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Recht auf Rausch und Utopie

Der Film „Havanna Blues“
Britt Weyde

Im Sommer 1994 führte mich ein Studierendenaustausch Cuba-Deutschland auf die Karibikinsel. Engagierte junge Leute aus mehreren deutschen Städten wollten praktische Solidarität üben und das Land der real existierenden Utopien kennen lernen. Während die Düsseldorfer alle Hippies waren, gab es in der Kölner Delegation einen harten Kern überzeugter PunkrockerInnen. Einer war Schlagzeuger in einer Surfpunkgruppe und unterhielt sich immer wieder mit jungen Einheimischen übers Musikmachen. Vielleicht sprach er mit den falschen Leuten, aber er hatte den Eindruck, dass eine unabhängige Szene nicht existierte. Wer Musiker sein wollte, musste das auch richtig machen, aufs staatliche Konservatorium gehen usw. Leute, die in der Freizeit musizieren und mit FreundInnen in Garagen oder Kellerlöchern vor sich hin schrebbeln – auf Cuba Mitte der 90er Jahre recht ungewöhnlich. Wie sehr sich doch die Zeiten ändern! Ende der 90er Jahre begann in Europa der musikalische Cuba Hype, anfangs noch nostalgisch tönend, um Hiphop erweitert dank Orishas und Co., schließlich stießen auch moderne Timba-Klänge auf offene europäische Ohren. Und das sind lediglich die gut verwertbaren Trends, die bei uns ankommen. Die auf Cuba einsetzende kulturelle Öffnung schaffte zwar nicht alle Reglementierungen ab, aber es konnten sich doch einige unabhängige Musikszenen herausbilden. (Hobby-) MusikerInnen träumen heute von der internationalen Karriere – angeheizt von auswärtigen Talentscouts, die für den schnelllebigen gierigen Markt die Insel nach jungen oder auch alten Talenten durchforsten.

Diese Situation ist Ausgangspunkt für den Film „Havanna Blues“ des spanischen Filmemachers Benito Zambrano, hierzulande bekannt geworden mit seinem Film „Solas“ (1999). Im Mittelpunkt stehen die beiden jungen Musiker Ruy und Tito, die mit ihrer Band Salsa, Rock und Funk fusionieren. Trotz prekärer Probe- und Auftrittmöglichkeiten machen sie begeistert Musik, arbeiten an ihrer ersten Demo-Aufnahme sowie an ihrem ersten großen Konzertauftritt. Als sie das dynamische Talentscout-Duo Luz und Lorenzo aus Spanien kennen lernen, scheint die Verwirklichung ihrer Träume in greifbarer Nähe. Das Produktionsteam sucht unbekannte cubanische Gruppen für eine CD-Produktion. Ruy und Tito helfen ihnen bei ihrer Entdeckungsreise durch cubanische Untergrundmusikwelten. Dabei wird Erstaunliches gezeigt: Eine Garagenband, die Schrebbelpunk macht, ein bekifft wirkender Sänger mit tätowiertem Anarchie-A auf dem Arm sowie Hammer und Sichel auf der T-Shirt-Brust. Eine unbekannte Hiphop-Band überzeugt musikalisch, das Konzert einer Dead Metal Band bringt die jugendlichen Fans zur Raserei und heizt ein mit Zeilen wie Protesta – sin duda – Cuba rebelión.

Kurz darauf: Eine heiße Sommernacht, Tito und die spanische Geschäftsfrau landen gemeinsam in der Kiste. Die altbekannte, unheilvolle Mixtur aus Eros, Geschäftsbeziehungen und Abhängigkeit beeinflusst ab nun den weiteren Verlauf des CD-Projekts. Und Tito bekommt noch mehr Stress mit seiner Frau Caridad. Ihre Ehe besteht eigentlich nur noch aufgrund der beiden gemeinsamen Kinder, die Frau schmeißt den ganzen Laden allein, während der Musikerpapi immer spät nach Hause kommt und den bereits schlafenden Kindern Küsschen gibt. Caridad spielt seit längerem mit dem Gedanken, mit den Kindern nach Florida auszuwandern. Nun nehmen die – natürlich illegalen – Reisepläne konkrete Form an. Als sie bei einem Abendessen mit FreundInnen ihr Weggehen ankündigt, sind die Reaktionen liebevoll ironisch: „Ui, dann haben wir ja noch jemanden, den wir in den USA besuchen können!“, „und über den man ein Lied schreiben kann!“, „und dessen Blumen man gießt!“, „und dessen Hund man füttert!“.

Die Musiker erahnen derweil, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Luz mischt sich in die künstlerische Freiheit ein: „Dieses Stück ist zu lokal geprägt. Ihr sollt was für den Latin-Musikmarkt in den USA machen!“ Der Vertrag über CD-Projekt und Europatournee hält so manche zu schluckende Kröte bereit. So sollen die unbekannten Untergrundmusiker im Ausland als „verbotene“ Künstler präsentiert werden. Aus dem Karrieretraum wird eine politische Entscheidung. Wer sich wie entscheidet, soll hier nicht verraten werden, nur so viel: Mit einem alle zufrieden stellenden Happyend kann nicht gerechnet werden. Das ist aber auch gut so. 

Dem Regisseur gelingt es, eine schlüssige Story zu erzählen und nebenbei Themen wie den improvisierten Alltag, Emigration, Abhängigkeitsverhältnisse unterschiedlichster Prägungen sowie das Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Kommerz einzuflechten. Ganz en passant bekommt man mal wieder wunderbare Aufnahmen aus Havanna serviert, diesmal zum Glück nicht mit der Patina des Nostalgischen oder gar der Ästhetik des Stillstands. Er kennt die Stadt ganz gut, schließlich hat er selbst zwei Jahre an der Internationalen Schule für Film und Fernsehen in Havanna studiert. Bei den Dreharbeiten wurde er nicht eingeschränkt. Aber: „Das offizielle Cuba erträgt keine Ironie und Kritik“, so Zambranos Einschätzung. Er befürchtete gar, dass der Film in cubanischen Kinos nicht zur Aufführung kommen würde. Falsch gedacht. Der Film bekam beim Internationalen Filmfestival Havanna letzten Dezember sogar den Preis für den besten nichtlateinamerikanischen Film über Lateinamerika. Und beim nichtoffiziellen Cuba, dem Kinopublikum, kam er sehr gut an. Klar, die auch ihnen bekannten Alltagsprobleme werden weder unter den Tisch gekehrt noch dramatisiert. Eigentlich ist alles recht ausgewogen und der nötige Schuss zwiespältiger Heimatverbundenheit kommt auch zum Ausdruck: „Für unser Recht auf Rausch und Utopie – arriba Habana!“, rufen Ruy und Tito auf ihrem fulminanten Konzert, das sie schließlich trotz aller vorherigen Komplikationen gemeinsam auf die Bühne bringen. 

Die im Film präsentierte Musikszene hätten wir 1994 auch gerne kennen gelernt. Aber dafür sind wir wohl ausnahmsweise einmal zu früh gekommen. 

Havanna Blues, Spanien/Cuba/Frankreich 2005, kommt ab 30. März 2006 in die deutschen Kinos