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Grenzgänge zwischen Welten

Washingtons Immigrationspolitik macht Trujillo Muñoz' Werk „Tijuana Blues“ aktueller, als es ohnehin schon ist
Torsten Tullius

Die Geschäfte laufen derzeit schlecht für Georg W. Bush. Der Feldzug für Öl im Irak gerät mehr und mehr zum Albtraum für die Nation, und entsprechend befindet sich die Bush-Administration in einem historischen Popularitätstief. Da macht es sich gut, medial ein neues Schlachtfeld zu eröffnen. Neben dem „Krieg gegen den Terror“ erklärte Bush Mitte Mai die Immigrationspolitik zum Aufgabengebiet Nummer eins. Focus hierbei ist vor allem die 3123 km lange Grenze zu Mexiko, an der allein im vergangenen Jahr Schätzungen von Amnesty International zufolge etwa 500 Menschen, sogenannte Illegale, zu Tode kamen. Die meisten ertranken im Rio Grande, verdursteten in der Wüste oder wurden von US-Grenzpolizisten oder Farmern, die sich auf ihr Recht auf Selbstverteidigung berufen, wie streunendes Vieh erschossen. 6000 Nationalgardisten und ein 600 km langer Dreifachzaun sollen dieses „Problem“ neben anderen Maßnahmen künftig lösen.

Gabriel Trujillo Muñoz entführt uns in den vier Kurzromanen von Tijuana Blues in den Norden Mexikos, nach Baja California, in die Städte Mexicali und Tijuana. Hier, an der Grenze zu den USA, wo „Dritte“ auf „Erste“ Welt prallt, blüht die Kriminalität und es herrscht das nackte Chaos. Gewalt, sowohl strukturell, etwa durch eine korrupte Polizei, als auch direkt, wenn MigrantInnen beispielsweise auf ihrer Flucht in die USA halb verdurstet von Wildhunden angefallen werden, ist an der Tagesordnung. In diesem in jeder Beziehung heißen Klima ermittelt Miguel Ángel Morgado, seines Zeichens Anwalt für Menschenrechte, wohnhaft in Mexico D.F., geboren in Mexicali. Mexicali, die Stadt, mit der er innerlich vor vielen Jahren abgeschlossen hatte, da sie nur negative Bilder wie „das Grab seiner Mutter“, „die Grenze und den Stacheldrahtzaun“ in ihm wachrief, wird erst wieder Teil seiner Wahrnehmung, als sein alter Kumpel und politischer Kampfgefährte Atanasio ihn bittet, den Mord an dessen Freund aus Jugendtagen, Heriberto, aufzuklären. Dieser Auftrag, Teil der Auftaktgeschichte Mezquite Road, reißt Morgado umgehend in einen Sumpf aus Drogenschmuggel, illegalem Glücksspiel und polizeilicher Willkür, dem er nicht zuletzt durch die bewaffnete Hilfe der „Anarchistischen Liga Ricardo Flores Magán“ entrinnen kann. Morgado löst seine Fälle mit Kompetenz und Akribie, und was ihn, den die CIA politisch ziemlich unpräzise als „Sozialdemokraten“ einschätzt, von anderen linken literarischen Ermittlerkollegen Lateinamerikas wie Eterovics Heredia oder Paduras Conde unterscheidet, ist der feste Glaube an eine positive Zukunft für den südlichen Teil des amerikanischen Kontinents. 

Die abstrakt anmutende Dialektik der Geschichte wird konkret, wenn er auf die Ausdauer der lateinamerikanischen Völker vertraut – trotz der Perversionen, die sich an der Schnittstelle zwischen Arm und Reich ereignen: In Loverboy etwa kämpft Morgado gegen den illegalen Handel mit Kinderorganen. 
Das Verfassen von Kurzgeschichten, Kurzromanen ist eine heikle Angelegenheit, aber Muñoz versteht sein Handwerk. Die Charaktere sind rasch gezeichnet, der jeweilige Plot wird präzise skizziert und die Geschichten gewinnen schnell an Fahrt. In einer trockenen, schnörkellosen Sprache werden wie nebenbei Fakt und Fiktion miteinander verwoben. So in der (Fast-)Titelstory Tijuana City Blues, in der eine Geschichte um Rauschgiftschmuggel mit zum Teil realen biographischen Einsprengseln aus der Drogenkarriere des W.S. Burroughs garniert wird. 

Sensiblere Freunde der internationalen Kriminalliteratur, die Motive der Gewalt in Krimis nicht sehr schätzen und bei der Auswahl ihres Lesestoffes das gediegene Umfeld eines Hercule Poirot dem Großstadtchaos des Phil Marlow oder, moderner, das Rotwein- und Olivencharisma von Donna Leons Commissario Brunetti der inneren Zerissenheit von Henning Mankells Kurt Wallander vorziehen, werden sich bei der Lektüre warm anziehen müssen. Und Muñoz, Jahrgang 1958 und wie Morgado in Mexicali geboren, könnte sich von Marlows literarischem Vater Raymond Chandler inspirieren lassen und wie dieser einige seiner knappen Erzählungen zu Romanen ausarbeiten. Es wäre interessant zu lesen, ob der Autor die „größere Form“ ebenso sicher beherrscht. 

Gabriel Trujillo Muñoz: Tijuana Blues. Vier Kurzkrimis, Übersetzung: Sabine Giersberg, Unionsverlag, Zürich, März 2006, 288 Seiten, 19,90 Euro