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Nestlé, Lidl & Co. – Weltmeister des fairen Kaffeehandels ...

Wie Konzerne Imagepflege betreiben und damit noch verdienen

Am 7. Juni war es so weit: „Ab heute! WM-Knaller von Lidl und Bild: 6 Flaschen Bier + 1 Tüte Erdnuss-Flips + 1 Deutschland-Fahne nur 99 Cent!“. Am 12. Juni gleich noch eine Sensation, in diesem Fall allerdings bereits am 30. März angekündigt: „Lidl führt künftig TransFair-gesiegelte Produkte.“ Welch heilige Dreifaltigkeit! Seither glänzen unter über tausend Produkten in den Lidl-Filialen die acht fair gehandelten mit dem neuen firmeneigenen Logo „Fairglobe“, das in denselben Farben gehalten ist wie das in die untere rechte Ecke geschobene Fairtrade-Siegel von TransFair. Was steckt dahinter und wo fährt dieser Zug hin?

Ulf Baumgärtner

Kaffee ist nach wie vor das meist verkaufte Siegel-Produkt. Bei einem ersten Anlauf bei Plus im Jahre 1998 schnellte der Jahresumschlag auf 4500 Tonnen hoch, um auf unter 3000 zu sinken, als der Fairtrade-Kaffee bei Plus wieder aus dem Sortiment genommen wurde. Man sollte also meinen, dass TransFairs Deal mit Lidl hoch gelobt wird. Das Gegenteil ist der Fall. Der Weltladen-Dachverband begrüßt zwar auf seine stets ausgewogene Art den fairen Gang in die Discounter-Regale, mahnt aber weitere Schritte an und teilt mal wieder allen, die es nicht hören wollen, mit, dass die Weltläden die Wegbereiter dieser Markterweiterung gewesen sind. Die Aktion 3.Welt Saar konstatiert Doppelzüngigkeit, wenn sich TransFair für „menschenwürdige Arbeitsbedingungen“ in der Dritten Welt, nicht aber bei Lidl einsetzt, und legt den Finger in eine oft übersehene Wunde, die aufbricht, wenn nicht ständig größere Warenmengen versiegelt werden: die Lizenzgebühren, zentrale Einnahmenquelle des Siegel-Vereins. Die Aktion findet daher, dass nicht Lidl das Problem ist, sondern TransFair, dessen Standards so niedrig sind, „dass sie das Abkommen mit Lidl erst ermöglichen.“ 

Die Gewerkschaft Ver.di stellt fest, dass das soziale Engagement von Lidl solange nicht glaubwürdig ist, wie die 40 000 VerkäuferInnen in den 2600 Filialen des Discounters nicht ihre sozialen Grundrechte zugestanden bekommen. BanaFair spricht von „reiner Kosmetik“, WEED von einer „Schönheitsoperation“, INKOTA hat den Eindruck, der Billigdiscounter wolle vor allem sein angesichts vielfältiger Kritik beschädigtes Image aufwerten und findet, dass der faire Handel mehr bedeutet, „als den ProduzentInnen einen leicht erhöhten Preis zu zahlen.“ Attac, Banafair und andere haben neben Ver.di das Image von Lidl in der Tat und aus guten Gründen beschädigt und müssen jetzt feststellen, dass TransFair dem Konzern ein Stück weit aus der Bredouille hilft, auch wenn „Lidl weiterhin ein skrupelloser Billig-Einkäufer auf den Märkten der Welt (ist). Mit tödlichen Nebenwirkungen für Menschen und Umwelt. Mit Fußtritten für die ArbeitnehmerInnenrechte von der Produktionsstätte bis in die Verkaufsfiliale in der Bundesrepublik.“ (Attac) 

Selbst die Gepa, seit der Gründung von TransFair 1992 Deutschlands größter Importeur von gesiegelten Produkten, spricht von „Imagepolitur“ und kritisiert, dass die Kooperation mit Lidl „dem Fair-Trade-Image einen Schaden zufügen wird.“ Da die beiden großen christlichen Kirchen zugleich Gesellschafter der Gepa und tragende Mitglieder des Vereins TransFair sind, klingt das Bekenntnis von dessen Vorstandsvorsitzenden, Norbert Dreßen (Misereor), verhalten: Das Geschäft mit Lidl sei eine Gratwanderung. Dieter Overath, seit der Gründung von TransFair dessen Geschäftsführer und also mit vielen Wassern gewaschen, wird zwar blumig beim Gedanken an seine neuen Partner bei Lidl („Wir hatten schnell das Gefühl, dass Lidl es ernst meint mit uns.“), sagt aber auch ganz klar, dass es das Ziel von TransFair sei, den ProduzentInnen im Süden möglichst breite Absatzmärkte zu erschließen; andere Aufgaben, etwa für sozialverträgliche Verhältnisse im hiesigen Handel zu sorgen, gehörten keinesfalls zu ihrem Ressort. 

