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Der Kindergarten kann das Wasser nicht mehr bezahlen

Besuch in Pampahasi, einem armen Barrio von La Paz/Bolivien

Auch der Geländewagen schnauft beim kurvenreichen Aufstieg auf rund 4000 Meter Höhe. „Viva Samapa“ prangt in leuchtendem Blau auf dem weißen Kalk eines Straßenkiosks. Und: „Fuera Aguas de Illimani“. In der nächsten Haarnadelkurve die gleiche Aufforderung „Aguas de Illimani raus“. Und kurz danach „Suez raus“. Uns ist ein wenig schwindlig. Etwas benommen steigen wir aus, als der Wagen vor dem Gemeindezentrum von Pampahasi hält. Nicht ganz eindeutig, ob die Ursache die imposante Erscheinung des Illimani-Berges am Horizont ist, der der privaten Wasserfirma in La Paz den Namen gab, die herbe Schönheit der zerklüfteten Landschaft rund um die in Steillage gebaute Vorstadt von La Paz, die dünne Luft oder überhaupt die Menge der Eindrücke an einem Sonntagmorgen.

Gaby Küppers

Wirklich Sonntagmorgen? Jede Menge Leute warten im Gemeindezentrum, schütteln Hände, weisen Plätze zu. Der „Señor Parlamento de Europa“ bitteschön da vorne hin, die anderen drei EuropäerInnen daneben. Bald sitzen alle hinter ihren Schildern. ADIA ist da, NATS, JANNS und MPF. Der Stadtteil ist unverkennbar höchst organisiert, auch wenn sich erst bei der Vorstellung die Kürzel auflösen: die NachbarschaftsvertreterInnen sind da, die VertreterInnen der Volksküchen, die Organisation der arbeitenden Kinder, Elterngemeinschaften, Abgesandte einer Gruppe, die für Jugendrechte kämpft. Kids in abgetragenen Jogginganzügen, Frauen in traditioneller Tracht und schief sitzendem, schwarzem Bowlerhut, manche in Jeans, die meisten in Anorak oder Lederjacke, denn es ist kalt. Zur Feier des Tages werden frisch ausgebackene Krapfen ausgeteilt und Kokatee, den die EuropäerInnen besonders hastig schlürfen, um ihren Kreislauf zu stabilisieren. So etwas hat die Gemeinde von Pampahasi noch nie erlebt: sie erhält Besuch von einem Abgeordneten, noch dazu aus dem Europäischen Parlament. Ein bolivianischer Abgeordneter hat hier noch nie seinen Fuß hineingesetzt.

Bei der Vorstellungsrunde wird nicht lange gefackelt. Name, Organisation, Problem. Eins davon kommt immer wieder: die Wasserpreise. Ein Schuster führt aus, dass er sein Geschäft demnächst schließen müsse: für seinen Ein-Mann-Betrieb in einer Häusernische bezahlt er den kommerziellen Tarif, der in Bolivien über dem eines Privathaushaltes liegt. Ein junger organisierter Schuhputzer kann bislang noch für weniger als 50 Cent in einer Volksküche ein warmes Mittagessen bekommen. Wenn die Volksküche wegen der hohen kommerziellen Wasserpreise auch das Essen teurer machen müsse, sagt er, wäre sein Tagesverdienst noch schmäler. Eine Frau schimpft, dass ein Neuanschluss umgerechnet rund 400 Dollar kostet, in diesem Stadtteil in etwa ein Jahresgehalt, seit das mehrheitlich von dem französischen Konzern Suez Lyonnaise des Eaux geführte Unternehmen Aguas de Illimani die Wasserversorgung von La Paz übernommen hat. Das interessiert den grünen Europaabgeordneten, Alain Lipietz, denn er ist Franzose. „Auch in Frankreich“, sagt er, „kämpfen wir gegen die privaten Wasserversorgungsunternehmen. Und in zwei Städten, in Paris und Grenoble, haben wir es geschafft, dass die privatisierte Versorgung in öffentliche Hände rücküberführt wurde. Es geht also nicht um Frankreich gegen Bolivien. Sie und ich, wir haben den gleichen Gegner.“

