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Mi gente – Meine Leute

Widerstand gegen das Staudammprojekt El Chaparral in El Salvador

El Salvador ist ein kleines Land. Entsprechend klein ist die Kapazität des im Nordosten des Landes am Fluss Torola geplanten Wasserkraftwerkes El Chaparral. Gerade mal 65 MW – kein Vergleich mit den 7100 MW des Tasang Kraftwerkes, das am Salween Fluss in Burma geplant ist. Kleine Leute gibt es hier wie dort und für die kleinen Leute sind Wasserkraftwerke – egal wie viele Megawatt sie haben – immer ein Megaproblem. Die Stauseen hinter den Dämmen überfluten Häuser, Felder und Wälder, die lokalen Grundwasserverhältnisse geraten durcheinander, und dass die Betroffenen neue Häuser und Felder bekommen, ist so unsicher, wie es sicher ist, dass der dann erzeugte Strom in ferne Städte und ins Ausland geliefert wird. Luis Alonso Rivera lebt unweit des Torola-Flusses in San Antonio del Mosco, genau dort, wo El Chaparral gebaut werden soll. Ein idyllischer Flecken – wäre er nicht schon vor Jahrzehnten stark abgeholzt worden, wäre da nicht die grassierende Armut und wären da nicht die Pläne der rechtsextremen ARENA-Regierung, ein neues Wasserkraftwerk bauen zu lassen.

Ulf Baumgärtner

Wann habt ihr davon erfahren, dass die halbstaatliche Elektrizitätsgesellschaft CEL bei euch ein Wasserkraftwerk bauen will?

Ich habe im Jahre 2003 zum ersten Mal davon gehört. Das habe ich von Padre Antonio Confesor Hernández Carvallo erfahren, dem Priester, der 2001 in unsere Pfarrgemeinde kam. Der organisierte dann ein Komitee zur Verteidigung unserer Gemeinde. Padre Antonio Confesor bekam damals eine Einladung aus der Nachbargemeinde Carolina. Er sprach dort mit den Leuten und hörte, was die Regierung hier vorhatte. Die Einladung kam von Jacobo Martínez, der schon damals auf dem Laufenden war. Er ist Bauer, Arbeiter und Händler – und gegen den Bau des Wasserkraftwerkes, weil sie ihm 50 manzanas Land (35 ha) unter Wasser setzen werden. 

Zum Vergleich: Wie viele manzanas hast du?

Vielleicht ein Viertel. Bei uns im Weiler La Chorrera und überhaupt im Gemeindebezirk San Antonio del Mosco herrscht extreme Armut. Die Leute leben von einem Dollar am Tag – mit fünf oder zehn Kindern. Unsere Hütte zum Beispiel hat als Dach auf der einen Seite eine Plastikbahn und auf der anderen Seite Wellblech, das mir der Padre mal geschenkt hat. Die Wände sind teilweise auch aus Plastikbahnen und an anderen Stellen aus bahareque (mit Ruten befestigter Lehm); in der Regenzeit läuft das Wasser rein und macht alles nass. Trinkwasser haben wir, aber nur alle eineinhalb Tage für zwei Stunden. Neben der Hütte haben wir einen Wasserhahn. Manchmal kommt das Wasser nur für eine Stunde, manchmal auch nur Luft. Elektrizität haben wir nicht. Der Pfosten, durch den die Leitung geht, ist ungefähr 15 Meter entfernt, aber wir haben kein Geld für eine Zuleitung. (Jacobo Martínez soll sein Land inzwischen an die CEL verkauft haben. A.d.Ü.)

Wie habt ihr reagiert, als euch der Padre damals in der Sonntagsmesse von den Plänen der Regierung erzählt hat?

Padre Antonio Confesor hat gesagt, wir werden ein Komitee gründen zur Verteidigung der Leute, die von der Überflutung betroffen sein werden. Die CEL sprach davon, dass es nur 79 Familien sein werden, aber der Padre sagt, dass insgesamt 11 000 Menschen in den Bezirken Carolina, San Antonio del Mosco und San Luis de la Reina ihr Land verlieren werden. Die meisten Leute haben Angst bekommen. Sie fürchten sich vor einer Auseinandersetzung. Heute ist das anders. Die Regierung und die CEL haben uns belogen und betrogen. So haben sich meine Leute enger zusammengeschlossen und fühlen sich etwas stärker im Widerstand.

Ich bin den Leuten von CEL zum ersten Mal im Jahr 2004 begegnet. Ich war damals gerade im Pfarrhaus, als sie kamen. Sie hatten schon mitbekommen, dass der Pfarrer Bescheid weiß und gegen das Projekt ist, und sagten zu ihm, dass im April 2004 mit den Bauarbeiten begonnen würde. Da stand der Padre wütend auf und schrie: „Warum fangt ihr nicht gleich nächste Woche an?!“ Seit damals hat sich der Priester ziemlich stark im Widerstand engagiert, und es gibt heftige Drohungen gegen ihn, weil er sich den Plänen der Regierung in den Weg stellt. 

