaligen Papst Johannes Paul II. fallengelassen wurde, Opfer der Todesschwadronen von D'Aubuisson wurde. Jon Sobrino, der Jahre später selbst nur zufällig einem Massaker entkam, redet zu Recht in einem Brief an seinen Ordensoberen von der über dreißig Jahre andauernden Kontinuität dieser Kampagne: „In diesen Jahren wurden viele Theologinnen und Theologen, gute Leute, gewiss mit ihren Grenzen, aber voller Liebe zu Jesus Christus und seiner Kirche, voller Liebe zu den Armen, erbarmungslos verfolgt.“ 

Nun scheint eine neue Phase eingeleitet zu werden: Zwei Tage nach dem dreißigsten Jahrestag der Ermordung des salvadorianischen Priesters Rutilio Grande und zehn Tage vor dem Gedenken an den am 24. März 1980 ermordeten Erzbischof Romero wurde deutlich, dass der Vatikan die Option für die Armen und die damit verbundene politische und kirchliche Praxis nicht als sein zentrales Anliegen versteht und sie deshalb auch theologisch aus dem Kernbestand streichen will. 

Das Datum der Veröffentlichung der so genannten notificatio gegen Jon Sobrino fällt nicht zufällig auf ein so symbolträchtiges Datum. Zwei Faktoren dürften den jetzigen Zeitpunkt der Veröffentlichung mitbestimmt haben. Zum einen waren die Bemühungen Roms, den linken Flügel der lateinamerikanischen Kirche mundtot zu machen, nicht von durchschlagendem Erfolg gekrönt. Das Ende der neoliberalen Hegemonie in vielen lateinamerikanischen Ländern ist auch das Ergebnis der Mitarbeit vieler befreiungstheologisch inspirierter ChristInnen in den unterschiedlichsten sozialen Bewegungen sowie in linken Parteien. Hier ist die Verurteilung Sobrinos möglicherweise Auftakt einer neuen ideologischen Kampagne gegen linke ChristInnen. 

Zum zweiten steht die fünfte Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe im Mai in Aparecida/ Brasilien ins Haus. Das vorliegende Arbeitspapier der Konferenz ist zwar nicht explizit befreiungstheologisch orientiert, enthält aber genug Ansatzpunkte für eine Richtungsdiskussion. Rom will offenkundig bereits im Vorfeld einer solchen Diskussion um Ort und Praxis der lateinamerikanischen Kirche vorbeugen. Dabei handelt es sich allerdings um ein gefährliches Unterfangen: Denn immer mehr ChristInnen sind der Meinung, dass der Vatikan und sein Kirchenverständnis seinerseits der Gefahr der Häresie erliegen.

Michael Ramminger ist Theologe und arbeitet als Referent für entwicklungspolitische Bildung am Institut für Theologie und Politik in Münster.