Einen kurzen Augenblick drücken die Gesichter Verwirrung aus, dann hellen sie sich auf. Jeder will noch ein Beispiel der Unverschämtheit von Aguas de Illimani beisteuern. Aber auch Kampfesbereitschaft beweisen. Sie sind pragmatisch, die Wasserversorgung ist für sie keine Ideologiefrage. Es sei letztlich egal, meint jemand von den Nachbarschaftskomitees, ob die Wasserversorgung privat oder öffentlich sei. Der springende Punkt sei, ob sie öffentlich weisungsgebunden und kontrollierbar sei. In den Zeiten der Samapa, des öffentlichen Wasserunternehmens, hätten die Leute schließlich auch geklagt. Bis 1997 war die Wasserversorgung in La Paz öffentlich, von der Weltbank unterstützt. Dann drehte die Weltbank den Geldhahn ab. Den Vorwand lieferte Samapa selbst: im rasanten Prozess der Verstädterung – seit den 70er Jahren hat sich in Bolivien die Stadtbevölkerung verdoppelt, hielt Samapa nicht mit. Im Laufe der 90er Jahre wurde aus dem kleinen Hauptstadtvorort El Alto fast eine Millionenstadt. Bei fünf Prozent Bevölkerungszunahme im Jahr hinkte der Ausbau des Versorgungsnetzes weit hinter dem Bedarf her. Das Abwassersystem war völlig unzureichend. Dazu kamen hausgemachte Probleme: In Bolivien sind öffentliche Dienstleistungsunternehmen traditionell Parteienpfründe. Von der Zollabfertigung am Flughafen bis zur Wasserversorgung haben die Parteien alles unter sich aufgeteilt. Kein Wunder, dass bei solcher Vetternwirtschaft die Qualität der Dienstleistung für die EndverbraucherInnen die geringste Rolle spielte.

In dieser Konjunktur hatte die Weltbank kein sonderlich schweres Spiel. Weitere Finanzierungen machte sie abhängig von der Privatisierung. El Alto und La Paz gingen an das Konsortium Aguas de Illimani, Suez Lyonnaise erhielt eine 59prozentige Anteilsmehrheit. Aber auch die Weltbank holte sich ihr Geld zurück: die Weltbanktochter IFC (International Finance Corporation) ist mit acht Prozent an dem Geschäft beteiligt. Ein detaillierter Maßnahmenkatalog wurde zusammengestellt, eine nationale Aufsichtsbehörde sollte kontrollieren. Seither fallen Selbstdarstellung von Aguas de Illimani und Wahrnehmung durch deren KundInnen weit auseinander. Laut Aguas de Illimani sei der Ausbau des Wassernetzes weit vorangekommen, die Preise lägen für viele niedriger als früher, es seien pünktlich Lizenzgebühren bezahlt worden, die Firma arbeite mit weniger Angestellten als früher – die Samapa-Belegschaft wurde zunächst komplett übernommen, dann wurde einem guten Drittel gekündigt. Die Verfasser des erwähnten detaillierten Maßnahmenkatalogs hatte schlauerweise kein Kapitel zum Thema Arbeitsplätze und Abfindungen vorgesehen. Kritiker verweisen auf Schlupflöcher im Katalog, in dem Lizenzgebühren zu niedrig angesetzt, Gewinntransfer großzügig geregelt und die Verpflichtung, Neuanschlüsse zu legen, im Sinne des Unternehmens ausgelegt werden kann. Alle Haushalte in Vierteln mit hoher Bevölkerungsdichte sollten Wasseranschlüsse bekommen. Aber wer legt fest, was „hohe Bevölkerungsdichte ist“? Aguas de Illimani reklamiert für sich, allen Anträgen nachgekommen zu sein, somit 100prozentige Vertragserfüllung. Wenn jedes Jahr zig Familien illegal zuziehen, ja, wer soll denn das wissen?