CEL hat schon vor fünf Jahren ein Büro in Carolina eröffnet. Dort arbeiten die Ingenieure Villegas und Contreras. Die sind inzwischen hier bekannt. Sie kommen zu uns in die Dörfer und versuchen den Leuten ihr Stückchen Land für ein Linsengericht abzukaufen und erzählen ihnen alles Mögliche. Das machen auch ihre Promotoren, Leute von hier, die uns ausspionieren und ebenso versuchen uns um den Finger zu wickeln. Bei uns in La Chorrera ist keiner. Sie bekommen von CEL eine Kleinigkeit dafür bezahlt, dass sie uns aushorchen und versuchen, uns auf ihre Seite zu ziehen. 

CEL sagt, es sind nur 79 Familien betroffen, und ihr sprecht von 11 000 Menschen in den drei Bezirken – wie erklären sich die unterschiedlichen Zahlen?

Die Mehrheit von uns hat keine Landtitel. Die Ingenieure versuchen von denen zu kaufen, die Landtitel haben. Die anderen versuchen sie einzuschüchtern. Wenn wir nicht beweisen können, dass uns das Land gehört, auf dem wir wohnen und das wir bearbeiten, sagen sie: Wenn ihr nicht freiwillig geht, wird euch das Wasser holen. Deshalb sind viel mehr von dem Projekt betroffen, als CEL erwähnt. Sie reden nur von denen, die Landtitel haben. 

Als euch der Padre Antonio Confesor 2003, die schlechte Nachricht verkündet hat, hattet ihr da schon das Pfarrkomitee?

Nein, das haben wir erst anschließend gebildet. Das Komitee hat pastorale Aufgaben und soll den Widerstand organisieren, dafür ist es gegründet worden. Der Bischof sagte damals, wir sollten so ein Komitee gründen, um zu zeigen, dass nicht nur der Padre gegen das Projekt ist. Die Leute kennen uns inzwischen. Am Ende der Messe werden immer Ankündigungen gemacht, da haben wir Gelegenheit, zu Aktivitäten einzuladen, zu einer Kundgebung oder einer Demonstration. Wir verbinden die religiösen Aktivitäten mit dem Widerstand.

Wir sind 24 Mitglieder aus 23 Dörfern, praktisch ein Delegierter aus jedem Ort. In jeder Gemeinde gibt es ein kleines Leitungsgremium. Darüber werden die Informationen, die die Delegierten von unseren Treffen mitbringen, weitergegeben. Wenn sie gesagt bekommen, dass der Priester sie dann und dann braucht, dann kommen sie. 

Mir hat der Padre einen ganzen Cantón zugewiesen. Der Cantón besteht aus fünf Dörfern. Wenn wir dort einen Gottesdienst machen, kommen die Leute aus diesen fünf Gemeinden, vor allem die Delegierten. Sie fragen mich dann, wie es steht, wann wir die nächste Sitzung des Pfarrkomitees haben werden, was wir machen, um den Widerstand zu stärken. Die Gemeinden liegen weit auseinander und deshalb haben der Padre und das Komitee diese Untergruppen gebildet. 

Du hast erzählt, dass allein in deinem Dorf, in La Chorrera, 700 Familien leben, etwa 3000 Personen. Sind alle gegen das Staudammprojekt?

Einige sind auch dafür. Das sind die Familien der Männer, die mit CEL zusammenarbeiten. Das sind aber nur ungefähr 30 Familien. Die CEL-Leute kaufen sie eben. Weil wir in extremer Armut leben, es keine Arbeit gibt, niemand Geld hat, verkaufen sich die Leute für ein paar Silberlinge. Dennoch sind nur wenige auf ihrer Seite. 

Wo ist der Widerstand am stärksten?

In San Antonio del Mosco ist der Widerstand stark, auch im Städtchen gibt es keine Befürworter des Projektes. Dafür aber in den Dörfern, die zu Carolina gehören. Aber auch dort sind es wenige. Auch der Pfarrer von Carolina ist gegen den Staudamm. Der derzeitige Bürgermeister ebenfalls. Sein Vorgänger war dafür, denn der war von ARENA. Der neue ist von der Frente-Partei (FMLN), deshalb ist der Kampf intensiver. Ebenso steht der Bürgermeister von San Antonio auf der Seite der Bevölkerung. Er macht bei allen Demonstrationen mit und borgt dem Padre seinen Wagen. 

In San Luis de la Reina ist der Widerstand schwächer. Der Priester dort war nicht gut informiert. Aber inzwischen haben sie auch dort mitbekommen, dass sie betroffen sein werden, wenn der Staudamm gebaut wird, nämlich wenn sie die Schleusen aufmachen müssen, um Wasser abzulassen. Deshalb sind die Leute von San Luis de la Reina heute auch auf unserer Seite. 