Weshalb also die Aufregung, wenn TransFair bloß seine Ziele umsetzt? Als ob jemand erwartete, dass der faire Handel einer anderen Logik gehorchen könnte als der kapitalistischen Marktlogik. Das mag aus der Zeit kommen, als man in entwicklungspolitischen Kreisen schon glaubte, Wandel durch Handel erzielen zu können, die Richtung des Wandels aber noch eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung war und kein Fußballplatz, auf dem alle fair spielen. Während aus diesen Anfängen zahlreiche Aktionsgruppen und Dritte-Welt-Läden entstanden, spielte sich auf den Märkten für die Agrarexportprodukte der Peripherie, ganz exemplarisch auf dem Weltkaffeemarkt, eine ganz andere Entwicklung ab. Der Kaffeekonsum stieg während diverser Wirtschaftswunder in der Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg stetig, weshalb immer mehr davon produziert wurde. Deshalb wurde der Kaffee immer billiger, die Konkurrenz unter den Röstern immer heftiger, bis rein über den Preis kaum mehr Gewinne erzielt werden konnten. Die Zeit war reif für eine Produktdiversifizierung, wie sie zuvor bereits auf dem Markt für Backwaren eingesetzt hatte und bei Genussmitteln des Alltags wie Bier und Zigaretten laufend weiter stattfindet. So sind Marktsegmente entstanden, in denen wieder verdient werden kann: Gourmetkaffee, Biokaffee, Aromakaffee, Fertigmischungen, Kaffeekapseln (Pads) – und eben ein Segment für fair gehandelten Kaffee.

Den Markt für Fairtrade-Kaffee haben freilich nicht die Konzerne erfunden, sondern die aus der Bewegung für eine neue Weltwirtschaftsordnung kommenden guten Menschen, die aber trotz aller Liebe zu den PartnerInnen im Süden auch an ihre Finanzen dachten. Weil in der ungerechten Weltwirtschaftsordnung die Handelsbeziehungen ungerecht sind, die Rohstoffpreise nicht von den ProduzentInnen in der Dritten Welt, sondern an den Börsen der Industrieländer gemacht werden, in denen die Importeure, Weiterverarbeiter und Händler dann eben auch die lukrativen Teile der Wertschöpfung kontrollieren, kamen zum Beispiel die Kaffeebauern und -bäuerinnen und ihre Organisationen auf die Idee, in den Importländern eigene Verarbeitungs- und Vermarktungskapazitäten aufbauen zu wollen. Dort aber waren und sind die Kaffeemärkte hoch oligopolisiert, weshalb konkurrenzfähige Investitionen sehr teuer geworden wären. Da winkten die PartnerInnen im Norden ab und erfanden das sehr viel billigere Fairtrade-Siegel-System, zuerst in den Niederlanden unter dem Namen Max Havelaar und dann in vielen anderen KonsumentInnenländern unter demselben Namen oder als TransFair. Mehr als zwanzig solcher nationaler Siegelhändler haben sich inzwischen zur Fair Label Organisation (FLO) zusammengeschlossen. An die Stelle eines zwar systemimmanenten, aber kämpferischen Umgangs mit den Kaffeemultis ist eine Geschäftemacherei getreten, bei der die Siegelhändler auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen sind, dass nicht nur Kleinunternehmen, sondern auch transnationale Konzerne bei ihnen kaufen. 