Die Leute rund um den großen Tisch im Gemeindezentrum von Pampahasi wollen nicht nur reden, sondern auch zeigen. Der Abgeordnete solle sich mal einen Kindergarten ansehen. Es geht ein paar Straßen weiter in den ersten Stock eines Hauses mit Flachdach wie alle Häuser hier. Wawauta Jiska Panqarita, steht auf dem Eingangsschild. 53 Kinder spielen hier die Woche über, die Eltern bezahlen pro Kind 20 Bolivianos (10 Bolivianos sind ungefähr ein Euro – die Red.), das bringt dem Kindergarten 1060 Bolivianos im Monat. Die ErzieherInnen werden über ein Weltbankprojekt finanziert. Sie bekommen 300 Bolivianos, 100 Bolivianos weniger als der Mindestlohn. Dafür heißt ihr Gehalt offiziell „Stipendium“. So drückt die Weltbank Löhne. An einer der Zwischentüren im Wawauta hängt eine einfache Waage. Die Kinder werden freitags und montags gewogen, sagt die Leiterin. Montags wögen sie immer etwas weniger, weil es am Wochenende in den armen Familien nicht genug zu essen gibt. An der Wand hängen die Gewichts- und Krankheitskurven. Neben kritischen Fällen klebt ein Gesicht mit einem weinenden Mund. Es sind viele. Die Leiterin zeigt uns die Toiletten. Das Wasser ist abgesperrt. „Wir können die Rechnung nicht bezahlen“, sagt die Frau. Aguas de Illimani verlangt von uns den kommerziellen Tarif. Das sind 800 Bolivianos, vier Fünftel unserer Einkünfte. Briefe der Elternorganisation ADIA an Aguas de Illimani blieben unbeantwortet. Also gibt es auf den Toiletten Wasser nur aus herbeigeschleppten Eimern. Sind das bei geschwächten Kindern nicht unmittelbare Krankheitsherde? Die Leiterin nickt und zuckt die Achseln: „Was soll ich tun?“

Das fragen wir uns auch. Und es gibt einen Ansatz: Franzose fragt Franzosen. Alain Lipietz verspricht, einen Brief mit der Bitte um Tarifsenkung an den örtlichen Suez-Chef zu schicken, aufgehängt am konkreten Fall von Wawauta. Gesagt, getan. Die Antwort kommt in aller Ausführlichkeit. Erst ein Eigenlob für all die Erfolge des Unternehmens in der Versorgung von La Paz, belegt mit Tabellen und Zeitungsausschnitten. Dann ein bedauerlicher Hinweis, dass das Thema bekannt sei, aber die Tariffestlegung nun mal Sache der nationalen Aufsichtsbehörde sei. Aguas de Illimani habe für den Kindergarten dort bereits vor einem Jahr schriftlich eine Ausnahmegenehmigung erbeten, aber nie Antwort erhalten. So einfach ist das, den schwarzen Peter weiterzugeben. Doch Lipietz gab sich nicht geschlagen. Er schrieb seinerseits an den Superintendente, doch auch der Brief blieb unbeantwortet. Kein Wunder, meinte ein Freund aus Bolivien, der Amtsinhaber hat seit Bekanntwerden des Falls schon dreimal gewechselt. Auf dem Schleudersitz wird sich jeder hüten, eine Entscheidung zu treffen, die Folgen haben könnte. Gleichzeitig ging ein Antwortbrief an den örtlichen Suez-Chef mit dem Hinweis, ein Waisenhaus in La Paz bekomme sehr wohl Wasser zum Sozialtarif, dann könne Aguas Nämliches doch auch für das Wawauta tun, ohne besagte Genehmigung. Die Antwort des Suez-Chefs war überraschend: Das Waisenhaus erhalte gar kein Wasser von Aguas Illimani, sondern von einer Kooperative, an die Aguas de Illimani Wasser liefere. Wie diese Kooperative wiederum ihre Preise gestalte, obliege allein ihnen.
Die vorläufig letzte Runde in dem heiteren Briefwechsel ging so: Aguas de Illimani, schrieb Alain Lipietz, sei doch offensichtlich bereit, einen niedrigeren Tarif zu akzeptieren. Wenn dies nur an der fehlenden Antwort der Aufsichtsbehörde scheitere, könne das Unternehmen ja dem Kindergarten eine jährliche Spende in der Höhe des Tarifunterschieds überweisen. Spenden seien in Bolivien sicher nicht illegal. Die Antwort des Suez-Chefs steht noch aus.

Aber wahrscheinlich kommt sowieso alles ganz anders. Suez wird sich aus dem Boliviengeschäft zurückziehen. Das Land hatte ein Modell für gelungene Privatisierung werden sollen – deswegen hatte sich die deutsche Botschaft als Verfechterin der PPP (Public-Private Partnership) auch so sehr für eine Fortführung der privaten Wasserversorgung aus dem Fenster gehängt – aber es hat schlicht nicht funktioniert. Zudem ist seit Januar Abel Mamani, der Führer der Widerstandsbewegung in El Alto, Wasserminister. Sein Vize René Orellano ist ein ausgewiesener Experte in Wasserfragen (siehe Interview in diesem Heft). Die Leute in Pampahasi wollen Transparenz, Mitbestimmung und Kontrolle, egal welche Rechtsform die Versorgung sonst hat. Genau das muss jetzt organisiert werden. Damit sich die Suez-Leute nicht in drei Jahren ins Fäustchen lachen.