In einer kleinen Gemeinde wie San Antonio del Mosco sind in der Regel der Bürgermeister, der Priester, der Polizeichef und der Lehrer Schlüsselfiguren. Wie ist das hier, was denken die LehrerInnen?

Die Mehrheit unterstützt die Bevölkerung im Widerstand. Nur eine Lehrerin, die Schulleiterin, war für CEL. CEL hat alle LehrerInnen der betroffenen Gemeinden zu einer Versammlung eingeladen, bei der sie aufgefordert werden sollten, Listen mit den Namen aller SchülerInnen anzufertigen, die für das Staudammprojekt sind. Aber unser Priester hat zusammen mit einem Kollegen Anzeige gegen CEL erstattet. So kam die geplante Versammlung nicht zustande. Alle Direktoren der ländlichen Schulen hatten Padre Antonio Confesor über die CEL-Einladung informiert, der ihnen dann sagte, dass sie nicht hingehen sollten. Deshalb haben die CEL-Leute den Padre besonders auf dem Kieker. In San Antonio del Mosco gibt es auch einen Polizeiposten, mit einem einzigen Polizisten, denn hier gibt es keine Kriminalität. Der Polizist hat gute Beziehungen zu Padre Antonio Confesor und ist auch gegen das Projekt. Einen Arzt gibt es nicht, nur einen Gesundheits-posten mit zwei Krankenschwestern, die Sprechstunden halten und Rezepte ausstellen. Sie kommen aus San Miguel. Sie sind auch gegen das Staudammprojekt, denn mit der Überflutung kommen die Seuchen. Einen Rechtsanwalt oder Notar gibt es hier nicht. Die Tante-Emma-Läden sind auf unserer Seite. 

Nachbemerkung: 
Der Widerstand gegen das Staudammprojekt El Chaparral geht über die drei betroffenen Gemeinden hinaus. Zum Dritten Nationalen Forum gegen Staudämme im vergangenen September kamen vier Busse aus El Cimarrón, Departement Chalatenango, wo ebenfalls ein neues Wasserkraftwerk gebaut werden soll, und aus dem Departement Sonsonate, wo einige Pfarrer mobilisieren, die mit Antonio Confesor auf dem Priesterseminar waren. Ebenfalls kamen mehrere Busse aus 16 Nachbargemeinden in Honduras, die vor allem von einem weiteren Staudamm, El Tigre, ein paar Dutzend Kilometer weiter flussabwärts am Torola, bedroht werden. Aus San Salvador kamen Kollegen der Gewerkschaft SETA bei der (noch) staatlichen Wasserversorgungsgesellschaft ANDA und Leute der Umweltorganisation CESTA. Am 27. Januar hat ein ähnliches Spektrum von AktivistInnen gegen die neuen Wasserkraftwerke die Puente Cuscatlán besetzt, eine der beiden großen Brücken über den Río Lempa, in den der Torola mündet.

Vor Ort werden der Pfarrer Antonio Confesor und sein Komitee auch schon mal rabiater. Als die Vermessungsingenieure von CEL kamen und ihre topographischen Punkte setzten, ging das Komitee hin und entfernte die Grenzsteine wieder. Zu einer öffentlichen Anhörung hatte CEL 60 handverlesene Gäste nach San Antonio del Mosco eingeladen. Der Pfarrer bekam Wind davon und mobilisierte zusammen mit dem Bürgermeister 400 Leute, die sich vor dem Gemeindehaus sammelten. Obwohl die Zentralregierung 100 Bereitschaftspolizisten geschickt hatte, öffneten Pfarrer und Bürgermeister die Türen und ließen die zusammengeströmten StaudammgegnerInnen in den Gemeindesaal. Damit die Leute von San Antonio plastisch erfahren, was ein Wasserkraftwerk bedeutet, sind der Pfarrer und sein Komitee an den Unterlauf des Lempa gereist, wo es unter anderem deshalb regelmäßig Überschwemmungen gibt, weil die Schleusen des flussaufwärts gelegenen Wasserkraftwerkes 15 de Septiembre in der Regenzeit geöffnet werden.

Zur Rolle des Priesters Antonio Confesor Hernández Carvallo wäre noch zu bemerken, dass er der erste Pfarrer ist, den der Gemeindebezirk San Antonio del Mosco je hatte. Dort, in der Abgeschiedenheit einer Grenzregion im äußersten Norden des Landes, ist die Welt noch konservativ und religiös, spielt ein Priester nach wie vor eine zentrale Rolle. Seit sich Antonio Confesor mit seiner Gemeinde nicht nur angefreundet hat, sondern sich mit ihr vollständig identifiziert in all ihrer Armut und Ignoranz, leitet er den Widerstand gegen das Staudammprojekt. Diejenigen, die ihn kennen, machen sich freilich Sorgen darüber, dass er keine Gelegenheit auslässt, öffentlich mitzuteilen, dass man die Baumaschinen abfackeln werde, wenn sie kommen – und er dabei in vorderster Front.

Das Interview führte Ulf Baumgärtner im November 2006 in Berlin.