Auf Gedeih und Verderb bedeutet nicht nur, dass sich TransFair und Co. freuen müssen, wenn die Multis endlich auch in das ethische Marktsegment gehen, sondern auch bereit sein müssen, dafür einen hohen politischen Preis zu zahlen. Dass sich Firmen wie Starbucks, Nestlé, Wal-Mart, Procter and Gamble, Mc Donalds, Kraft Foods (Kaffee Jacobs) und eben auch Lidl zunehmend für diesen lukrativen Markt interessieren, Mittel und Wege finden, das Geschäft nach ihrem Gusto zu gestalten, und FLO-Mitglieder ihnen Zugang zu jenem Teil des ethischen Marktes verschaffen, den sie via Lizenzvergabe kontrollieren, auch wenn die Fairtrader dabei die Anstrengungen von Gewerkschaften, Globalisierungsgegnern und AntikapitalistInnen unterlaufen müssen – das alles sind keine moralischen Fragen, sondern Ergebnisse der Marktordnung. 

Ein Blick auf einige der entsprechenden Geschichten offenbart gewisse Regelmäßigkeiten. Im April 2000 machte Starbucks den Anfang. Der Konzern wurde wegen der Arbeitsbedingungen auf Lieferplantagen in Guatemala von einer kleinen Gruppe namens Guatemala Labor Education Project unter Druck gesetzt. Global Exchange, eine bedeutendere US-NRO wiederum fand, dass Starbucks einen von TransFair USA gesiegelten Kaffee in sein Sortiment nehmen sollte. Starbucks ergriff die Chance, sein gefährdetes Image zu sichern, und nahm einen Fairtrade-Kaffee ins Sortiment. Auch heute noch ist ein gesiegelter Kaffee in seinem reichhaltigen Angebot zu finden: zur Zeit Café Estima Blend in den hiesigen Cafés – wofür nach den FLO-Regeln TransFair Deutschland die Lizenzgebühren bekommt. Starbucks hat offenbar Gefallen daran gefunden, neue Marktsegmente zu erschließen und sein Image zu pflegen: die einzige Fairtrade-Sorte läuft unter dem Slogan „good coffee, doing good“, gehört wie die Bio-Sorten zum „Commitment to Origins Sortiment“, Firmengründer Howard Schultz hat eine Stiftung für Straßenkinder ins Leben gerufen, man fertigt jährlich einen „Corporate Social Responsibility Report“, nennt seine Angestellten Partner – und verschenkt Kaffee an US-Truppen im Auslandseinsatz. 

Nebenbei hat Starbucks mit der Aufnahme eines fair gehandelten Kaffees in sein immer größer werdendes Sortiment den Beweis dafür erbracht, dass auf dem Weltmarkt wie in jedem einzelnen Geschäft die zwei Prozent fair gehandelter Waren gut zusammen leben können mit den 98 Prozent unfair gehandelter Waren. Solange das den KonsumentInnen nicht übel aufstößt – und wie sollte es auch an harmonischen Orten wie Supermärkten, Discountern und Cafés –, können die Konzerne das ethische Marktsegment aufrollen, ohne Verluste befürchten zu müssen. Es ist das Verdienst passionierter Fairhändler, diesen Beweis erbracht zu haben.

TransFair USA hat inzwischen, ohne dass das in Europa groß aufgefallen wäre, zwei weitere große Kunden gefunden: Millstone Coffee, die zu Procter and Gamble gehören, einem der Marktführer in den Vereinigten Staaten, und Sam's Club, eine Kette von Membership Shopping Stores (um dort einzukaufen, muss man Mitglied werden), die zu Wal-Mart gehört. Sam's Club kauft bislang bei Millstone Coffee, dessen Lieferant für Siegelkaffee Café Bom Dia ist, einer der fünf größten brasilianischen Kaffeeröster und -exporteure. In Zukunft will Sam's Club direkt bei den Brasilianern kaufen, wodurch derselbe Kaffee in den Filialen des Konzerns um ein Drittel billiger angeboten werden kann. Dass es auch billige Fairtrade-Kaffees geben kann, hat übrigens schon Café Pedro bewiesen und beweist jetzt Lidl. Falls Wal-Mart demnächst entscheidet, Siegelkaffee aus Brasilien nicht nur in ein paar Hundert Läden von Sam's Club zu nehmen, sondern in ein paar Tausend ihrer direkten Läden, ist das Geschäftsglück von TransFair USA gemacht und könnte vielleicht auch mal was abfallen für TransFair Deutschland. Auch Versuche von Mc Donalds mit fair gehandeltem Kaffee in der Schweiz und von Kraft Foods mit einem „Café responsable“ in Frankreich haben nicht viel Aufmerksamkeit erregt. 

