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Sie war eine der Leisen ihrer Zunft

Abschied von Ulla Junk

Am 9. November starb in Köln die Journalistin Ulla Junk. Anfang der achtziger Jahren gehörte sie zu den wenigen Leuten mit politischer und publizistischer Erfahrung, die halfen, der entstehenden Mittelamerika-Solidaritätsbewegung Türen zu öffnen und ihre Themen einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Zunächst noch als Mitarbeiterin des linken SPD-Abgeordneten Klaus Thüsing und später als freie Radio- und Fernsehjournalistin brachte sie die Kämpfe in Zentralamerika nicht nur in die Medien, sondern unterstützte die Bonner Vertretung der salvadorianischen Befreiungsbewegung auch dabei, hier Kontakte zu Parteien und Institutionen zu knüpfen. Ihr zusammen mit Helmut Frenz, Norbert Greinacher und Bernd Päschke 1982 veröffentlichtes Buch „El Salvador – Massaker im Namen der Freiheit“ wurde zu einer Basislektüre für alle, die sich mit El Salvador und der US-Politik in Mittelamerika beschäftigten. Auch später hat sie immer wieder in Filmen und Rundfunkbeiträgen zu Lateinamerika die destruktive Politik der US-, aber auch der deutschen Bundesregierung thematisiert und für Solidarität mit den Opfern dieser Politik geworben. Im folgenden Beitrag erinnert der WDR-Redakteur Gert Monheim an den Menschen Ulla Junk und ihr journalistisches Engagement zum Gedenken an die von den Nationalsozialisten Verfolgten, eine Facette ihrer Tätigkeit, die in der Solibewegung nur wenigen bekannt war.

Gert Monheim

Es war ein Stück von seinem Herzen“, so hieß der Film, den Ulla und ich Anfang der neunziger Jahre gedreht haben. Es war die Geschichte ihres Schrankes, der einmal dem jüdischen Kaufmann Emil Frank gehört hatte. Als sie das erfuhr, ließ sie die Frage nicht mehr los: Hatten ihre Eltern die Not der jüdischen Familie ausgenutzt und den Schrank günstig erworben? Als wir mit dem Film begannen, recherchierte sie seit drei Jahren und hatte schon zwei bewegende Hörfunksendungen zu diesem Thema gemacht. Der Film zeigte schließlich, was Ulla mit ihrer Arbeit bewirkte. Zu Beginn wollte sich so gut wie niemand in Wittlich an Emil Frank, den ehemaligen Vorsteher der jüdischen Gemeinde mit immerhin 300 Mitgliedern, erinnern. Und erst recht wollte keiner wahrhaben, dass über hundert jüdische Bürger in der Nazizeit ermordet worden waren. Unmut, teilweise auch offener Hass, schlugen Ulla in der Stadt ihrer Kindheit entgegen. 

Fünf Jahre später wurden die aus Wittlich vertriebenen und in alle Welt zerstreuten Juden, die Ulla auf ihrer Suche nach Emil Frank gefunden hatte, offiziell zu einem Besuch in ihre Heimatstadt eingeladen. Der jüdische Friedhof, der kurz zuvor noch verwüstet worden war, wurde wiederhergestellt, in der restaurierten Synagoge sahen viele ehemalige Wittlicher Juden die Geschichten ihrer Familien und der jüdischen Gemeinde zum ersten Mal wieder. All dies war letztlich Ullas Werk. Sie hatte nicht nur Ärger und Ablehnung ausgelöst, sie hatte auch die Herzen vieler jüngerer Wittlicher erreicht. Sanft und beharrlich mit ihren Texten, mit ihrer Überzeugungskraft, mit ihrer Persönlichkeit. Angeregt durch Ullas Features und mit ihrer Unterstützung hatten die Jüngeren in einem Arbeitskreis die Geschichte der Wittlicher Juden aufgezeichnet. Inzwischen ist eine „Emil Frank Stiftung“ gegründet worden, die Ullas Arbeit fortsetzt.

Was wir in dem Film zeigten, war die Geschichte Emil Franks und es war Ullas eigene Geschichte. Mit 17 war sie von zu Hause nach New York fortgeschickt worden zu einem Bekannten ihres Vaters. In New York traf sie auf Menschen, die dem Konzentrationslager im letzten Moment noch entkommen waren. Von denen hörte sie zum ersten Mal in ihrem Leben, was die Nazis Juden angetan hatten. Es traf sie wie ein Schlag. Und es wurde fortan das Thema ihres Lebens.

Ein anderes Lebensthema von ihr waren Freundschaften. Sie war früh, zu früh aus dem Nest gefallen, hatte vielleicht Wärme in diesem Nest nie gespürt und war deshalb zeitlebens auf der Suche nach ihr. Sie hat immer tapfer behauptet, dass sie so etwas wie eine herkömmliche Familie nicht brauche. Wer sie genauer beobachtete, sah, wie wohl sie sich fühlte, wenn sie in einem familienähnlichen Umfeld war, sie kuschelte sich förmlich hinein. Doch sie hatte etwas Vergleichbares, sie hatte Freunde. Ich kenne niemand, der so viele Freunde und Freundinnen in aller Welt hat wie Ulla.

Sie pflegte Freundschaften, aber sie forderte ihre Freunde auch. Werte wie Treue, Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit – die heute für viele so altmodisch klingen – lebte sie. Wer ihren hohen Ansprüchen nicht genügte, hatte es schwer bei ihr. Wen sie einmal in ihr Herz geschlossen hatte, der konnte sich fest auf sie verlassen. Ihre Familie sind ihre vielen Freundinnen und Freunde. Ulla war eine Journalistin, die mit ihrer Arbeit etwas bewirkt hat. Sie war eine der Leisen unserer Zunft, eine außergewöhnliche Frau und eine wunderbare Freundin.