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Liebe, Glücklichsein, soziale Gerechtigkeit

Der Film „5 Fabriken – Arbeiterkontrolle in Venezuela“
Britt Weyde

Ist eine bessere Welt im Hier und Jetzt möglich? Ein Schritt in Richtung gerechteres Wirtschaften sind selbst- oder mitverwaltete Fabriken. In Argentinien haben Betriebsbesetzungen in Folge der Finanzkrise 2001 stattgefunden. Eine zentrale Forderung der ArbeiterInnen der Kachelfabrik Zanon z.B. ist ein staatlich garantierter Absatzmarkt für ihre Produkte. Solche Absatzmöglichkeiten sind in Venezuela von der Regierung Chávez geschaffen worden. Dort fingen die Fabrikbesetzungen 2002 nach dem Putsch gegen Chávez an. Bei einigen Schlüsselunternehmen schaltete sich der Staat ein und führte das Modell der Mitverwaltung ein. Im Zuge dessen wurde im Januar 2005 an die Spitze der Aluminiumfabrik ALCASA eine Person mit viel Strahlkraft für die Linke gesetzt: Der Soziologe und Ex-Guerillero Carlos Lanz. Er kommt in Dario Azzellinis und Oliver Resslers Film „5 Fabriken – Arbeiterkontrolle in Venezuela“ als erstes und im Folgenden immer wieder zu Wort. Ein kluger Kopf, der den Prozess selbstkritisch zu reflektieren vermag.

Die Leitung der Aluminiumfabrik ALCASA ist somit institutionell legitimiert. „Ich repräsentiere den Staat, auf dem Weg zur Selbstverwaltung. Ich wurde aus revolutionären und ideologischen Gründen dieser Fabrik zur Verfügung gestellt“ erklärt Lanz. „Ich habe keine Ahnung von Aluminium, obwohl ich in letzter Zeit viel gelernt habe. Ich übe eher eine politisch-erzieherische als eine technokratische Funktion aus.“ Die neue Organisation der Fabrik setzt auf mehr Partizipation. Von den ArbeiterInnen werden 300 SprecherInnen sowie ein abwählbares Leitungstriumvirat für jede Abteilung gewählt. Darüber hinaus ist das Unternehmen ein EPS, ein „Unternehmen sozialer Produktion“. Nicht Gewinn ist das Ziel, sondern soziale Gleichheit, Gerechtigkeit und Integration. So soll z.B. der Gewinn in den umliegenden Gemeinden eingesetzt werden, Weiterbildungs- und Gesundheitsprogramme sind für alle Gemeindemitglieder vorgesehen.

Die Geschichte der Kooperative Textileros de Táchira steht für viele Unternehmen: Der Besitzer benutzte die Fabrik, um Kredite zu bekommen, die er jedoch nicht reinvestierte. Der Schuldenberg stieg, das Unternehmen musste schließen und die ArbeiterInnen wurden ohne Abfindung entlassen. Vier Jahre später organisierten sie sich in einer Kooperative – ermutigt durch Präsident Chávez' Politik. Von der Regierung haben sie einen Kredit von 3,4 Milliarden Bolivares (etwa 1,2 Mio. Euro) bekommen, den sie nach einem tilgungsfreien Jahr zurückzahlen müssen, dafür haben sie acht Jahre Zeit. Verwaltungsleiter Luis Alvarez über die Ziele der Kooperative: „Niemand soll sich bereichern, niemand ausgebeutet werden. Wir wollen eine bessere Lebensqualität, ein würdiges Leben und Bildung.“ Die Spülmaschinenarbeiterin Carmen Ortíz lobt die Vorzüge einer Kooperative: „Es ist viel besser nicht herumkommandiert zu werden. Die Unternehmer fügen den Arbeitern psychischen Schaden zu.“ 

Die Ketchupfabrik Guárico Tomatoes unterstützt auch die Bauern der Region, damit der Tomatenanbau gestärkt wird. Die Endprodukte werden an die Mercal-Läden verkauft, die verbilligte Lebensmittel anbieten. Acht Jahre lang stand die Kakaofabrik Unión Cooperativa Agroindustrial del Cacao Cumaná still. Auf Initiative des Gouverneurs Ramón Martínez und des Präsidenten Chávez wurde sie wiederbelebt. Der Arbeiter Alexander Patiño findet, dass er erstmals sein Leben gestalten kann, und fragt sich, was den oft genannten Sozialismus ausmache. Er kommt zu folgendem Schluss: „In wenigen Worten: Liebe, Glücklichsein und soziale Gerechtigkeit.“

Seit 1992 hatte der Eigentümer der Papierfabrik Invepal nichts mehr in das Unternehmen gesteckt, 2003 stand die Schließung bevor. Die ArbeiterInnen organisieren sich und erhalten einen Kredit. Sie werden zu TeilhaberInnen des Unternehmens, wobei der Staat einen Mehrheitsanteil hält. Je mehr vom Kredit zurückgezahlt werden wird, desto mehr Anteile soll die Regierung abgeben, um schließlich nur noch ein Prozent der Anteile zu halten. Der Arbeiter Rowan Jimenéz erwähnt einen Aspekt, der für alle mit- oder selbstverwalteten Betriebe wichtig ist: „Damit die Mitverwaltung besser funktioniert, ist eine politische Schulung nötig.“

Der Film ist reich an Informationen, sehr viele engagierte ArbeiterInnen kommen zu Wort. Doch leider ist darüber ein wenig der formal-ästhetische Aspekt vernachlässigt worden. Die Interviewten werden in Fabriklandschaften platziert, wo sie nervös ihre Hände kneten und zuweilen in Phrasen abdriften. Eine Mitarbeiterin der „Einheit für endogene Entwicklung“ von ALCASA steht verloren vor riesigen Aluminiumrollen, man sieht ihr Gesicht im Gegenlicht kaum, zwischendurch klingelt ihr Handy. Das authentische Klingeln kommt grotesk rüber, da die arme Frau ja derart in Szene wurde. Diese Inszenierungen sowie die unkommentierten Sequenzen von Produktionsabläufen und Fließbändern geben dem Ganzen einen realsozialistischen Touch. Und das steht in einem interessanten Spannungsverhältnis zur bolivarianischen Fabrik, die eben nicht das realsozialistische Modell kopieren soll. Dazu Manrique González, Angestellter des Staatsanteils von Invepal: „Wir sind keine Funktionäre des Staates. Wenn wir das wären, würden wir Staatskapitalismus betreiben und der ist, wie wir wissen, in Russland gescheitert.“ Hoffen wir, dass sich alle daran erinnern und dass all die begeisterten ArbeiterInnen, nachdem sie in einem kollektiven Kraftakt die ganzen Kredite abgezahlt haben, auch wirklich ein würdigeres Leben haben.

„5 Fabriken – Arbeiterkontrolle in Venezuela“, ein Film von Dario Azzellini und Oliver Ressler, 81 min, OmdU, 2006, Infos: www.azzellini.net