Anders der recht aufwändig betriebene Einzug von Nestlé in den britischen FairTrade-Markt im vergangenen Oktober, von dem FLO betont, es handle sich um einen Alleingang ihres Mitglieds Fairtrade Foundation. Nescafé Partners' Blend ist ein löslicher Kaffee aus vier salvadorianischen und einer äthiopischen Herkunft. Das Tässchen wurde von langer Hand gebrüht: Victor Mancía, ein Veteran salvadorianischer Kaffeegeschäfte, vormals tätig für einen Kooperativenverband zweiten Grades, dann Berater für die staatliche US-Entwicklungshilfe US-AID und die Interamerikanische Entwicklungsbank, hat ab dem Jahre 2000 acht kleinbäuerliche Kooperativen mit jeweils zehn bis knapp 400 Mitgliedern gegründet, von denen mehrere von US-AID mit Verarbeitungsanlagen ausgerüstet worden sind. Das gibt Nestlé Stoff für einschlägige Werbung: „Die Not hat uns vereint und die Experten haben uns geholfen, uns selbst zu helfen. 

In der Einheit liegt die Stärke“, sagt María Araceli Reyes, dank US-AID, Nestlé und FLO heute auch Besitzerin von 100 Hühnern, auf den Internetseiten des Konzerns. Nestlé gilt als der verantwortungsloseste Multi, ist in Großbritannien der am häufigste boykottierte Konzern und hat als einer der maßgeblichen globalen Kaffeegiganten mit dazu beigetragen, die Weltkaffeepreise zu drücken. Deshalb meint die NRO World Development Movement, dass Nestlé, solange nicht alle seine Kaffeelieferanten Preise bekommen, die ihre Kosten decken und ihnen ein einträgliches Einkommen verschaffen, Teil des Problems bleibt und nicht seine Lösung. Und das Netzwerk für Solidarischen Konsum stellt fest, dass Nestlé und andere Multis versuchen, den Fairtrade-Markt für ein Linsengericht zu übernehmen.

Ähnlich wie bei Starbucks und jetzt gerade bei Lidl ist es das Verdienst der Fairhändler, Anti-Multi-Kampagnen den Wind aus den Segeln genommen zu haben. In Zeiten der neoliberalen Weltherrschaft, in denen zum anhaltenden Massenelend in der Peripherie die Prekarisierung in den Metropolen gekommen ist, immer mehr Menschen in immer ähnlicheren Situationen der Unsicherheit und Ausgrenzung überleben müssen, den Multis das Geschäft des Teilens fürs Herrschen abzunehmen, ist ein Verdienst eigener Art. Wenn sogar der Weltladen-Dachverband den Verdacht hegt, dass Lebensmittelkonzerne mit Operationen wie denen von Nestlé und Lidl versuchen, sich ein positives Image zu verleihen und Geschäfte auf dem wachsenden Markt des ethischen Konsums zu machen, dann ist der Zug bereits in diese Richtung abgefahren. Die Multis werden das Fairtrade-Marktsegment vollends übernehmen, kleinere Importeure und Händler wie die Gepa oder die britische Café Direct werden dabei auf der Strecke bleiben und die in FLO zusammengeschlossenen Siegelhändler werden prosperieren. Ist das ganze Marktsegment einmal in den Händen der transnationalen Konzerne, wird darin der Preiskampf vollends entbrennen, mit dem Ergebnis, dass kleinere ProduzentInnengruppen nicht mehr mithalten können werden. 

Vorschläge wie die der Aktion 3. Welt und von INKOTA, die Standards zu schärfen, sie auf alle Akteure anzuwenden und also auch von den Lizenznehmern die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards zu verlangen, werden auch schon in FLO-Kreisen ventiliert. So wie diese gebaut sind, könnte das zu einer neuen Welle von Verhaltenskodizes, in diesem Fall der einschlägigen Lebensmittelkonzerne, führen; einige von ihnen haben so was eh schon. Taucht dann früher oder später die Frage nach einer unabhängigen Überwachung solcher selbst auferlegter Sozial- und Umweltstandards auf, werden die FLO-Mitglieder womöglich neue Aufgaben bekommen: social auditing. Schließlich haben sie im Zertifizieren ja schon Übung und womöglich werden sie dafür auch neue Objekte brauchen, weil ihre alten Lieblinge, die KleinproduzentInnen, unter die Räder geraten sind.